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Die Zukunft der Friedensbewegung - Ein Vorschlag
vonDie Aufgabe
Die Friedensbewegung kann mit Fug und Recht behaupten, daß eine ihrer wichtigsten Forderungen nunmehr offizielle Politik wird, die Beseitigung der Pershing-II, Pershing-Ia und der Cruise Missiles. Sie kann ebenso behaupten, daß dies ein Erfolg auch ihrer Arbeit ist. Sie hat zu einer Veränderung des öffentlichen Bewußtseins und Klimas beigetragen, in dem der Abbau dieser Waffen realisierbar ist.
Damit ist die Friedensbewegung an einem wichtigen Einschnitt angekommen. Sie steht vor der Frage, wie sie ihre Weiterarbeit gestalten will, mit welcher neuen mittel- bis längerfristigen Kampagne, mit welcher erneuten Zuspitzung ihrer Forderungen auf eine politikfähige Orientierung, sie in Zukunft
- die Auseinandersetzung um die (Un)sicherheitspolitik der Regierenden fortführen und vertiefen will, um einen Bruch mit der Abschreckungslogik herbeizuführen
- erneute Aufrüstungspläne durchkreuzen will
- die Chancen der Entwicklung einer Abrüstungsdynamik nutzen will
- und ihre Vorstellungen einer politischen Entwicklung des Friedens, sozialer, ökonomischer und politischer Gerechtigkeit und von der Erhaltung der natürlichen Umwelt weiterentwickeln und öffentlich verankern will.
Dabei gilt es, vorhersehbare Fehler zu vermeiden, etwa sich nur gegen ein konkretes Aufrüstungsvorhaben zu wenden - eine neue so zentrale Forderung wie jene zu den Pershings kann und wird·es in den nächsten Jahren nicht geben. Der Friedensbegriff läßt sich nicht allein im Gegenüber zu militärischen Aufrüstungsschritten definieren. Genauso gefährlich wäre es, allein die Frage politischer Alternativen ins Zentrum der Weiterarbeit zu rücken. Weder läßt die reale Politik der Regierenden dies klug erscheinen, noch gibt es Sicherheit gegen die Gefahr der Verwechslung·von Utopie und Illusion. Auch fehlt eine ausreichend konkrete inhaltliche Übereinstimmung für ein wirklich breites politikfähiges Bündnis. Neues Denken allein sichert nicht den Erfolg auf dem steinigen Weg des Ausstiegs aus der Aufrüstung und des Einstiegs in eine Abrüstungsdynamik. Wie also eine gemeinsame neue Kampagne gestalten?
Einige Kriterien
Beginnen wir mit einigen Überlegungen zu Kriterien, die jede neue Kampagne der Friedensbewegung, jede neue Entscheidung über inhaltliche Schwerpunktsetzungen erfüllen sollten:
- Es wird darauf ankommen, daß ein neuer Arbeitsabschnitt die Mittel des Erfolges in der Kampagne gegen die "Nach“ Rüstung aufgreift: die fundierte Kritik herrschender (Un)sicherheitspolitik am Beispiel ausgewählter Aufrüstungsschritte (und an Abrüstung verhinderndem Verhalten in Rüstungskontrollverhandlungen); die Gleichzeitigkeit der Kritik konkreter Aufrüstungsmaß nahmen, der NATO-Strategie und der Abschreckungslogik als ganzer; das Wissen um die Tatsache, daß der Streit mit den Regierenden ein Streit um das öffentliche Bewußtsein ist, der in der Form konkreter Einzelforderungen ausgetragen wird; die Auswahl unserer Kernforderungen auch unter dem Gesichtspunkt nutzbarer Widerspruchslinien in herrschender Politik, insbesondere in der Bundesrepublik; das Ansetzen bei Forderungen nach ersten Abrüstungsschritten unserer Regierung; etc.
- Unsere zugespitzten Forderungen sollten machbare erste Schritte sein. Zugleich sollten wir unsere weitergehenden Zielvorstellungen deutlich machen. Es gilt, Ziele und erste Schritte zu unterscheiden. Letztere sollten sich auf die aktuelle politische Situation beziehen, bei den gefährlichsten Militär- wie Politikentwicklungen ansetzen und in der Öffentlichkeit mehrheitsfähig sein.
- Wir sollten unsere konkreten Forderungen auf drei Gebiete beschränken, um unsere Kräfte nicht zu verzetteln.
- Unsere neuen Schwerpunkte müssen konkret genug sein, um eine gemeinsame Kampagne für möglichst alle Menschen in der Friedensbewegung und ein geeignetes Dach für möglichst vielfältige Aktionen und Inhalte der Friedensarbeit vor Ort zu bilden und um·sich für die längerfristige tagespolitische Auseinandersetzung zu eignen.
Der Vorschlag
Aufbauend auf diesen Überlegungen schlage ich vor, eine mittelfristige Kampagne mit drei inhaltlichen Schwer punkten zu diskutieren und zu organisieren:
- Für eine Bundesrepublik ohne atomare, chemische und biologische Waffen
- Für eine deutliche Reduzierung der Rüstungsausgaben, der konventionellen Bewaffnung und der Truppenstärken
- Für Völkerfreundschaft aber gegen die Militarisierung der westeuropäischen Zusammenarbeit
Diese drei Punkte sollen vorgestellt, nicht inhaltlich begründet, aber mit Aktions- und Kampagnenideen gefüllt werden.** Das Ergebnis ist eine mittelfristige Kampagne mit Schwerpunkten, die nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis unserer Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit gleichgewichtig sein sollten.
- Für eine Bundesrepublik ohne atomare, chemische und biologische Waffen. Wir wollen eine Abrüstungsdynamik, die die Denuklearisierung der BRD beinhaltet. Zur Durchsetzung dieses Zieles können eigenständige Teilkampagnen dienen:
- Eine Kampagne für die Aufnahme des Atomwaffenverzichtes ins Grundgesetz (vgl. den Beitrag von Martin Böttger). Dieser Vorschlag zielt darauf, daß die Bundesrepublik grundsätzlich auf die Verfügung oder Mitverfügung über Atomwaffen verzichtet, sei es im Rahmen der NATO, im DeutschFranzösischen Verbund oder im Kontext einer europäischen Atomstreitmacht. Diese scheinbar die Politik aller Bundesregierungen spiegelnde Forderung birgt Zündstoff und die Chance, unsere politische Wirksamkeit bis weit in wertkonservative Teile der Bevölkerung und der Politik auszudehnen. Diese Kampagne bedarf der Eigenständigkeit. Eine Vermischung mit den Forderungen zu atomaren Waffen bräche ihr die politische Spitze. Sie fordert einen Akt freiwilliger außen und militärpolitischer Selbstbeschränkung, der einen Bruch mit der Abschreckungslogik befördert und einen erheblichen Zugewinn internationalen Vertrauens zur Folge hätte. Erster Aktionsschritt könnte eine Massenpetition (40Jahre GG 1989?) sein.
- Eine zweite Teilkampagne sollte sich gegen atomare, chemische (und biologische) Massenvernichtungsmittel auf dem Boden der Bundesrepublik richten, weil die BRD ohne diese Waffen und ohne nukleare Teilhabe sicherer wird.
Die Beseitigung der Mittelstreckenraketen ist für uns nur ein erster Schritt. Eine dritte Null-Lösung, die nur die Beseitigung der landgestützten Atomraketen mit 150-500 km Reichweite beinhaltet, wäre unzureichend, weil sie weder die bedrohliche atomare Artillerie noch die militärisch wichtigen und eskalationsträchtigen flugzeuggestützten Nuklearwaffen besonders berühren würde.
Diese Kampagne richtet sich auch gegen die nuklearen Modernisierungsbestrebungen der NATO,
- die seit 1986 laufende Rationalisierung des Atomwaffenpotentials der NATO (Beschluß von Montebello); den Versuch, neue nukleare Aufrüstungsbeschlüsse (als Kompensation für den INFVertrag) festzuklopfen, der verhindert werden muß.
- Diskussionen über Atomwaffenprojekte, die in Deutsch Französischer oder europäischer Zusammenarbeit zu realisieren wären. Auch solche "defensiven" Kampagnen gehören (leider) weiter zu unserer Arbeit. Eine Zusammenarbeit mit den Friedensbewegungen der westeuropäischen Länder bietet sich an (bereits anläßlich des NATO Gipfels in Brüssel oder bei der Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO in Kolding (Dänemark) geplant).
Auch die Auseinandersetzungen um die chemischen wie die biologischen Waffen dürfen· nicht vernachlässigt wer den.
- Der zweite zentrale Punkt ist die Reduzierung der Rüstungsausgaben, der konventionellen Bewaffnung und der Truppenstärken.
Für die Friedensbewegung sind längst nicht mehr nur die nuklearen Waffen ein "Sicherheitsproblem". Auch ein konventioneller Krieg in Europa ist nur um den Preis der Selbstzerstörung führbar. Das INF-Abkommen soll auch durch konventionelle Aufrüstung "kompensiert" werden. Offensiv orientierte Doktrinen wie AirLand Battle, FOFA, konventionelle Konzepte einer europäischen Raketenabwehr, die neue Marinestrategie der USA und wachsende Möglichkeiten zu einer begrenzten Kriegführung in Europa stellen äußerst gefährliche Entwicklungen dar.
Eine solche Kampagne kann deutlich herausstellen, daß die Friedensbewegung
- nukleare Abrüstung nicht um den Preis konventioneller Aufrüstung und verstärkter Offensivorientierung will, sondern auch im konventionellen Sektor abrüsten will;
- die durch die UdSSR angebotene auch ungleichgewichtige konventionelle Abrüstung zu drastischen Reduzierungen auch der westlichen Rüstung führen soll;
- und für eine Verwendung der freiwerdenden Gelder zugunsten der Beziehungen mit der·3.Welt, einer Konversion der Rüstungsindustrie, der sozialen Gerechtigkeit in der BRD, und zugunsten einer Politik der Erhaltung der natürlichen Umwelt einschließlich einer strikt nichtatomaren Energieversorgung eintritt.
Dieser Schwerpunkt der Arbeit der Friedensbewegung findet in der bisherigen Arbeit der örtlichen Gruppen eine Vielzahl von Ansatzpunkten: regionale Militarisierung, Umweltbelastungen durch das Militär, neue Stationierungsvorhaben, neue Waffensysteme, Rüstungsexporte, das Verhältnis von Sozial- und Rüstungsausgaben, etc. All das kann eingebracht werden, zu einer wirksamen Kampagne vernetzt werden.
Mit diesem Schwerpunkt gelingt es, den Kern der Rechtfertigung von NATO-Politik infragezustellen: das Bedrohungs- und Feindbild, symbolisiert durch die Behauptungen über "Invasionsfähigkeit" und "konventionelle Überlegenheit". Dieses Kernelement der Rechtfertigung sollte mit ins Zentrum unserer Arbeit rücken. Die Vorschläge für Aktionen zu Feindbildabbau und Versöhnung können sinnvoll in diesen inhaltlichen Zusammenhang eingegliedert werden.
Die Rahmenbedingungen für eine solche Kampagne sind günstig: Die Vorschläge der Staaten der Warschauer Vertragsorganisation zur konventionellen Abrüstung, die Tatsache, daß geburtenschwache Jahrgänge·die Aufrechterhaltung der Streitkräfte in ihrer heutigen Größe zu einem Problem machen, die deutlicher werdenden finanziellen Probleme bei immer teurer Aufrüstung.
- Mit dem dritte Schwerpunkt setzen wir uns für die Freundschaft der Völker in Westeuropa und gegen eine Militarisierung der Zusammenarbeit Westeuropa's ein. Es geht darum zu verhindern, daß mittel- oder langfristig die positiv besetzte Vorstellung einer wachsenden europäischen Integration in einer militarisierte Variante bis hin zu einer westeuropäischen militärischen Supermacht mit Atomwaffen Wirklichkeit wird. Eine Kampagne zu diesem Punkt kann auf drei Ebenen realisiert werden:
- Die Bundesrepublik und Frankreich sind die treibenden Kräfte der militärischen Integration Westeuropas. Eine Zusammenarbeit der Friedensbewegungen in der Bundesrepublik und in Frankreich hat erstmals intensiver begonnen. Die vereinbarte kontinuierliche Zusammenarbeit der Friedensbewegungen beider Länder, Überlegungen zu einer gemeinsamen Aktion aus Anlaß der Aufstellung der deutschfranzösischen Brigade Anfang Oktober in Böblingen und Möglichkeiten der friedenspolitischen Nutzung von Städtepartnerschaften bieten Ansatzpunkte für Aktivitäten.
- Bestrebungen, die·Westeuropäische Union zum Kern einer Militärgroßmacht Westeuropa zu machen, lehnen wir ab und setzen ihnen unsere Vorstellung einer Friedenskraft Europa entgegen.
- Schließlich gilt es zu verhindern, daß mit einer militärischen Kooperation der westeuropäischen Staaten ein Katalysator für die stockenden Bemühungen für eine westeuropäische politische Einigung im Kontext der EG oder der Europäischen Politischen Zusammenarbeit entwickelt wird.
Für ein Europa der Völkerfreundschaft - gegen westeuropäische Militärkumpanei!
Abschließende Gedanken
Eine neue mittel- bis langfristige Kampagne sollte in aufeinanderfolgenden Schritten aufgebaut werden, damit sie auf einem stabilen inhaltlichen Fundament basiert. Zu den ersten Schritten gehört zweifellos eine Informations- und Aktionskampagne, die unsere Argumente und Analysen wirklich vermittelt. In dieser. Phase sollten wir alle Initiativen bitten, die drei zentralen Forderungen vorort zu verbreiten, sie als "Dach" auch ihrer Arbeit zu verstehen, sie in all ihren Informations- und Werbematerialien zu verwenden und jeweils deutlich zu machen, in welchem Zusammenhang die örtliche Arbeit mit diesen Forderungen steht. Keine der drei zentralen Forderungen ist wirklich verzichtbar.
Erst auf Basis des Wissens über den Entwicklungsstand der verschiedenen Teilelemente der Kampagne sollten wir über neue bundesweite Großaktionen entscheiden, deren erste (möglichst 1989) dann Startsignal für eine neue große gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung um Friedens- oder (Un)sicherheitspolitik sein sollte.
Wir haben eine Chance - nutzen wir sie!