Myanmar

Ein Jahr danach

von Helen Westerheide

Bei den ersten freien Parlaments- und Regionalwahlen seit 1980, am 8. November 2015, gelang der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mit ihrer National League for Democracy (NLD) der Sieg über die bis dahin regierende Militärjunta (vertreten durch die Union Solidarity and Development Party-USDP) in Myanmar. Ihre Partei besetzt nun 58% der Sitze im Unterhaus, 60% der Sitze im Oberhaus und 55% der Sitze in den regionalen Vertretungen. Dem Militär (Tatmadaw) wurden 25% der Sitze überlassen. Letzteres hat die nicht unwesentlichen Ministerien Inneres, Verteidigung einschließlich Polizei sowie Grenzfragen unter seiner Autorität. Aung San Suu Kyi war es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, das Amt der Präsidentin des Landes Myanmar zu übernehmen. In Folge wurde für sie das einflussreiche Amt der Staatsrätin eingerichtet, und sie hat das Amt der Außenministerin sowie der Ministerin des Präsidentenbüros inne. Mit einer Zweidrittel Mehrheit wurde ihr Freund und Parteikollege Htin Kyaw zum Präsidenten gewählt.

Dies ist nun ein Jahr her, und eine Bilanz der Entwicklungen im Land in den letzten zwölf Monaten stimmt nicht freudig: Luft- und Artillerieangriffe sowie tausende ZivilistInnen auf der Flucht. Die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den bewaffneten ethnischen Befreiungsbewegungen gehen nur schleppend voran. Es fehlt an gegenseitigem Vertrauen zwischen den Verhandlungsparteien. Auch sind nicht alle ethnischen Gruppen bei den Verhandlungen präsent.

Im Kachin und Shan Staat sind erbitterte bewaffnetn Kämpfe zwischen der Tatmadaw und den ethnischen Befreiungsbewegungen zu Ausmaßen aufgeflammt, dass allein im Shan Staat 2.000 Menschen allein an einem Tag, am 5. Oktober, aus ihren Häusern flüchteten und in buddhistischen Klöstern Schutz suchen mussten. Das burmesische Militär hatte einen Angriff auf das Restoration Council of Shan State sowie ein Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige lanciert. Im Kachin Staat beschuldigte jüngst die ethnische Befreiungsbewegung Kachin Independence Organization (KIO) das Militär, mit vier Kampfjets Angriffe gegen ZivilistInnen geflogen zu haben. Damit wolle die Regierung Druck auf sie ausüben, das Nationale Waffenstillstandsabkommen (National Ceasefire Agreement/NCA) zu unterschreiben und an den Verhandlungstisch der laufenden Friedensgespräche zwischen der Regierung und den etwa 20 bewaffneten ethnischen Widerstandgruppen zu zwingen.

Im Karen Staat schwelt der bewaffnete Konflikt zwischen der ethnischen Befreiungsbewegung Buddhist Army Kyaw Htet (DKBA KH) und den sogenannten Grenzwacheinheiten (Border Guard Force) des Militärs, so dass 4.000 DorfbewohnerInnen gezwungen waren, vor den Kämpfen zu flüchten. Die Karen National Union, eine der bewaffneten ethnischen Befreiungsbewegungen, die das nationale Waffenstillstandsabkommen bereits unterzeichnet hat, schlug daraufhin vor, die DKBA KH solle sich ihnen besser anschließen, um weiteres Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung zu verhindern.

Auch im Mon Staat ist es nicht ruhig. Die regionale Regierung hat gegen die ethnische Befreiungsbewegung New Mon State Party NMSP eine offizielle Verwarnung ausgesprochen. Die MNSP maße sich in Bereichen wie Steuern oder Kriminalitätsbekämpfung die gesetzliche Vollstreckungsautorität des Mon Staates an.

Im Rakhine Staat ist in den vergangenen Wochen die Gewalt zwischen der Tatmadow und den muslimischen Minderheiten ebenfalls eskaliert. Hier geht es um die ungelöste Rohingya Frage. Diese offiziell nicht anerkannte muslimische Bevölkerungsgruppe ist von Diskriminierung und Verfolgung vor allem durch buddhistische Extremisten bedroht. Aber auch die Regierung hat Öl in diesen erneut aufgeflammten Konflikt geschüttet, als sie im Jahr 2015 ein Gesetz erließ, das die Rohinya als nicht anerkannte Minderheit bestätigte – wohl um die Spannungen mit den buddhistischen Extremisten zu entschärfen. Etwa 140.000 Rohingya leben zurzeit in menschenunwürdigen Lagern im Rakhine Staat. Internationale humanitäre Organisationen werden von den Behörden behindert, die Versorgung in den Lagern zu gewährleisten. Der Einfluss der chauvinistischen buddhistischen Bewegung ist hier entscheidend. Die Lage der muslemischen Minderheit ist prekär und ruft nach einer Lösung durch die Regierung. Aber nicht durch militärische Maßnahmen, wie  aus  Reihen des Militärs vorgeschlagen: Es sollten alle nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen bewaffnet werden.

Diese ethno-politischen Dimensionen der Konflikte stellen eine der größten Hürden für die neue Regierung in ihrem ersten Jahr dar – verbunden mit dem Kampf um die Kontrolle der vielfältigen natürlichen Ressourcen Myanmars, in dem auch das Militär und der Nachbar China eine wesentliche Rolle spielen. Umstritten ist besonders der starke Einfluss des Militärs in den Minderheitengebieten. Es gibt Rufe in der  Presse und auf Friedenskonferenzen, die Regierung müsse endlich die Macht des Militärs kontrollieren und begrenzen, anstatt sie “business as usual“ fortsetzen zu lassen. Wie so oft ist der Weg zum Frieden lang und steinig, auch für Myanmar. Entscheidend wird sein, ob die neue Regierung das Vertrauen aller Beteiligter gewinnen kann. Hier sind die Einbeziehung aller Konfliktparteien sowie zivilgesellschaftlicher Gruppen bei den Friedensverhandlungen, eine ausgewogene Geschlechterrepräsentanz in den Verhandlungsgremien sowie erfahrene, sensible Verhandlungsführung sehr wichtige Voraussetzungen für ein Gelingen.

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