Syrienkrieg

Die Wiener Sponsorenkonferenz

von Ulrich Cremer

Am 30. Oktober 2015 war es endlich so weit: Alle internationalen Sponsoren des syrischen Bürgerkriegs trafen sich in Wien zur Lagebesprechung. Mit am Tisch saß das erste Mal auch der iranische Außenminister. Zweifellos ein Fortschritt. Zur historischen Wahrheit gehört, dass es natürlich auch schon vor drei Jahren eine Friedenslösung gab und man diese hätte umsetzen können.

Aber der Annan-Plan und das Genfer Kommuniqué vom 30.6.2012 fanden in den arabischen und westlichen Hauptstädten und bei der syrischen Opposition keine praktische Unterstützung oder wurden gar abgelehnt. Denn damals spekulierten die westlichen und arabischen Sponsoren auf einen kurzfristigen Sieg „ihrer“ Seite, also die vollständige Niederlage der Assad-Kräfte und einen Regime Change. Seitdem hat das syrische Gemetzel mehr als 200.000 weitere Opfer gefordert, die Terrormiliz IS fasste in Syrien Fuß und kontrolliert inzwischen weite Teile des Landes.

Wie stehen im Herbst 2015 die Chancen, dass es tatsächlich zu einem Waffenstillstand und einer politischen Lösung in Syrien kommt, zumindest zwischen den Nicht-IS-Akteuren?

Streitpunkt Assad
Zentral streiten sich die Sponsoren um den Umgang mit der Person Assad. Soll er in einer Übergangsphase Präsident bleiben? Soll man seine Macht dabei reduzieren, indem er nicht mehr die Armee befehligt? Oder muss er abtreten, bevor irgendetwas Anderes möglich wird? Aber: „Vordergründig geht es den globalen und regionalen Akteuren um die Person des Machthabers in Damaskus. … In Wirklichkeit verstecken die Akteure hinter ihren Forderungen zu Assad lediglich ihre konträren Pläne für die Zukunft Syriens.“  (1)

Außerdem saßen in Wien bisher keine syrischen VertreterInnen am Tisch. Angespornt durch die militärische und politische Unterstützung ihrer Sponsoren waren insbesondere die Oppositionsgruppen in der Vergangenheit in keiner Weise kompromissbereit. Die syrische Regierung hatte sich 2012 bekanntlich sogar einen Abtritts Assad vorstellen können, aber nach jahrelangem Krieg haben sich auch dort die Fronten verhärtet. Assad erklärte unlängst, zu den nächsten Präsidentschaftswahlen erneut antreten zu wollen.

Russische Interessenlage
Auch wenn die russische Regierung durch ihre Intervention die nächste militärische Eskalationsstufe eingeleitet hat, hat sie kein Interesse, den Krieg endlos weiter zu führen. Insbesondere in einen Bodenkrieg möchte Moskau wohl kaum verwickelt werden. Das hat weniger mit den schlechten Erfahrungen der Sowjetunion mit ihrem Afghanistan-Krieg zu tun, wie gerne suggeriert wird. Schließlich kämpften damals auch ukrainische, weißrussische, baltische oder kaukasische Soldaten gemeinsam mit den russischen, um einen ersten Unterschied zu nennen. Ein zweiter ist, dass bereits der Iran und die libanesische Hisbollah Kämpfer am Boden auf Seiten der Assad-Regierung stellen, insofern externe Bodentruppen bereits von Verbündeten gestellt werden.

Bliebe die Fortsetzung von „Russia’s first U.S.-style war“, wie Dimitri Trenin (Direktor des Carnegie Moscow Center) die russische Luftkriegsführung charakterisiert.Russland hat angesichts der stark gesunkenen Öl- und Gaspreise nicht die finanziellen Mittel, einen intensiven Luftkrieg über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Das Kalkül war mehr das einer kurzfristigen Demonstration bzw. die Luftschläge sollten Katalysator für eine Wende im Bodenkrieg zu Gunsten Assads sein. Im Grunde zielte das russische Eingreifen auf ein schnelles und positives Verhandlungsergebnis. Es ist hinlänglich bekannt, dass Moskau nicht an der Person Assad klebt. Der finnische Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari wies im September 2015 gegenüber dem britischen Guardian darauf hin, dass die russische Regierung bereits im August 2012 einen regelrechten Drei-Punkte-Plan präsentiert hätte, „der vorsah, dass erstens keine Waffen an Rebellen geliefert werden, dass zweitens ein Dialog zwischen der Opposition und al-Assad in Gang gesetzt wird und dass man dem Präsidenten danach einen „eleganten Weg“ aus dem Amt eröffnet.“ (2)

Grundsätzlich möchte die russische Regierung ihren Militärstützpunkt in Syrien behalten und einen Sieg radikaler Islamisten verhindern, da dieser zum Aufschwung der islamistischen Kräfte im Süden Russlands beitragen dürfte. Also müssen aus Moskauer Sicht die hinter Assad stehenden politischen Kräfte Einfluss und einen Teil der Macht behalten.

Die US-Position
Die USA haben natürlich mehr wirtschaftliche und militärische Ressourcen als Russland, aber den Bodenkrieg möchten auch sie lieber Anderen überlassen. Zum einen haben sie seit 2012 bis zu 10.000 eigene „Rebellen“ ausgebildet und bewaffnet, mit Kosten von mindestens 1 Milliarde USD. (3)

Zum anderen wird seit Herbst 2014 die Kooperation mit der kurdischen Miliz YPG Stück für Stück ausgebaut. Inzwischen werden Militärgüter aus der Luft abgeworfen, und eine kleine Zahl bewaffneter Spezialeinheiten in den Norden Syriens verlegt.

Trotz der jahrelangen Unterstützung der US-Regierung für die „Rebellen“ wird immer wieder aus Uninformiertheit oder militärischem Eskalationskalkül behauptet, der Westen unterstütze die syrischen Rebellen nicht und die Mär vom ‘kollektiven Nichthandeln‘ des Westens im Syrienkrieg verbreitet.

Richtig ist natürlich, dass die USA sich noch mehr hätten einmischen können, es aber nicht getan haben. Sie haben nur dafür gesorgt, dass die gegnerische Seite nicht die Oberhand gewann. Insofern haben sie den Krieg stets am Köcheln gehalten. Ihr Kollateralnutzen bestand darin, den Iran und die Hisbollah in den Krieg zu involvieren. Dadurch waren diese „beschäftigt“ und wurden von militärischen Abenteuern in Richtung Israel abgehalten. Das bescheidenere Ziel der US-Politik war offensichtlich: Es soll niemand den Krieg gewinnen, weder das Assad-Regime, noch die Rebellen. Das bedeutet, dass das Mantra „Assad muss gehen“ eigentlich schon seit Jahren relativiert ist. Auch nach dem Auftauchen des IS als neuem Akteur im syrischen Bürgerkrieg unterstützt die US-Regierung „ihre“ Leute nur mit angezogener Handbremse. Moderne Panzerabwehrwaffen strömen nach dem russischen Eingreifen vermehrt ins Kampfgebiet, aber moderne Luftabwehrwaffen (die alten aus libyschen Beständen sind offenbar inzwischen aufgebraucht) werden bewusst nicht geliefert. Auch im benachbarten Irak wird im Grunde die Drecksarbeit im Kampf gegen den IS dem Iran überlassen, der so auf einem weiteren Kriegsschauplatz beschäftigt ist. Vor diesem Hintergrund ist die US-Regierung an einem schnellen Verhandlungserfolg im Syrienkonflikt eher mäßig interessiert, zumal die Auswirkungen des Krieges die USA selbst kaum treffen. Bekanntlich fliehen die Menschen vor dem Krieg nach München und nicht nach Miami.

Optimistisch stimmen kann andererseits, dass sich die Beziehungen der USA zum Iran durch das Atomabkommen verbessert haben. Im Irak bekämpfen beide Staaten den IS. Daraus könnte sich auch eine gemeinsame Basis für den Syrienkonflikt entwickeln. Damit sind allerdings Konflikte mit den bisherigen arabischen US-Bündnispartnern vorprogrammiert.

Syrienpolitik der arabischen Regionalmächte
Die finanzkräftigen Regime Qatars und Saudi-Arabiens haben seit 2011 gewissermaßen ein „Rent-a-Revolution“-Projekt betrieben. Syrischen Soldaten wurden Überlaufprämien gezahlt, wenn sie sich in der Freien Syrischen Armee einreihten, die Rebellen erhielten Sold und Waffen.

Das Qatarische Regime hatte sich mit dem Assad-Regime nicht zuletzt über eine Pipeline gestritten, worauf unlängst die FAZ wieder hinwies: “Qatar hatte bereits vor dem Ausbruch des Kriegs in Syrien mit Assad die Verlegung einer Gaspipeline in die Türkei angeboten, was Assad jedoch ablehnte. Will Qatar nach Europa Gas liefern und bliebe Syrien als Transitland verschlossen, müsste das Land sein Gas – da auch der Irak keine Option ist – entweder durch Saudi-Arabien ans Rote Meer pumpen und von dort durch den Suezkanal in die Türkei verschiffen oder aber Europa teures verflüssigtes Gas LNG anbieten. Solange in Syrien Krieg herrscht und Russland seine Interessen verteidigt, fällt diese Route aus.“ (4)

Auch die saudische Regierung hat viel in den Syrienkrieg investiert und besitzt starken Einfluss in der Rebellenszene. In Riad war man besonders erbost, als russische Bomben die „eigenen“ Rebellen trafen. Hauptziel Riads bleibt, den iranisch-schiitischen Einfluss in Syrien und anderswo in der Region zurückzudrängen. Der Slogan „Assad muss weg“ übersetzt sich in Riad in „Iran raus aus Syrien!“. Dennoch konnte Riad den politischen Druck aus Moskau, Berlin und Washington nicht ignorieren, sich mit Teheran an einen Tisch zu setzen, vielleicht in der Erwarung, dass die Konferenz ergebnislos ende. Das entsprechende Spiel über die Bande geht dabei so: “Intern haben saudische Diplomaten allerdings das Einverständnis mit Assads Verbleib im Amt während der Übergangszeit signalisiert – vorausgesetzt, dass auch die von Riad unterstützten Oppositionsgruppen damit einverstanden sind. Das ist bislang allerdings nicht der Fall.“(5)

Türkei als Störfaktor
Auch die türkische Regierung ist ein Hindernis für eine Lösung. Jahrelang konnte unter türkischem Schutz der IS gedeihen, da dieser nicht zuletzt die kurdischen Milizen bekämpfte. Seit 2011 fordert die Türkei lautstark und immer wieder eine Flugverbots- und Schutzzone im Norden Syrien, um auf diese Weise den kurdischen Machtzuwachs auszuhebeln. Es ist nicht erkennbar, dass die Türkei in irgendeiner Weise mäßigend auf die eigene Rebellenklientel eingewirkt hätte. Im Gegenteil: es wurde großzügigst logistische und politische Unterstützung geleistet. Offensichtlich wurde sogar das Giftgas für die Angriffe auf Ghouta und Duma im August 2013 aus der Türkei geliefert.

Für die ausländischen Kämpfer, die in den Reihen der IS, der Al Nusra (Al Kaida) oder anderer islamistischer Milizen in den Krieg ziehen wollten, war die Türkei stets ein freundliches Transitland und Rückzugsgebiet.

Die US-Regierung ist inzwischen nicht mehr bereit, die kurdophobe Linie Ankaras mitzutragen. Nach dem Abwurf von US-Militärgütern für die kurdische Miliz im Oktober 2015 wurde der US-Botschafter von der türkischen Regierung einbestellt. Die angekündigte Entsendung von US-Spezialkräften zur Unterstützung der YPG dürfte die Beziehung zwischen der Türkei und den USA weiter verschlechtern.

Ausweg: Teilung Syriens?
Bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) denkt man bereits laut über eine Teilung des Landes nach. Die Autoren Markus Kaim und Oliver Tamminga bezweifeln, dass Russland „die syrische Regierung bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols auf dem gesamten Territorium des Landes unterstützen will bzw. kann… Denn hierzu wäre eine groß-angelegte Offensive mit russischen Bodentruppen erforderlich. Eine Verstetigung der ohnehin existierenden Grenzen der verschiedenen Herrschaftsgebiete dürfte die Folge sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest fraglich, ob eine westliche Syrien-Politik weiterhin darauf ausgerichtet sein sollte, die territoriale Einheit des Landes zu erhalten.“ (6)

Aktuell ist die Teilung Syriens militärische Realität. Als Konfliktlösung müsste aber auch ein solches dezentrales Konzept von den Konfliktbeteiligten politisch vereinbart werden. In der Konsequenz bliebe ein vom Assad-Regime beherrschter Kleinstaat, während auf der anderen Seite noch kleinere nicht zusammenhängende Gebiete im Norden und Süden Syriens entständen, die von der Opposition regiert würden.

Aussichten
Dass es gelingt, in den Wiener Gesprächen einen Waffenstillstand und einen politischen Kompromiss in Form einer zentralen oder dezentralen Lösung herbeizuführen, ist alles andere als sicher. Den beiden Großmächten USA und Russland scheint immerhin klar zu sein, dass keine Seite auf dem Schlachtfeld gewinnen kann. Auch der Iran dürfte einer Lösung nicht im Wege stehen. Eine Herkules-Aufgabe bleibt die Einbindung der syrischen Akteure und insbesondere der Regionalmächte – gerade nach dem Wahlsieg Erdogans.

Die US-Regierung hat bereits in der Vergangenheit Beweglichkeit vorgeführt, z.B. als sie sich von Russland 2013 von Luftschlägen gegen das Assad-Regime abbringen ließ. Damals wurde durch die Zusammenarbeit der Großmächte immerhin die Vernichtung des syrischen Chemiewaffenarsenals erreicht. Auch im Oktober 2015 zeigte sich die US-Regierung beweglich, als sie die Teilnahme des Irans an den Wiener Gesprächen zugestand.

 

Anmerkungen

1 Rainer Hermann: Bescheidene Ziele, FAZ 31.10.2015

2 http://www.heise.de/tp/artikel/45/45997/1.html – Englisch-sprachige Quelle: http://www.theguardian.com/world/2015/sep/15/west-ignored-russian-offer-in-2012-to-have-syrias-assad-step-aside

3 http://www.brookings.edu/~/media/research/files/papers/2015/06/23-syria-strategy-ohanlon/23syriastrategyohanlon.pdf

4 Rainer Hermann: Die Antwort auf Russland, in: FAZ 26.10.2015

5 Andreas Zumach: Wie lange noch Assad?, taz 30.10.2015, abrufbar: http://www.taz.de/!5242713/

6 http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A88_kim_tga.pdf

 

Der Artikel wurde von der Redaktion des FriedensForums gekürzt. In voller Länge und mit ausführlichen Belegen kann er hier nachgelesen werden: http://www.gruene-friedensinitiative.de/cms/wp-content/uploads/2015/11/G...

Uli Cremer ist Mitgründer der GRÜNEN Friedensinitiative und veröffentlichte 2009 das Buch „Neue NATO: die ersten Kriege“.

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Uli Cremer ist Mitglied in der Grünen Friedensinitiative.