Irankrise

Drohnen-, Wirtschafts- und Cyberkrieg

von Karl Grobe
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Ermordung des iranischen Generals Qassem Soleimani und des irakischen Offiziers Abu Mahdi al-Muhandis hat den Konflikt zwischen den USA und Iran verschärft. Kurze Zeit schien ein offener Krieg unvermeidbar. Es blieb bei einem Krieg ohne direkte Beteiligung der Streitkräfte – Wirtschaftskrieg mittels Sanktionen, Cyber-Krieg, „maximum pressure“ (Trump). Das Ziel, die iranische Regierung zu stürzen, haben die USA nicht aufgegeben. Doch auch das Teheraner Regime bleibt militant.

Am 3. Januar beschoss eine US-Drohne in der Nähe des Bagdader Flughafens ein Auto. Getötet wurden Soleimani, der Kommandeur der Quds-Brigaden, und Muhandis, der für die Bagdader Regierung den Kampf gegen die radikalen Islamisten (al Qaida und „Kalifat“) geführt hatten. Der Befehl zu diesem Mordanschlag kam direkt von US-Präsident Donald Trump; der militärische Apparat der USA war offenbar nicht daran beteiligt. Dass der Präsident mit der Attacke in einem fremden Land gegen internationales Recht verstieß, war offensichtlich; der rechtfertigenden Einlassung von Außenminister Mike Pompeo, Soleimani und die Quds-Brigaden hätten die Tötung vieler Amerikaner*innen beabsichtigt, lagen keine Fakten zugrunde. Vielmehr war Soleimani diesmal als Überbringer eines Verhandlungsangebots unterwegs: Iraks Regierungschef Adel Abdul Mahdi sollte helfen, zwischen Iran und Saudi-Arabien (einem Konfliktpartner der USA) zu vermitteln. Und Muhandis war entschiedener Verbündeter der USA gegen al-Qaida; das Bagdader Parlament mit der Forderung nach Abzug der ausländischen Truppen aus Irak. Das geschah jedoch nicht. Premier Mahdi trat zurück – unter dem Druck einer schon länger andauernden Protestbewegung gegen Misswirtschaft, Korruption und Verelendung –, die Militärs aus verschiedenen Nato-Staaten (darunter Deutschland) blieben im Lande.

Iran hatte mit Raketenangriffen gegen zwei US-Stützpunkte in Irak auf die Ermordung Soleimanis reagiert – nach Vorwarnung; US-Soldat*innen kamen nicht ums Leben. Das Teheraner Regime war zu Jahresbeginn 2020 eher an Entspannung als an Verschärfung der Krisen interessiert. Die von den USA verhängten Sanktionen beeinträchtigten die Wirtschaft erheblich. Der Ölexport – wichtigste Devisenquelle – ging zurück. Der Devisenhandel selbst war durch Sanktionen lahmgelegt, Irans Konten im Ausland eingefroren, der Zugang zu Märkten etwa für Medikamente, Nahrungsmittel oder Ersatzteile für Flugzeuge versperrt. Nach der 2015 erzielten Einigung über das iranische Atomprogramm hätten die Handelshindernisse abgebaut werden sollen, wozu es aber nicht kam. Und nachdem die USA unter dem damals neu gewählten Präsidenten Trump im Mai 2018 einseitig aus dem Vertrag ausgeschieden waren, setzten sie die Sanktionen wieder in Kraft und drohten allen Staaten und Firmen, die mit Iran dennoch zusammenarbeiten oder dort tätig werden wollten, faktisch die Aussperrung vom US-Markt an (wobei sich der Merksatz bestätigte, „Rechtsfragen sind Machtfragen“; Wirtschaftsmacht geht vor Souveränität).

Regime-change ist keine Option
Seit Mitte 2016 hatten Streiks, Proteste und Demonstrationen im ganzen Land zugenommen, unter anderem wegen der Verdoppelung der Benzinpreise. Die Reaktion auf den Soleimani-Mord schien die Mehrheit der Iraner*innen dann wieder auf die Seite der Regierung zu bringen. Doch der Abschuss eines ukrainischen Flugzeugs kurz nach dem Start von Teheran und das mehrtägige Leugnen durch die Regierung erzeugten neuen Protest. Am Ende schlug sich das im Ergebnis der Majlis-Wahlen nieder. Entscheidend ist dabei nicht, dass die Hardliner („Principlisten“) und ihre konservativen Mitläufer über 75% der Sitze eroberten; von knapp 16.000 Bewerber*innen hatte der prinzipientreue Wächterrat von vornherein die Hälfte ausgeschlossen und vor allem die Reformer*innen von der Kandidatur ausgesperrt. Entscheidend ist die Wahlbeteiligung: nur knapp über 42%, in der Hauptstadt Teheran nur gerade 26%. Das Regime ist politisch schwach, administrativ aber weiterhin stark.

Über die Wirtschaft verfügen in erster Linie die Revolutionsgarden (Pasdaran), seit ihnen die Kontrolle der einstigen kaiserlichen und vieler religiöser Stiftungen (in Wahrheit Wirtschaftsverbände) übertragen worden ist und die unter Rouhanis Vorgänger Ahmadimedjad ihre Macht weit über ihre militärische Funktion hinaus ausgebaut haben. Sie sind mit der Theokratie der Mullahs eng verflochten. Insgesamt ist die Machtelite weit vom Volk entfernt. Weder den „Principlisten“ noch die Gemäßigten, die (wie Präsident Rouhani) alles andere als Systemkritiker sind, vertraut das Volk. Doch eine sich formierende Gegen-Gewalt besteht nicht. Daher ist die US-Sehnsucht nach „regime change“ Illusion.

Exil-Gruppierungen und Sekten wie die Anhänger des Schahs, liberale Persönlichkeiten oder gar die Volksmudjahedin, die sich für individuellen Terror in Iran hergeben, können den Regimewechsel erst recht nicht herbeiführen. Doch manche von ihnen sind zu Instrumenten des US-Interventionismus geworden.

Den konstatiert Iran seit 67 Jahren, seit nämlich das national-reformerische Regime des Mohammed Mossadegh durch einen Putsch unter Führung der CIA („Operation Ajax“) gestürzt wurde. Damals ging es um Kontrolle über das Erdöl; die britische Besitzer-Firma AIOC wurde von Mossadegh nationalisiert, nach seinem Sturz wieder an die AIOC und eine Reihe anderer – besonders auch amerikanischer – Trusts übergeben. Das ist in Iran unvergessen. Von 1953 bis 1979 herrschte Mohammed Reza Pahlevi zwar selbstherrlich, aber stets an der langen Leine Washingtons. Sein Sturz und vor allem die Besetzung der US-Botschaft in Teheran Anfang November 1979 sind andererseits in der amerikanischen Erinnerung gespeichert. Beide Vorgänge sind Markierungspunkte der langdauernden Auseinandersetzung.

Langwährender Konflikt
Diese findet auf verschiedenen Schauplätzen statt, allerdings bisher nicht als offener bewaffneter Konflikt. Der ökonomische Konflikt ist der bisher sichtbarste und wirkumgsvollste. Im Völkerrecht werden kollektive Maßnahmen nach Artikel 39ff der UN-Charta als Sanktion bezeichnet (UN-Sanktion). Sie erfordern einen Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechendes UN-Mandat. Die USA haben einzelne iranische Personen und Unternehmen mit Sanktionen belegt, indem sie ihnen beispielsweise den Zugang zu Geldmärkten sperrten. Nach dem Abschluss des Atom-Deals (JCPOA) hoben die EU und die UN die meisten Sperrmaßnahmen gegen Iran auf. Einige Beschränkungen bleiben jedoch in Kraft; hierzu zählen die Beschränkungen für die Weitergabe „proliferationsrelevanter Güter“, die Embargos für Waffen und Trägersysteme und die restriktiven Maßnahmen gegen einige der Personen und Einrichtungen auf der Liste.

US-Präsident Trump setzte die Handelsverbote sofort wieder in Kraft, nachdem die USA einseitig aus dem JCPOA-Abkommen ausgestiegen waren. Im August 2019 listete Washington auf:

  • Der Verkauf von Öl vom Iran ins Ausland wird verboten.
  • Die iranische Regierung darf keine Dollar-Banknoten mehr kaufen.
  • Niemand im Iran darf Gold oder andere Edelmetalle wie Silber oder Platin im Ausland einkaufen oder in andere Länder verkaufen.
  • Der Verkauf, die Lieferung oder das Weiterleiten von Graphit, Metallen wie Aluminium oder Stahl, Kohle und Software für Unternehmen von und nach Iran wird verboten.
  • Die iranische Regierung darf keine „bedeutenden Geldüberweisungen“ mit ihrer Währung Rial tätigen.
  • Iran darf staatliche Schulden, die in Wertpapiere umgewandelt wurden („Staatsanleihen“) weder kaufen, verkaufen noch neu ausgeben.

Daraufhin zogen sich zahlreiche europäische Firmen, die inzwischen wieder Iran-Kontakte aufgebaut hatten, wieder zurück. Ein Versuch der drei europäischen JCPOA-Unterzeichner (Frankreich, Großbritannien und Deutschland) sowie der EU, eine von den Finanz-Sanktionen unabhängige Methode zu entwickeln, schlug fehl. Am Ende setzte auch Teheran wesentliche Teile des Atomabkommens außer Kraft. Die Kündigung durch die USA bewirkte also außer dem Wirtschaftskrieg, dass ein nukleares Wettrüsten in der Region beginnt.

Cyber War
Ein weiterer Konflikt-Schauplatz ist der elektronische Krieg („Cyber War“). 2010 ¬– fünf Jahre vor dem JCPOA-Abschluss – legte ein Computervirus namens Stuxnet die Uran-Anreicherung in Natanz lahm, zerstörte an die 1000 Zentrifugen und befiel an die 30.000 Computer in Iran. Danach trafen Viren wie Flame und Wiper die iranische Ölwirtschaft. Als Urheber wurden USA und Israel genannt, wie die Washington Post meldete. Aber erst im Oktober 2019 bestätigten US-Stellen, dass sie einen Cyber-Angriff zur Abschreckung getätigt hatten.

Unterdessen hatte Iran wenigstens fünf  Gruppen mobilisiert, die Cyber-Angriffe gegen US-Einrichtungen führten. Bekannt wurde die Kaperung einer offiziellen Washingtoner Einrichtung nach dem Mordanschlag auf Soleimani. Die Webseite zeigte einige Zeit eine Karikatur Trumps und entsprechende Texte. Schon 2012 hatten iranische Hacker Banken in den USA angegriffen und blockiert. Cyber-Spionageangriffe trafen Luftfahrt- und Militäreinrichtungen in den USA, Saudi-Arabien und Südkorea. Weitere Cyber-Angriffe trafen die Ölwirtschaft in Saudi-Arabien. Rund dreißig größere Cyber-Attacken sind öffentlich genannt worden. Iran gehört (neben USA, China und Israel) zu den Staaten, die über besonders ausgefuchste Cyber-Waffen verfügen. Sie sollen imstande sein, Stromnetze, Kraftwerke, Versorgungseinrichtungen und Infrastrukturanlagen auszuforschen, zu stören und ihre Funktionen lahmzulegen. Das ist eine neue Dimension der Kriegsführung.

Terror und Stellvertreterkriege
Dagegen gehören Terroraktionen schon zum klassischen Arsenal. Iran hat sich ihrer bisher nicht ausgiebig bedient. Auf der anderen Seite gehen die Ermordungen iranischer Atomwissenschaftler (etwa vom vorbeifahrenden Motorrad aus) wahrscheinlich auf das Konto der USA (oder Israels), die Ausführenden aber in den Umkreis der Volksmudjahedin.

Im weiteren Zusammenhang sind Stellvertreterkriege wie der Saudi-Arabiens im Jemen und die Aktivitäten von Hilfstruppen wie der Hisbollah in Syrien und Libanon, die Instrumentalisierung ethnischer und religiöser Gruppen und Raketenangriffe (etwa der jemenitischen Huthi-Rebellen gegen das Zentrum der saudischen Ölindustrie) Bestandteile des Konflikts. Und die Äußerungen von Kommandeuren und Generalen der Pasdaran (Revolutionsgarden) bei Gedenkfeiern für Soleimani vierzig Tage nach seiner Ermordung deuten eine weitere Dimension des Konflikts an. Die Offiziere lobten Soleimani für die Aktivitäten der ihm unterstellten al Quds-Brigaden, einer Sonderabteilung der Pasdaran (Revolutionsgarden), und proklamierten, der Anschlag gegen Soleimani habe den Countdown zur Zerschlagung Israels eingeleitet. Iranische Stellen distanzierten sich von dieser Rhetorik. Die darin enthaltene Eskalationsgefahr ist nicht beseitigt.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.