Buchbesprechung

„Die Seelen rüsten“

von Martin Singe
Schwerpunkt
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2019 ist bei der „edition pace“ das Buch „Die Seelen rüsten – Zur Kritik der staatskirchlichen Militärseelsorge“ erschienen, das hier kurz besprochen werden soll. Dieselben Herausgeber veröffentlichen kurz zuvor den Sammelband „Im Sold der Schlächter – Texte zur Militärseelsorge im Hitlerkrieg“. Beide Bände sind unbedingt lesenswert, auch in Auswahl einiger der versammelten Artikel und Aufsätze, von denen einige bereits früher veröffentlicht worden sind. Hier konzentriere ich mich auf „Die Seelen rüsten“.

In dieser Ausgabe des FriedensForums hat Rainer Schmid bereits in einem Artikel die wesentlichen institutionellen und vertraglichen Rahmenbedingungen der staatskirchen-getragenen Militärseelsorge dargestellt. Darauf sei verwiesen. Im vorliegenden Sammelband werden diese Kooperationen zwischen Kirchen und Staat sowie die inhaltliche Verflechtung der Militärseelsorge mit den Zielen und Aufgaben der Bundeswehr konkreter und ausführlicher dargestellt. Der 456 Seiten umfassende Band gliedert sich in zehn Abschnitte, denen jeweils etwa drei bis sechs Artikel bzw. Dokumente (insgesamt 46) zugeordnet sind. Man muss das Buch nicht systematisch lesen, sondern kann anhand der einzelnen Abschnitte gezielt für die eigene Lektüre interessante Dokumente auswählen.

Der einführende Abschnitt bringt grundsätzliche Gedanken zur (konstantinischen) Wende Anfang des 4. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung vom ursprünglichen Christentum zum staatskirchlichen Christentum. Als staatstragende Macht wurde nun auch der staatliche Militärdienst legitimiert, der zuvor strikt abgelehnt wurde. Im Abschnitt „Antimilitaristische, humanistische und laizistische Kritik der Militärseelsorge“ werden Argumente versammelt, die diese seitdem staatsverquickte Seelsorgeform als anachronistisch und verfassungsrechtlich bedenklich darstellen. Der Abschnitt „Wiederbewaffnung und Neuaufbau des Militärkirchenwesens“ geht auf die 1950er Jahre ein und beleuchtet die schon tragische Rolle der personellen Kontinuität des führenden Militärseelsorge-Personals von der Nazi-Zeit bis zu den Anfängen der BRD. Eifrige alte Kriegsbefürworter, Verfechter des Eides auf den „Führer“, Befürworter der Todesstrafe für Deserteure und teilweise sich selbst als Antisemiten bezeichnende Personen stehen als Bischöfe oder Generalvikare an den Spitzen der alt-neuen Militärkirchen (u.a. auf ev. Seite Otto Dibelius, Hanns Lilje und Hermann Kunst; auf kath. Seite insbesondere Georg Werthmann): Ein Spiegelbild zur von alten Nazi-Offizieren geführten „neuen“ Bundeswehr.

Weitere Kapitel stellen u.a. dar, inwiefern und inwieweit in der DDR eine relativ staatsunabhängige Soldatenseelsorge möglich war und praktiziert wurde. Nach der Wende und einer Übergangszeit wurden diese Ansätze aber nicht weiterverfolgt, sondern die westliche Praxis wurde auch dem Osten übergestülpt. Stimmen aus friedenskirchlichen Ansätzen oder von Friedensorganisationen wie dem Versöhnungsbund oder Pax Christi fordern, dass die ethischen Forderungen eines gewaltfreien Christentums, wie sie vom Evangelium her vorgegeben sind, endlich wieder – natürlich aktuell übersetzt - zum Tragen kommen. Jedoch wird dies durch die militärstaatskirchlichen Zusammenhänge schon strukturell verunmöglicht. Vorgestellt werden deshalb aktuelle Versuche und ökumenische Initiativen zur Abschaffung und konstruktiven Überwindung der staatskirchlichen Militärseelsorge. Der Versöhnungsbund versucht dies in einem eigenen Pilot-Projekt zu verwirklichen.

Ein von christlichen Friedensgruppen seit Langem gefordertes entschiedenes Zeugnis der Kirchen für Gewaltfreiheit fehlt gerade hinsichtlich neuer verfassungswidriger Kriege, einer „Armee im Einsatz“ für westliche Interessen, einer immer noch unbeirrt Waffen in Kriegsgebiete liefernden und an Atomwaffen festhaltenden Bundesregierung. Würden die Kirchen, die insgesamt selbst staatsverknüpft sind, sich von diesen Bindungen emanzipieren, wären sie frei, wieder die Gewaltfreiheit ihrer Anfänge zu postulieren – und ihre Seelsorge an SoldatInnen könnte ethische Maßstäbe verkünden, denen gemäß SoldatInnen rechts- bzw. verfassungswidrige Befehle verweigern müssten, wie dies z.B. seinerzeit Major Pfaff getan hat.

Der Band „Die Seelen rüsten“, der mit Graphiken der „Iraq Veterans Against the War“ und einigen aktuellen Fotos zum Auftreten von Militärseelsorgern z.B. bei einer Trauerfeier in Afghanistan oder bei den „Tag der Bundeswehr“ genannten Propaganda-Schauen illustriert ist, sei allen friedensbewegten potentiellen LeserInnen sehr empfohlen.

Rainer Schmid, Thomas Nauerth, Peter Bürger und Matthias-W. Engelke, Die Seelen rüsten. Zur Kritik der staatskirchlichen Militärseelsorge, Books on Demand, 456 Seiten, ISBN-13: 9783749468041, 15,99 Euro.
Vergleiche auch: vgl. https://friedenstheologie-institut.jimdo.com/publikationen/die-seelen-rüsten/

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".