15. Mai: Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung

Ein Tag internationaler Solidarität

von Hannah Brock

Nach zwei Jahren Gefängnis (während des Ersten Weltkriegs, wo er als Kriegsdienstverweigerer bestraft wurde) dachte Herbert Runham Brown über antimilitaristische Solidarität nach: “Selbst in diesem Gefängnis haben wir die Mauern durchbrochen. Die Eisengitter konnten nicht länger alle unsere Kommunikation verhindern; manchmal fühlte man einen Händedruck und oft hörte man die Stimme eines Kameraden. Langsam aber hartnäckig brachen wir alle Regeln und zerstörten jedes Gitter, das zwischen Freund und Freund stand. … Und so ging ich schlafen mit dem Traum einer Internationale derjenigen, die jeden Kriegsdienst verweigern würden: Nicht, damit sie nicht vom Blut ihres Bruders befleckt würden, sondern, damit sie den größten aller Dienste leisten könnten, nämlich dass sie sein Kamerad sein und seinen Glauben an die Menschheit wiedererwecken könnten.”

Brown begann um die Jahrhundertwende herum als ein Campaigner gegen den Krieg, den England gegen zwei südafrikanische Staaten führte. (Seine erste öffentliche Rede im Alter von 20 Jahren wandte sich gegen britische Konzentrationslager in Südafrika.) Nach dem Ersten Weltkrieg war er 1921 einer der GründerInnen der War Resisters' International (WRI, zuerst “Paco” genannt).
Seine Worte sind über all die Jahrzehnte aktuell geblieben, und ich fühle mich durch sie motiviert, KriegsdienstverweigerInnen heute zu unterstützen.
Internationale Solidarität ist aus vielen Gründen wichtig. Zum einen kann man als KriegsdienstverweigerIn wenig beliebt und allein sein, und es ist schwierig, standhaft zu bleiben. Das gilt besonders für jene, die eine Gefängnisstrafe zu erwarten haben – manchmal mehr als einmal, wie  im Falle von Atalia Ben-Abba, die wahrscheinlich, während Sie dies lesen, zum fünften Male in einem israelischen Frauengefängnis einsitzen wird. Und es gilt für jene, die sich unmittelbarer Bedrohung gegenübersehen, wie Diego Blanco, der zurzeit auf einer Militärbasis in Antioquia, Kolumbien, festgehalten wird. Diego ist dort schon mehr als fünf Monate und wurde in dieser Zeit physisch angegriffen und bedroht. Für Einzelne und Bewegungen, die in militarisierten Kontexten wie den beschriebenen arbeiten, ist die moralische Unterstützung durch Gleichgesinnte extrem wertvoll. Das hören wir immer wieder von Menschen, die während ihrer Zeit im Gefängnis Briefe erhalten haben.
Zum zweiten ist gewaltfreies, antimilitaristisches Organisieren von Natur aus international. Nationalismus und Rassismus sind Bestandteile der Grundlage von Militarismus – sie erlauben, einen “Anderen” (innerhalb oder außerhalb des Staates) zum “Feind” zu machen. Indem wir international arbeiten, handeln wir heute so, wie wir uns wünschen, dass die Welt organisiert sein möge.
Drittens – und dass ist einer der Gründe, weshalb die WRI existiert – geht es darum, voneinander zu lernen und Ideen und Anregungen auszutauschen.
Als vierten Punkt möchte ich behaupten, dass internationale Solidarität heute besonders wichtig ist. Als ich vor fünf Jahren begann, für die WRI zu arbeiten, da redeten die Leute über einen Trend weg von der Wehrpflicht. In den letzten zwanzig Jahren haben viele Länder Europas und eine Handvoll von Ländern in anderen Regionen die Wehrpflicht zugunsten “professioneller” Armeen mit freiwilligen SoldatInnen abgeschafft oder ausgesetzt. Das bedeutet nicht zwangsläufigerweise ein Zurückschrauben von Militarismus: Es ist immer noch im Interesse von Militärs, Regierungen und Rüstungskonzernen, Menschen kulturell an sich zu binden, besonders junge Leute, um Freiwillige zu finden. Aber es reduziert die unmittelbare Macht der Militarisierung über die Freiheit junger Menschen.
Aber der Trend weg vom Pflichtdienst hat sich nicht fortgesetzt. In den letzten Jahren hat Norwegen seine  Wehrpflicht auf Frauen ausgeweitet; Schweden hat die Wehrpflicht für Männer und Frauen wieder eingeführt; Ukraine, Georgien und Litauen haben nach kurzer Pause die Wehrpflicht für Männer wieder etabliert; Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Wehrpflicht eingeführt; und in den letzten Monaten verkündeten VertreterInnen der kroatischen Regierung ihre Absicht, den 2008 suspendierten Militärdienst wieder einzuführen. Es muss nicht betont werden, dass die WRI Widerstand in jenen Ländern unterstützt, in denen wir Netzwerke haben, und dass wir uns freuen würden, von Leuten aus den genannten Ländern zu hören, die sich gegen die Wehrpflicht einsetzen wollen.
Diese Veränderungen zeigen auch, dass das Zitat am Anfang dieses Artikels nicht up to date ist: Brown denkt nur an männliche Verweigerer. Heute dienen nicht nur Frauen in Wehrpflichtarmeen, sondern Frauen sind auch eine Zielgruppe von Militärwerbung in vielen Ländern. Sie werden auch – wie schon im Ersten Weltkrieg und den Perioden danach – kulturell und emotional verpflichtet, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen.

Der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung
Eine der Arten und Weisen, wie wir Widerstand gegen Wehrpflicht unterstützen, ist, Aufmerksamkeit auf Kriegsdienstverweigerungs-Bewegungen zu lenken und AktivistInnen auf der ganzen Welt Informationen zu geben, so dass sie Solidaritätsaktionen organisieren können. Ich schreibe dies am 16. Mai, dem Tag nach dem Internationalen KDV-Tag. Es war wunderbar, heute morgen im Computer über all die Aktionen und Veranstaltungen zu lesen, die gestern stattgefunden haben. Es war eine große Bandbreite kreativer Aktivitäten!
In Kolumbien gab es Straßenaktionen in Barrancabermeja und ein Webinar, das Menschen über die Militarisierung und die Auswirkungen des Friedensprozesses in dem Land informierte. (Die Aufnahme des Webinars ist auf unserer Website zu finden). In Finnland unternahmen KDVerInnen Solidaritätsaktionen an der israelischen Botschaft. Der türkische KDV-Verband hielt trotz des Ausnahmezustands eine Pressekonferenz ab, bei der drei weitere Leute ihre Kriegsdienstverweigerung erklärten. Andere veranstalteten in Istanbul ein Forum “Vegane Sandwiches und Antimilitarismus”. In Südkorea nahmen rund 100 AktivistInnen an einer Fahrradrallye durch Seoul teil, und in Deutschland wurde eine Straße nach dem amerikanischen Verweigerer André Shepherd umbenannt. In England und den USA gab es zahlreiche Mahnwachen, Friedenschöre und Infostände, die Menschen die Möglichkeit gaben, ihre Solidarität mit KDVerInnen in aller Welt auszudrücken.
Der Internationale KDV-Tag ist ein Tag, an dem wir Verweigerung, Ungehorsam und alles, was Nein zu Militarismus sagt, feiern. Aber es ist auch ein Tag, an dem wir Ja sagen zu Gewaltfreiheit,  Solidarität und Koexistenz!
Bitten denken Sie darüber nach, wie Sie KriegsdienstverweigerInnen  unterstützen können, und besuchen Sie unsere Website: wri-irg.org. Vielleicht organisieren auch Sie nächstes Jahr eine Aktivität zum 15. Mai?

Hannah Brock ist für das Programm “Das Recht, das Töten zu verweigern” im internationalen Büro der WRI in London verantwortlich. Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer.

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Friedensbewegung international