Russland

Echtes Wettrüsten oder Potemkinsche Dörfer?

von Christine Schweitzer
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Der russische Präsident Putin hat in seiner Rede am 1. März 2018 eine Reihe von Behauptungen zu den russischen atomaren Fähigkeiten aufgestellt. Die Kommentare in der westlichen Presse schwankten zwischen Kommentaren über Wettrüsten und Warnungen von ExpertInnen, dass Putins Aussagen nicht alle unbedingt glaubhaft seien. Baut Putin nur Potemkinsche Dörfer 1? Hier sollen die wichtigsten Punkte seiner Rede zusammengefasst werden:

Generell ziehen sich durch den zweiten, außenpolitischen Teil seiner Rede die wiederholten Aussagen, dass alles jetzt viel besser sei – man habe, wie Syrien zeige, mehr moderne Waffen, habe den Radarschirm an Russlands Grenzen wieder vervollständigt, Russland verfüge über 80 neue interkontinentale Raketen (vom Typ Yars, 102 U-Boot-stationierte ballistische Raketen und drei atomar angetriebene U-Boote der Borei-Klasse, die Zahl von lenkbaren Cruise Missiles sei 30-fach erhöht worden. Ebenso sei man u. a. bei der Entwicklung von Drohnen sehr vorangekommen, und die Prozentzahl einsatzbaren Geräts läge bei 95 – 100 Prozent.

Anschließend sprach er „von den neuesten Systemen russischer strategischer Waffen, die wir in Reaktion auf den einseitigen Rückzug der USA von dem ABMVertrag der praktischen Stationierung ihrer Raketenabwehrsysteme sowohl in den USA wie jenseits der US-Grenzen entwickeln“. Nach einem Absatz über sein Bedauern über die Kündigung des ABM-Vertrags – und, so heißt es weiter unten, einer Entwertung des New START-Abkommens, weil die USA unkontrolliert aufrüsteten – , so dass Russland nichts anderes übrig bleibe, als seine Fähigkeiten zu verstärken, folgt ein Satz, der viel über die Denkweise der heutigen Regierung aussagt:

„Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat Russland, das als Sowjetunion oder im Ausland als sowjetisches Russland bekannt war, 23,8 %seines nationalen Territoriums, 48,5 % seiner Bevölkerung, 41 % des Bruttoinlandsprodukts, 39,4 % seines industriellen Potenzials … sowie 44,6 % seiner militärischen Fähigkeiten aufgrund der Aufteilung der sowjetischen Streitkräfte zwischen den früheren Sowjetrepubliken verloren.“

Russland habe deshalb angesichts der Bedrohung durch die USA seit deren Rückzug aus dem ABM-Vertrag, insbesondere seit dem Aufbau des Antiraketenschirms, neue Modelle strategischer Waffen entwickelt:

  •  Russland habe Systeme, mit denen die Raketenabwehr der USA überwunden werden können, und die in alle Interkontinentalraketen eingebaut seien.
  • Die Interkontinentalrakete Sarmat werde die sowjetische Voevoda ersetzen. Sie könne verschiedene atomare Sprengköpfe tragen, einschließlich Hyperschallwaffen, und sei in ihrer Reichweite praktisch unbegrenzt.
  • Waffen, die keiner ballistischen Flugkurve folgen und gegen die die Raketenabwehrschirme deshalb hilflos seien: Erlauben würde dies ein atomarer Antrieb für verschiedene Raketensysteme. Er sei Ende 2017 erfolgreich getestet worden. (Dies ist ein Punkt, den die westlichen ExpertInnen infrage stellen: Solche Antriebe seien in früheren Jahrzehnten in Ost wie West getestet und dann verworfen worden.)
  • Darauf aufbauend könne jetzt ein neuer Typ von Waffe, ein strategisches Atomwaffensystem mit einer atomar angetriebenen Rakete, entwickelt werden.
  • Drohnen, die sich, atomar angetrieben, unter Wasser in großer Tiefe von Kontinent zu Kontinent bewegen können. Sie könnten konventionelle oder atomare Sprengköpfe tragen.
  • Russland habe bereits eine Hyperschallwaffe (extrem schnelle – 10 mal schneller als der Schall), „Kinzhal“, entwickelt, und zwar als eine lenkbare Rakete, die von schnellen Flugzeugen aus abgefeuert werden kann und die eine Reichweite von über 2000 km habe.
  • Ein strategisches Raketensystem mit einer neuen Kampfausrüstung – einer Gleitflügeleinheit.
  • Außerdem baue man an einem weiteren neuen Typ strategischer Waffen namens „Avangard“, und
  •  man habe signifikanten Fortschritt bei Laserwaffen gemacht, mit denen die Truppen seit 2017 ausgerüstet seien.

Nach der mit Videos unterfütterten Aufzählung all dieser Waffensysteme betonte er noch, dass Russland sie nur zur Verteidigung benötige. „Wir bedrohen niemanden, werden niemanden angreifen oder irgendetwas irgendjemandem durch die Drohung mit Waffen wegnehmen“. Und er fügte hinzu, dass „unsere Militärdoktrin sagt, dass Russland sich das Recht reserviert, Atomwaffen ausschließlich in Reaktion auf einen atomaren Angriff, oder einen Angriff mit anderen Massenvernichtungswaffen gegen das Land oder seine Verbündete, oder einen Akt der Aggression gegen uns mit konventionellen Waffen, der die Existenz des Staates bedroht, einzusetzen.“ Jede Verwendung einer Atomwaffe, egal wie groß, auf Russland oder seine Alliierten würde als atomarer Angriff auf Russland gewertet werden. Dies ist eine klare Warnung an die USA.

Anmerkung
1 Der Ausdruck geht zurück auf eine Erzählung über den russischen Feldmarschall Reichsfürst Grigori Alexandrowitsch Potjomkin. Er habe nach dieser Legende vor dem Besuch seiner Herrscherin im neu eroberten Neurussland im Jahr 1787 entlang der Wegstrecke zum Schein Dörfer aus bemalten Kulissen errichten lassen, um das wahre Gesicht der Gegend zu verbergen. (Wikipedia.de)

Die Rede kann in Englisch hier nachgelesen werden: http://en.kremlin.ru/events/president/news/copy/56957

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.