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Ein Offener Brief an die Friedensbewegungen
Dieser Offene Brief an die Friedensbewegungen wurde von Mitgliedern von Friedensgruppen aus Slowenien, Kroatien, Republik Jugoslawien (Vojvodina, Serbien, Kosovo, Montenegro) und Mazedonien während einer Konferenz in St. Johann / Österreich im April 1994 formuliert. VertreterInnen aus Sarajevo konnten aufgrund von Visaproblemen nicht einreisen. Sie betonen, daß sie ihn als Individuen, nicht als VertreterInnen ihrer Gruppen verfasst haben.
"Drei Jahre nach dem Beginn des Krieges auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens arbeiten die Antikriegs-, Friedensgruppen und -Organisationen in den neu entstandenen Staaten unter sehr ungleichen Umständen, während in Bosnien-Herzegowina ihre Arbeit beinahe unmöglich ist. Dennoch, auf der Basis unserer bislang gemachten Erfahrungen und durch Kontakte mit Friedensbewegungen in der Welt kamen wir zu einigen gemeinsamen Schlußfolgerungen.
Versammelt für das Treffen in der Österreichischen Stadt St.Johann beschlossen wir, diesen Offenen Brief an Friedensbewegungen in aller Welt zu schicken.
1) Wir glauben, daß FriedensaktivistInnen, die zu uns kommen, gut vorbereitet und über die Situation in den Ländern, die sie besuchen, informiert sein müssen. Um ihren Aufenthalt vorzubereiten, müssen sie mit AktivistInnen zusammenarbeiten, die Erfahrung in der Region haben, und mit einheimischen Antikriegsgruppen und -Organisationen, die hier arbeiten. Aktionen, die auf willkürlichen Annahmen basieren und ohne Analyse und Vorbereitung geschehen, können Auswirkungen schaffen, die den gewünschten entgegengesetzt sind.
2) Unsere gemeinsame Position ist, daß Massenaktionen zum Besuch dieser Gebiete, wie die "Friedenskarawane" 1991 und "Mir Sada-Frieden Jetzt" 1993 ineffektiv und eine Verschwendung von Energie sind. Während eines kurzen Zeitraums kann eine große Zahl von TeilnehmerInnen nicht wirklich verstehen, was geschehen ist, noch irgendeine politische Nachricht ausdrücken, die über eine allgemeine Ablehnung von Krieg hinausgeht - was ein Gemeinplatz ist. Diejenigen, die einzeln oder in kleinen Gruppen kommen und die mit uns in konkreten Projekten zusammenarbeiten, helfen uns viel mehr. Harte langfristige Arbeit wird verstanden. Täuschungen, daß schnelle und leichte Lösungen möglich sind, müssen zurückgewiesen werden.
3) Die wirtschaftliche Situation ist schlecht in allen neuen Ländern. Trotzdem arbeiten Friedens- und Antikriegsgruppen, Menschenrechtsorganisationen, Frauengruppen u.a. an vielen Projekten. Sie brauchen finanzielle und materielle Unterstützung ihrer Aktivitäten ebenso wie unabhängige, fortschrittliche Medien. Unabhängiges Fernsehen ist besonders wichtig, da es ein besonders mächtiges Medium darstellt.
4) Fremdenangst, Chauvinismus und Neofaschismus gibt es heute in allen europäischen Ländern. Wir sind ein Teil von Europa, wo diese Trends, einhergehend mit Manipulation durch den Staat, zu Genozid ("ethnische Säuberung") und Massentötungen (Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo) führen. Wir glauben, daß unser Kampf für die Prinzipien der Toleranz und Gewaltfreiheit wichtig für Europa sind, während die Arbeit von Friedens- und ähnlichen Bewegungen gegen diese Plage in Europa in ihren Ländern und auf lokaler Ebene auch eine große Hilfe für unseren Kampf sind.
5) Eine Einsicht, daß eine a-priori-Befürwortung von Gewaltfreiheit durch Friedensgruppen in Europa angesichts der gewaltsamen Aktionen der serbischen irregulären Armeen in Bosnien-Herzegowina empörend ist.(1) Dies ist die schlechteste Gelegenheit, kritisch die Zusammenhänge zwischen Krieg und Frieden, Gewalt und Gewaltfreiheit in den Erfahrungen Bosnien-Herzegowinas zu prüfen. Diese Erfahrung lehrt uns genug, um zu der Folgerung zu gelangen, daß für Frieden zu appellieren nicht das gleiche ist wie Frieden zu machen, für Gewaltfreiheit zu appellieren nicht das gleiche ist wie Gewaltfreiheit zu schaffen, aber daß der Appell für Frieden und Gewaltfreiheit ein wirksames Gegenmittel gegen die Schaffung von Krieg und Gewalt sein kann.
Eine der möglichen Auswege aus dem bosnischen Krieg ist, den Staat Bosnien-Herzegowina mit allen möglichen Mitteln zu verteidigen. Ohne Souveränität in den Balkanstaaten werden die Menschen, die hier leben, ungeschützte Opfer verschiedener Armeen und bewaffneter Räuberbanden bleiben.
6) In der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien, Montenegro, Kosovo, Vojvodina) und in der Republik Kroatien gibt es autoritäre Regime und starke rechtsextremistische Bewegungen. Die Auswirkungen von Krieg, Zerstörung und Leiden sind sehr stark zu spüren und schaffen negative Gefühle, die leicht manipuliert werden können. Gewaltfreie Aktion ist möglich und wünschbar unter diesen Umständen. Friedens- und ähnliche AktivistInnen, die in diesen Staaten arbeiten, brauchen Unterstützung in ihren täglichen politischen Kämpfen und in Langzeit-Programmen der Friedenserziehung, gewaltfreien Konfliktlösung, Menschenrechtsschutz, Hilfe für Kriegsopfer etc. Die Unterstützung unserer FreundInnen, die in ähnlichen Umständen arbeiteten, ist wertvoll.
7) In der Republik Mazedonien haben Friedensgruppen gearbeitet, um Dialog zwischen ethnischen Gruppen innerhalb des Landes wie mit den Nachbarländern zu entwickeln. Diese Bewegung ist von großer Wichtigkeit und braucht Unterstützung in ihren Anstrengungen, Gewalt und Krieg zu verhindern. Friedensbewegungen aus aller Welt haben eine außergewöhnliche Chance, diese präventiven Aktivitäten zu unterstützen.
Wir appellieren an die Friedensbewegungen, bei Regierungen und internationalen Organisationen Lobbyarbeit dahingehend zu machen, daß auf die griechische Regierung Druck ausgeübt wird, die Blockade Mazedoniens aufzuheben und unbelastete Verhandlungen aufzunehmen.
8) Wir appellieren an die Friedensbewegungen, Lobbyarbeit bei den Regierungen zu machen, um die serbischen Behörden zu zwingen, die staatliche Unterdrückung von AlbanerInnen im Kosovo zu beenden, demokratische Institutionen im Kosovo wiederherzustellen und einen Dialog mit legitimen VertreterInnen der AlbanerInnen unter Vermittlung durch die internationale Gemeinschaft aufzunehmen. Wir glauben auch, daß die Präsenz der internationalen Gemeinschaft - wie im Falle Mazedoniens- sehr nützlich sein kann, um die Eskalation der Konflikte zu beenden.
Wir appellieren an die Friedensbewegungen, ihre AktivistInnen in den Kosovo zu schicken, weil sie in dieser Situation helfen können, Gewalt zu beobachten und zu mindern.
Dieser "Offene Brief" wurde geschrieben von:
Tonci Kuzmanic, Slowenien; Zoran Ostric, Kroatien; Zdravko Uskokovic, Montenegro; Teuta Cuskova, Mazedonien; Mirce Tomovski, Mazedonian; Vasvija Orascanin, Bosnien-Herzegowina (jetzt in Österreich lebend); Zorica Trifunovic, Serbien/Jugoslawien; Nenad Zivkovic, Vojvodina/Jugoslawien; Gazmend Pula, Kosovo/Jugoslawien;
Mit den gleichen UnterzeichnerInnen (ausgenommen Nenad Zivkovic) wurde auch eine Erklärung mit dem Titel "Verantwortung für Genozid" von der Konferenz verabschiedet, in der gefordert wird, daß die UN und jedes ihrer Mitglieder mit "allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich der Verwendung militärischer Gewalt" den international anerkannten Staat Bosnien-Herzegowina schützen. Außerdem verlangen sie eine Beschleunigung der Arbeit des Tribunals für Kriegsverbrechen. Übersetzung aus dem Englischen: Red.
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Dieser Satz ist sehr frei übersetzt, da er im englischen Original nicht wirklich Sinn ergibt. Dort heißt es: "5) An insight that a priori advocacy of nonviolence from peace groups in Europe and the violent action of Serbian irregular armies in Bosnia-Herzegovina is upsetting."