Fallstricke der Externalisierung der europäischen Migrationspolitik

Die sogenannten Migrationspartnerschaften

von Dr. Andreas Grünewald
Schwerpunkt
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Die Kooperation mit Drittstaaten bei der Kontrolle von Migrationsbewegungen Richtung Europa ist spätestens seit 2015 zu einer zentralen Säule der EU-Migrationspolitik geworden. Unter dem Schlagwort Migrationspartnerschaft (1) versuchen die EU und Deutschland seit einigen Jahren, die Kooperation mit Drittstaaten in der Migrationspolitik zu institutionalisieren.

Zwar konnten formelle Migrationspartnerschaften bisher nur mit einigen wenigen Ländern abgeschlossen werden. Gleichzeitig sind halb- oder informelle Migrationspartnerschaften zu einem wichtigen Politikinstrument geworden, welches sich aus einem Bündel aus unterschiedlichen Maßnahmen zusammensetzt. Für Europa zentral sind Vereinbarungen zu Rückkehr/Rückführung (2) (bei Herkunftsländern) sowie Migrationskontrolle (bei Transitstaaten), die insbesondere bei den jüngsten Vereinbarungen mit Tunesien, Mauretanien oder Ägypten im Zentrum stehen. Daneben gibt aber auch Migrationspartnerschaften, die stärkeren Fokus auf andere Elemente wie Arbeitsvisa oder Ausbildungsprojekte legen, wie die geplante Migrationspartnerschaft von Deutschland mit Kenia. In der Praxis spielt diese „harmlosere“ Form der Partnerschaft jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

Black Box Externalisierung
Details zu Vereinbarungen mit Partnerstaaten im Migrationsbereich sind meist gar nicht, oder nur schwer zugänglich. Das liegt zum einen daran, dass viele Treffen und Beschlüsse dazu geheim gehalten werden. Beispiel MOCADEM (3), das entscheidende Koordinierungsgremium der EU-Mitgliedsstaaten in Externalisierungsfragen. Nicht einmal EU-Parlamentarier*innen haben das Recht, Informationen über die Sitzungen und Beschlüsse dieses Gremiums einzuholen. MOCADEM steht für ein grundlegendes Problem, welches die EU-Migrationsaußenpolitik insgesamt auszeichnet: Diese Politik ist intransparent. Sie entzieht sich demokratischer Kontrolle oder gar Beteiligungsverfahren. Und sie wird immer mächtiger. Die Anstrengungen der EU, Migrationskontrolle, Migrationsabwehr und Schutzverpflichtungen gegenüber Asylsuchenden an Drittstaaten auszulagern, haben in den letzten zehn Jahren enorm zugenommen – ebenso wie die finanziellen Mittel, die in diese Anstrengungen fließen. Die Umsetzung des neuen EU Asyl- und Migrationspakts wird diese Dynamik weiter anheizen, da die „externe Dimension“ eine zentrale Säule des Pakts (4) darstellt. Umso wichtiger ist es, eine kritische öffentliche Debatte zur Externalisierungspolitik zu stärken.

Bausteine der Externalisierung
Als Externalisierung werden unterschiedliche Maßnahmen, Projekte und Vereinbarungen bezeichnet, die migrations- und asylpolitische Kontrolle zum Ziel der Migrationsabwehr in Nicht-EU-Staaten verlagern. Dazu zählen:

  • Vereinbarungen mit Drittstaaten (Memorandums of Understanding (MoUs), Abkommen oder informelle Absprachen), die dem Ziel der Migrationskontrolle, Rückführung oder Auslagerung des Flüchtlingsschutzes dienen; Beispiele: EU-Tunesien-Deal, Rückführabkommen Deutschland-Irak, MoU Italien-Albanien;
  • Unterstützung bei Legislativreformen, die der Migrationsabwehr dienen; z.B. Gesetz 2015/36 im Niger, Gesetz gegen Menschenschmuggel in Ägypten;
  • Aufrüstung und Ausbildung von Sicherheits- und Grenzbeamten in sogenannten Drittstaaten; z.B. Ertüchtigungsmissionen des Verteidigungsministeriums, Polizeiprogramm Afrika der GIZ, deutsche Ausbildung des ägyptischen Geheimdienstes NSA;
  • Nutzung von Druckmitteln oder “Hebeln”, um Drittstaaten zu Kooperation im Migrationsbereich zu bewegen: z.B. Konditionalisierung der Entwicklungsgelder („more for more” und “less for less”-Ansatz), „Visa-Hebel“, diplomatische Aufwertung kooperativer Regime.

Mit ihrer Externalisierungspolitik versuchen Deutschland und die EU, eine eurozentristische Migrationsagenda in Nicht-EU-Staaten zu etablieren. Potentielle Partnerregierungen stehen diesen Versuchen jedoch nicht wehrlos oder passiv gegenüber. Während einige Staaten solchen Kooperationen kritisch gegenüberstehen (z.B. Algerien) – oder im Lauf der Zeit aufgekündigt haben (wie Mali oder Niger) - nutzen andere Regierungen diese aktiv, um eigene Ziele zu verfolgen, insbesondere den Ausbau der eigenen Macht – wie die Beispiele Ägypten (5) und Tunesien (6) exemplarisch zeigen. Der Begriff der Partnerschaft ist daher irreführend für das Verhältnis, das sich so zwischen der EU und dem jeweiligen Drittstaat etablierte. Eher könnte man es als Komplizenschaft bezeichnen, bei der beide Seiten unterschiedliche Ziele verfolgen: Abschottung hier, Regimestärkung dort.
Die Externalisierungsagenda beenden!

Deutschland und die EU müssen ihren Ansatz, Migrationskontrolle und -Abwehr in Nicht-EU-Staaten auszulagern, grundsätzlich überdenken. Die menschlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen des Ansatzes sind einfach zu hoch.

  • Missachtung der (Menschen-)Rechte von Geflüchteten: Die Externalisierungspolitik hat zu keiner Verbesserung der Situation von Geflüchteten beigetragen; im Gegenteil: ihre Rechte werden vielfach missachtet, Pushbacks nehmen zu, die Not entlang der Routen steigt.
  • Gefährdung der Demokratie/Förderung von autoritären Strukturen in Partnerländern: Zugleich nutzen autoritär agierende Regierungen die Kooperation mit der EU zur Machtkonsolidierung nach innen und auf internationaler Ebene. Auf der Strecke bleiben nicht nur Demokratie und Menschenrechte, die Zivilgesellschaft gerät insgesamt immer mehr unter Druck. Wie der Fall Niger (7) zeigt, hat die EU ein Jahrzehnt lang den Sicherheitsapparat des Landes zum Ziel der Migrationsabwehr aufgerüstet, der schlussendlich gegen die Regierung putschte.
  • Abhängigkeit von fragwürdigen Partnern: Indem Deutschland sich in der Migrations- und Asylpolitik auf Vereinbarungen mit fragwürdigen Partnern einlässt, macht es sich vom oft unberechenbaren Agieren dieser Partner abhängig, wie der Fall Tunesien und die Unfähigkeit der EU zeigt, auf immer neue Provokationen von Seiten von Präsident Saied angemessen zu reagieren. Zugleich wird Kritik beispielsweise an schweren Menschenrechtsverletzungen schwieriger.
  • Zweckentfremdung entwicklungspolitischer Mittel und Instrumente: Deutschland hat sich dazu verpflichtet, Länder des globalen Südens bei einer nachhaltigen Entwicklung zu unterstützen. Im Rahmen der Externalisierung werden jedoch immer öfter Entwicklungsgelder für innenpolitische Ziele zweckentfremdet (8).
  • Gefährdung des globalen Flüchtlingsschutzes: Bereits jetzt trägt der globale Süden die Hauptlast bei der Bewältigung der globalen Flüchtlingskrise. Die Externalisierungspolitik verschärft dieses Ungleichgewicht weiterhin und birgt die Gefahr, dass sich immer mehr Staaten aus ihrer Schutzverantwortung zurückziehen könnten. Der globale Flüchtlingsschutz könnte kollabieren, mit unabsehbaren Folgen.
  • Untergrabung zentraler Ziele der deutschen Außenpolitik: Der Einsatz für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sind zentrale Grundlagen der deutschen Außenpolitik (9). Diese Grundlagen werden durch die aktuelle Externalisierungspolitik untergraben. Die deutsche Außenpolitik droht sich innenpolitischen restriktiven asylpolitischen Überlegungen zu unterwerfen und ihre Unabhängigkeit zu verlieren.  
  • Verlust der moralischen Integrität Deutschlands: Damit droht zugleich ein weiterer Verlust der Glaubwürdigkeit Deutschlands als Akteur, der sich auf internationaler Ebene für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzt. Umso schwerer dürfte es Deutschland in Zukunft fallen, mit diesen Themen bei Partnern im globalen Süden Gehör zu finden.

Was in Europa oft als Realpolitik verkauft wird – Migrationspartnerschaften mit autoritären Regimen, um dem innenpolitischen Druck nach Abschottung nachzukommen –, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als verfehlte und schlecht informierte Politik. Eine Politik, die an ihren eigenen Zielen scheitert, das Leid vieler Menschen in den jeweiligen Ländern vergrößert – und der Glaubwürdigkeit der EU als Verfechterin von Demokratie und Menschenrechten schweren Schaden zufügt.

Anmerkungen
1 https://www.swp-berlin.org/publications/products/studien/2018S03_koc_web...
2 https://www.brot-fuer-die-welt.de/blog/2022-rueckfuehrungsoffensive-fert...
3 https://www.statewatch.org/outsourcing-borders-monitoring-eu-externalisa.... MOCADEM steht für Mechanismus für die operative Koordinierung der externen Dimension der Migration,
4 https://home-affairs.ec.europa.eu/policies/migration-and-asylum/pact-mig...
5 https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/downloads/fachpubl...
6 https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/downloads/fachpubl...
7 https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/downloads/fachpubl...
8 https://policy-practice.oxfam.org/resources/from-development-to-deterren...
9 https://www.tatsachen-ueber-deutschland.de/de/frieden-und-sicherheit/aus...

Dr. Andreas Grünewald ist seit Herbst 2021 Referent für Migration in der Politikabteilung von Brot für die Welt. Er arbeitet mit Partnern von Brot für die Welt weltweit kritisch zu den diversen Auslagerungspraxen und -phantasien im Migrationsbereich.

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Dr. Andreas Grünewald ist seit Herbst 2021 Referent für Migration in der Politikabteilung von Brot für die Welt. Er arbeitet mit Partnern von Brot für die Welt weltweit kritisch zu den diversen Auslagerungspraxen und -phantasien im Migrationsbereich.