Das "Wunder" von Gorski Kotar

Ein alter Mann als Friedensstifter

von Werner Wintersteiner
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Ständig werden wir mit unfassbaren Gräuelmeldungen über den Krieg am Balkan konfrontiert. Von der anderen Seite, von den Friedensstif­tern, die es auch gibt, ist kaum die Rede. Deshalb soll hier von einem Mann erzählt werden, dem es gelungen ist, wenigstens in seiner Ge­gend den Kampf abzuwenden und den Frieden zu bewahren. Denn der Krieg bricht nicht einfach aus, er wird gemacht. Viele Menschen tragen dazu bei, Misstrauen und Hass aufzustauen, Waffen herbeizuschaffen, den ersten Schuss abzufeuern. Und der Frieden hängt oft davon ab, ob jemand den Mut hat, für die Vernunft einzutreten - auch gegen den Wi­derstand und die Skepsis der eigenen Leute.

Franjo Starcevi'c lebt in der Region Gorski Kotar im Westen Kroatiens, süd­lich der (slowenischen) Gottschee und östlich von Rijeka. Der Professor für Psychologie und Philosophie hat 1971 wegen seines Eintretens für die kroati­sche Autonomie seinen Arbeitsplatz verloren. Inzwischen pensioniert, lebt er zurückgezogen in seinem (kroatischen) Geburtsort Mrkopalj, wo er großen Einfluss hat. Im Spätherbst 1991 drohte der Krieg auch seine Region zu erreichen. Die Kroaten und Serben, die relativ ge­schlossen in ihren Dörfern lebten, hatten schon Waffen gesammelt und Barrika­den gebaut. Es fehlte nicht mehr viel, und es wäre auch hier zu Kämpfen ge­kommen. Doch durch sein mutiges En­gagement ist es dem alten Mann gelun­gen, diese Gefahr abzuwenden. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen:

"Im vorigen Jahr, im November oder Dezember, als der Krieg in Kroatien voll im Gang war, habe ich mich ent­schieden, in unser Nachbardorf Jasenak zu gehen, welches ganz serbisch ist und sich auf der anderen Seite eines Berges, der Bjelalasica, befindet. Zwischen den beiden Dörfern, die rund 30 km vonein­ander entfernt sind, besteht eine tradi­tionelle Freundschaft. Es gab früher viele kroatische und serbische Dörfer, die eng verbunden waren, aber diese Freundschaft ist zerbrochen, und zwar sehr brutal. Also, ich komme nach Jasenak, und sie waren sehr gastfreund­lich, wie die Serben immer sind. Das ist ihre nationale Eigenschaft. Ich habe den Leuten aus dem Gemeinderat gesagt, daß es sehr dumm ist, jetzt im 20. Jahr­hundert mit Waffen gegeneinander zu kämpfen. Das Gespräch dauerte einige Stunden.

Worte gegen Waffen

In diesem Gespräch war natürlich die Schwierigkeit, daß es schon auf beiden Seiten Barrikaden gab. Wir haben damit angefangen, weil wir eine Offensive der Volksarmee befürchteten. Wir hatten zehn Bäume auf die drei Verbindungs­straßen Richtung Jasenak gelegt. Darauf haben die Serben auch auf ihrer Seite Straßensperren errichtet. Und sie hatten viel mehr Waffen als wir. Aber ich habe versprochen, daß wir unsere Barrikaden wegräumen.

Als ich zurückgekommen bin, habe ich alles das unserem Bürgermeister erzählt und auch in unserer Provinzstadt Del­nice darüber berichtet. Und wir haben beschlossen, daß diese Aktion richtig war und daß man sie ausweiten muß. Vorher waren meine Leute sehr skep­tisch und dagegen, daß ich nach Jasenak fahre. Sie hatten geglaubt, daß es ge­fährlich und unsinnig ist, zu den Serben zu gehen. Aber jetzt sahen alle, daß es erfolgreich war.

Nach etwa zwei Monaten, zu Beginn dieses Jahres, bin ich ein zweites Mal nach Jasenak gefahren. Vorher haben wir unsere Barrikaden weggeräumt, um ihnen zu demonstrieren, daß wir es ehr­lich meinen. Und diesmal bin ich länger geblieben. Wir sind als Freunde geschie­den. Und dann haben sie, viel­leicht nach einem Monat, auch ihre Bar­rikade weg­geräumt. Und unsere Bezie­hungen sind besser und besser gewor­den. Im Mai war ihre Delegation bei uns, und jetzt können wir diese guten Beziehungen fortsetzen.

Ein Denkmal des Friedens

Auf unserer Seite des Berges gibt es auch Serben, und wir haben sie auch be­sucht, und jetzt besteht zwischen uns Ruhe und Frieden. Als Symbol für die­sen Frieden wollen wir auf dem Berg zwischen unseren Dörfern, auf der Bje­lolasica, ein Denkmal bauen, in der Form von zwei ineinander geschlunge­nen Händen. Und wenn es dann, noch vor diesem Winter, fertig ist, wollen wir alle - Serben und Kroaten - dort hinauf­steigen und sagen: Niemals mehr soll zwischen uns Hass und Feindschaft sein."

Frano Starcevi'c führt den Erfolg seiner Mission auf eine Reihe von objektiven Faktoren zurück: Gorski kotar, die Re­gion, liegt sehr im Westen Kroatiens, wo der Krieg kulturell eine geringere Rolle spiele. Kriegshelden würden nicht gefeiert, auch in der Erziehung lege man auf Frieden viel Wert. Die traditionelle Freundschaft zwischen serbischen und kroatischen Dörfern habe auch an­derswo bestanden, aber hier habe man in den letzten Jahren die Differenzen nicht so hochgespielt. Und vor allem habe man nicht aufgehört, gemeinsame Ak­tionen durchzuführen. Vor allem die Ge­denkfeier für die Partisanen, die hier im 2. Weltkrieg erfroren sind, habe man in Form einer "Friedensfeier" fortge­führt. Heuer im Herbst will man sie zu einem "Alpen-Adria-Friedensfest" mit interna­tionaler Beteiligung ausweiten.

Franjo Starcevi'c spricht bedächtig und bescheiden, doch für mich gibt es kei­nen Zweifel. Er ist ein Held, ein Frie­densheld.

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Krisen und Kriege
Werner Wintersteiner, Universität Klagenfurt, ist Herausgeber der friedens-politischen Zeitung alpe adria.