Asylbeschluss des SPD-Sonderparteitages

Ein Grundrecht zum Abbruch frei

von Herbert Leuninger
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"Diese Partei ist nicht zu halten" - so der Eindruck von Beobachtern aus Menschenrechtsgruppen beim Sonderparteitag. Beim Asyl-"Kompro­miss" unterscheidet sich der Frankfurter- nicht mehr vom Seeheimer-Kreis. Nur die Jusos und wenige gestandene Sozialdemokraten sehen in dieser Nacht aus wie das heulende Elend. Ansonsten wird eher der Kabarettist Matthias Deutschmann bestätigt: "Wenn diese Partei Gewis­sensbisse hat, sind das schon Phantomschmerzen". Fast gewiss ist, daß die Bundestagsfraktion in den Verhandlungen mit der Regierungskoali­tion das Grundgesetz und die Menschenrechte noch weiter beschädi­gen wird. Den SPD-Par­teitagsbeschluß kommentiert Herbert Leuninger am Tag danach:

Die SPD hat mit ihrem nächtlichen Be­schluß in der Bonner Beethovenhalle den Weg zu einem massiven Eingriff in das Grundrecht auf Asyl und seine ge­richtliche Überprüfung freigemacht.

Der Einbruch liegt vor allem in der Be­reitschaft, Asylentscheidungen anderer europäischer Länder auf der Grundlage der Genfer Konvention anerkennen zu wollen. Die Genfer Flüchtlingskonven­tion, durch die in den vergangenen 40 Jahren Abertausende Menschen gerettet werden konnten, kennt aber nicht das subjektive Recht auf Asyl. Hier liegt der wesentliche Unterschied zum Artikel 16 unserer Verfassung. Erstmals in der Ge­schichte wurde nämlich dem Menschen nicht nur die Gnade des Asyls zuge­sprochen, sondern das Menschenrecht auf Asyl zugestanden. Genau dies tut die Genfer Flüchtlingskonvention nicht. Sie verpflichtet den Staat nur, politische Flüchtlinge nicht in das Land zurückzu­treiben, in dem einem Menschen politi­sche Verfolgung droht. Artikel 16 macht den Flüchtling zu einem Rechtssubjekt, die Genfer Flüchtlingskonvention ist hier auf halbem Weg stehen geblieben.

Der Beschluß des SPD-Parteitages ist also ein großer Rückschritt in der Rechtsgeschichte. Dies hat unabsehbare Folgen für die Flüchtlinge in Deutsch­land und in Europa. Fast alle Länder in Europa sind bestrebt, Flüchtlinge abzu­wehren und ihren Rechtsschutz zu ver­schlechtern. Die SPD unterstützt diese Bestrebungen und trägt - natürlich un­gewollt - dazu bei, die Festung Europa auszubauen.

Hunderttausende Menschen haben in den letzten zehn Tagen gegen Fremdenhass und für die volle Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl demonstriert. Die Mehrheit der Delegierten hat dies ein­fach in den Wind geschlagen. Die fried­lichen Demonstranten müssen sich von einer Partei verraten fühlen, von der es einige Wochen so aussah, als würde sie dem Schwenk ihres Vorsitzenden nicht folgen. Die Delegierten haben damit nicht nur dem Druck vieler ihrer Bür­germeister und der Bonner Koalition, sondern vor allem dem Druck der ge­walttätigen Straße nachgegeben.

Dabei gab es in der Beethovenhalle ein verbreitetes Misstrauen gegenüber der eigenen Bundestagsfraktion, sie könne bei ihren Verhandlungen mit der Koali­tion über den Parteitagsbeschluß hin­ausgehen. Die Hardliner der SPD-Bun­destagsfraktion scharren ja schon längst mit den Hufen, um das Grundrecht auf Asyl im Sinne von CDU/CSU bis zur Unkenntlichkeit zu demontieren.

Der Beschluß des Sonderparteitages ist der Einstieg zum Ausstieg vom Grund­recht auf Asyl. Die nächtliche Abstim­mung in der Bonner Beethovenhalle ist eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte sowohl der SPD als auch unserer Repu­blik. Das Grundrecht auf Asyl wird geopfert in der vollen Kenntnis, daß die­ses Opfer hinsichtlich der Zahl der Flüchtlinge so gut wie nichts bringt. Darüber war man sich - und dies ist eine Groteske - in der Harmonie der Beetho­venhalle völlig klar. So herunterge­kommen ist unsere politische Kultur. Schließlich wollte man den Parteivorsit­zenden Björn Engholm, der sich mit den Petersberger Beschlüssen zu weit vor­gewagt hatte, nicht im Regen stehen las­sen.

Bonn/Frankfurt 17.11.92

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Herbert Leuninger ist Mitbegründer von PRO ASYL.