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Eine Frage der Ehre
vonWas macht ein Politiker, der öffentlich ein Versprechen gegeben hat, wenn er an die Einlösung dieses Versprechens erinnert wird ? Das Lehrstück wird zur Zeit in der Kyritz-Ruppiner Heide im Land Brandenburg gegeben. Aber es spielt auch in Bonn, in Berlin und zunehmend überall dort, wo der neue Bundesminister der Verteidigung auftritt. Das Versprechen hat Rudolf Scharping 1994 in Gadow gegeben, einem kleinen Ort am Rande des ehemaligen "Bombodroms" der sowjetischen Streitkräfte in der Nähe der brandenburgischen Kleinstadt Wittstock an der Dosse. Scharping, damals als Kanzlerkandidat der SPD auf Wahlkampftour, versprach vor laufenden Kameras, wenn die SPD im Bund an die Regierung komme, werde das Projekt eines Luft-Boden-Schießplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide aufgegeben und das Gelände der zivilen Nachnutzung (Konversion) zugeführt.
An dieses Versprechen wird Rudolf Scharping mit Nachdruck erinnert, seitdem er in der rot-grünen Bundesregierung zum Minister der Verteidigung bestellt worden ist.
Und was macht er? Er spielt auf Zeit, lässt, von Journalisten bedrängt, verärgert durchblicken, dass er wichtigere Dinge zu tun hat als über einen Truppenübungsplatz bei Wittstock zu entscheiden. Oder er teilt mit, er habe "mit Stolpe" über das Thema gesprochen. Genossinnen und Genossen wie zuletzt die Brandenburger Arbeitsministerin Regine Hildebrandt am Neujahrstag 1999 auf der 52. Protestwanderung der Bürgerinitiative FREIeHEIDe teilen mit, Rudolf Scharping wisse genau, was er versprochen habe. Er könne jedoch die Schließung des Übungsplatzes nicht ohne sorgfältige Prüfung seines Ministeriums veranlassen.
Als allerdings vor der Weihnachtspause 1998 das Thema Truppenübungsplatz Wittstock auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion auf die Tagesordnung des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag gesetzt wurde, kam von Scharpings Ministerium die Routineauskunft, man halte an dem Plan, auf dem 142 Quadratkilometer großen Gelände einen Luft-Boden-Schießplatz errichten zu wollen, fest.
Viel schlimmer ist, was aus dem "geschlossenen" Verteidigungsausschuss an die Öffentlichkeit drang: nämlich, dass die dort ihre Fraktion vertretenden SPD-Politiker sich weiterhin für die Nutzung des Geländes als Luft-Boden-Schießplatz einsetzen.
Für Rudolf Scharping ist der Fall "Bombodrom" Wittstock längst zur Nagelprobe für seine Glaubwürdigkeit als Politiker geworden. Wenn er sein Versprechen nicht einlöst, richtet er, zumal im Osten Deutschlands, einen gewaltigen politischen Flurschaden an.
Trotz der Eindeutigkeit des "Versprechens von Gadow" ist die Bürgerinitiative FREIeHEIDe gut beraten, wenn sie nicht allein darauf setzt, dass Scharping nicht anders könne, als Wort zu halten. Die SPD kann Scharping immer noch aus der Schusslinie nehmen, beispielsweise, indem sie ihn zum Präsidenten der EU-Kommission machen lässt.
Die Bürgerinitiative FREIeHEIDe hat inzwischen an sämtliche Bundestagsabgeordneten einen Offenen Brief gerichtet und sie ersucht, darauf hinzuwirken, dass noch in dieser Legislaturperiode das Vorhaben eines Luft-Boden-Schießplatzes bei Wittstock ad acta gelegt wird. Eine neue Mehrheit im Bundestag könnte in der Tat be-schließen, dass das 142 qkm große Übungsgelände aus dem Truppenübungsplatzkonzept des Ministers der Verteidigung herausgenommen wird.
Der Brief ist von 41 Prominenten aus Ost und West unterzeichnet, unter ihnen Friedrich Schorlemmer, Günter Grass sowie Inge und Walter Jens.
Inzwischen wird deutlich erkennbar, dass die Bürgerinitiative FREIeHEIDe mehr als auf einzelne Politiker und politische Farben auf die eigene Kraft vertraut. Bei der 52. Protestwanderung am Neujahrstag rief sie vor etwa 1.000 Teilnehmern 1999 zum "Jahr der FREIenHEIDe" aus und gab der Öffentlichkeit ihr Jahresprogramm 1999 bekannt. Neben vielen anderen Aktionen und Veranstaltungen (5. Kasten) will die Bürgerinitiative Rudolf Scharping bei seinem Umzug nach Berlin einen "begeisterten Empfang" bereiten. Scharping sollte sich darauf vorbereiten: am besten dadurch, dass er endlich sein Versprechen von Gadow einlöst.
Er wäre damit in guter Gesellschaft. Der Präsidentschaftskandidat Francois Mitterand hatte 1981 versprochen, wenn er Präsident würde, den Ausbau des Truppenübungsplatzes im Larzac (Okzitanien/Südfrankreich) zu stoppen. 24 Tage nach seiner Wahl zum Präsidenten hat er sein Versprechen eingelöst.
Für ihn war das eine Frage der Ehre.