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Streitbare Theologin und Dichterin
Dorothee Sölle
vonDorothee Sölle (1929-2003) “war eine evangelische feministische Theologin und Pazifistin. Eine Anerkennung im deutschen Universitätsbetrieb blieb ihr weitgehend versagt. Als theologische Schriftstellerin und Rednerin war sie weltweit bekannt und umstritten”, so Wikipedia. In der zweiten Hochphase der Friedensbewegung gehörte sie zu den Symbolfiguren und wurde wegen Sitzblockaden vor der Raketenbasis Mutlangen und dem Giftgasdepot Fischbach verurteilt. Sie trug für viele durch Veröffentlichungen und persönliche Ansprache mit engagierten, nachdenklichen Äußerungen zur Motivierung und zur inhaltlichen Differenzierung im öffentlichen Diskurs bei.
Im Vertrauen auf die menschliche Lernfähigkeit (siehe Im Hause des Menschenfressers 1981, S. 11) verzichtete sie in kaum einem ihrer Bücher darauf, von dem Grundthema ihres Lebens zu sprechen, von Krieg und Frieden, von zerstörerischer Gewalt und schöpferisch-belebender Gewaltfreiheit. (1)
Ihr gesamtes literarisches Werk, nicht nur das an der Politik orientierte, erwuchs aus zwei Wurzeln: aus der weltzugewandten, “ganz unzerstörbaren Liebe zum Leben” (Gegenwind 1995) und aus der Betroffenheit über gesellschaftliche Verhältnisse, dem Leiden an den unterschiedlichen Ausprägungen von Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und anmaßender Herrschaft. Sie befasste sich ab 1968 kritisch-solidarisch mit dem Vietnamkrieg, mit der Unterdrückung in Lateinamerika, mit der Apartheid, der Hochrüstung und der Militarisierung unserer Gesellschaft. Wie für die deutschen katholischen Bischöfe in ihrem Hirtenbrief “Gerechter Friede” 2002 (der Geist der Gewaltfreiheit bedeute „nicht Schwäche ..., sondern Stärke, nicht Wegschauen, sondern Hinsehen, nicht Heraushalten, sondern Einmischen“) hieß auch für sie Christsein, sich einzumischen. Verantwortung für die Welt bedeutete für sie: Weltveränderung. (2). Sie hat sich keine Illusionen darüber gemacht, wie schwer diese Aufgabe ist und welchen Widerständen sich Menschen wie sie gegenüber sehen. Aber sie hatte an sich selbst erfahren: “Wo Hoffnung existenziell wird, da bringt sie zwei liebliche Töchter hervor: Zorn und Mut” (aus: Den Rhythmus des Lebens spüren, 2001), beides wichtige Triebkräfte für langwierige Auseinandersetzungen.
So sehr sie feinfühlig (und in Versen wunderbar poetisch) zu formulieren verstand, so sehr konnte sie zuspitzen. Wer ihr literarisches Werk vergleichend liest, wird unvermeidlich nicht nur Klarheit der Sprache und stilistische Prägnanz feststellen, sondern auch auf plakative, verkürzende Aussagen stoßen (“Sie sagen Frieden und meinen Öl”, “theologische Harmlosigkeit ist eine der Hauptformen von Heuchelei, die in den Kirchen gepflegt wird” – aus Das entprivatisierte Gebet in Aktion Politisches Nachtgebet 1971, S. 21). Einiges, was sie – manchmal eben nur kurz - benannte, wirkte provokativ: “Für diesen einen Satz habe ich dann wochenlang Prügel bezogen”, schreibt sie in “Gegenwind”. Natürlich war es nicht primär die Sprache, die Gegenwind einbrachte, sondern es waren einerseits ihre protestantischen Positionen (Stichwörter “Atheistisch an Gott glauben 1968”, Gott sei “nicht der alles vermögende, allmächtige Papa” (Das entprivatisierte Gebet, S. 19-26), Befreiungs-Theologie, Feminismus, Mystik) und andererseits vor allem ihre autoritätskritischen und antimilitaristischen Perspektiven, aus denen sie niemals einen Hehl machte. Sie “wagte das zu sagen, was sich andere nicht zu sagen trauten”. 3).
Es ging ihr besonders in den Äußerungen über kriegerische Gewalt darum, “so militant, so gewaltfrei und so illegal wie Jesus und seine Freunde” (Gegenwind 1995, S.223) zu sein. Sie sei nicht Pazifistin, weil eine außerirdische Autorität namens Gott das Gebot ‚Du sollst nicht töten‘ auf steinerne Tafeln geschrieben habe, sondern weil der höchst irdische Mensch aus Nazareth ... zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern das waffenlose Leben, die Freiheit vom Tötenwollen oder Tötenmüssen bereits gelebt habe. Jesus überzeuge sie. (Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden 1978, S. 133).
“Gerechtigkeit und Frieden gehören so zusammen, wie Aufrüstung und Krieg zusammengehören. Nur zusammen mit der Gerechtigkeit entsteht Frieden im vollen Sinn des Wortes Schalom. Biblisch gedacht ist es daher falsch zu behaupten, die Atombomben hätten uns vierzig Jahre lang den Frieden garantiert, insofern sie in derselben Zeit den Menschen der Zweidrittelwelt das Verhungern garantiert haben. Ein auf Abschreckung und Gewalt, Terror, Elend und Drohung beruhender Frieden ist antibiblisch, weil er Rüstung, nicht Gerechtigkeit zur Grundlage des Friedens macht.” (Den Rhythmus des Lebens spüren 2001, S. 158).
Ähnlich wie ihrem Dichter-Freund Erich Fried (“ich wollte dir nur sagen, dass du unbedingt weiter Gedichte schreiben sollst” (Gegenwind 1995, S.303) gelangen auch ihr zur Friedensthematik sehr eindringliche Verse, wie hier in zivil und ungehorsam 1990 (S. 137):
Laßt uns die neuen wege suchen
wir brauchen mehr phantasie als ein rüstungsspezialist
und mehr gerissenheit als ein waffenhändler
und laßt uns die überraschung benutzen
und die scham die in den menschen versteckt ist (4)
Wortmächtig und anregend hat sie das Wort genutzt, um den Friedenswillen anderer zu stärken.
Anmerkungen
1) U.a. in Fürchte dich nicht, der Widerstand wächst 1982, Wie den Menschen Flügel wachsen. Über Umkehr aus dem Gewaltsystem 1984 (gemeinsam mit Hans-Eckehard Bahr), Zivil und ungehorsam, Gedichte 1990, Gewalt. Ich soll mich nicht gewöhnen 1994, Mystik und Widerstand 1997. Siehe auch: Phantasie und Gehorsam 1968, Leiden 1973, Die revolutionäre Geduld, Gedichte, 1974, Wählt das Leben 1980, Im Hause des Menschenfressers, Texte zum Frieden 1981, Aufrüstung tötet auch ohne Krieg 1982, Ein Volk ohne Vision geht zugrunde 1986, Das Fenster der Verwundbarkeit, Theologisch-politische Texte 1987, Nicht nur Ja und Amen, von Christen im Widerstand 1989, Gegenwind. Erinnerungen 1995, Das Lied der Erde singen – in einer Welt ohne Gewalt, Hörbuch, 2003
2) Phantasie und Gehorsam, “Verantwortung für die Ordnung der Welt” = “Betreiben der Weltveränderung”, 1968, S. 34
3) Karen Bloomquist in “Dorothee Sölle - Eine feurige Wolke in der Nacht”, Publik-Forum Extra 2004, S. 28