Friedensnobelpreis 2010

Eine kontroverse Entscheidung

von Christine Schweitzer

Die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an den 55-jährigen chinesischen Schriftsteller und Menschenrechtler Liu Xiaobo für seinen „langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China“, so die Begründung, hat in der deutschen und internationalen Friedensbewegung unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.

Xiaobo wurde von einem Pekinger Gericht am 25. Dezember 2009 zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er an der Abfassung und Verbreitung der „Charta '08“, einer Online-Petition, beteiligt gewesen war. Die „Charta '08“ fordert, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum des chinesischen Staatswesens zu stellen. Der ehemalige Literaturprofessor hatte bereits nach den Protesten auf dem Tiananmen-Platz im Juni 1989 zwei Jahre im Gefängnis verbracht.

Die meisten internationalen und deutschen Menschenrechtsorganisationen haben sich erfreut und lobend über die Verleihung des Preises an Xiaobo gezeigt. Human Rights Watch, hier als ein Beispiel für etliche, kommentierte wie folgt:

„Xiaobos Verhaftung ist ein weiteres Anzeichen für die politische Verhärtung in China, die im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking begonnen hat. Seitdem hat die Regierung prominente Kritiker unter haltlosen Anschuldigungen wegen Geheimnisverrat oder ‚Untergrabung der Staatsgewalt’ zu langjährigen Haftstrafen verurteilen lassen, die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung im Internet weiter eingeschränkt und die Überwachung von Rechtsanwälten, Menschenrechtlern und Nichtregierungsorganisationen verstärkt. Zudem hat die chinesische Regierung seit Anfang 2007 auch ihre Kontrolle der uigurischen und tibetischen Minderheiten intensiviert. Sowohl in Xinjiang als auch in Tibet ist die Anzahl der willkürlichen Inhaftierungen und der Fälle des ‚Verschwindenlassens’ von Personen stark gestiegen. Zudem werden weiterhin Menschen in geheimen Haftanstalten, sogenannten ‚schwarzen Gefängnissen’, festgehalten.“ Liu Xiaobo verkörpere, so heißt es weiter bei Human Rights Watch, die „Ideale des Friedensnobelpreises, weil er niemals von seinen Überzeugungen abgerückt ist, seine Ideale gegenüber den Mächtigen friedlich vertreten und ihnen keine Wahrheit erspart hat“.

Demgegenüber fiel das Echo in der Friedensbewegung sehr unterschiedlich aus. Der Kasseler Bundesausschuss Friedensratschlag, der sich direkt am Tag nach der Bekanntgabe der Nominierung äußerte, schrieb wie folgt:

„Als Friedensbewegung vermögen wir nicht in den Chor der Laudatoren einstimmen: Der Bundesausschuss Friedensratschlag hält die Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo für einen Fehlgriff und beobachtet mit Sorge die Entwicklung der Vergabepraxis des Nobel-Komitees .

Die Kritik aus der Friedensbewegung hat nichts damit zu tun, dass die Verdienste des Preisträgers nicht zu würdigen wären, dass sein Engagement nicht internationale Anerkennung verdiente - etwa von amnesty international oder von Human Rights Watch. Das Problem ist vielmehr, dass der Friedensnobelpreis in den letzten Jahren zunehmend entweder nach politischen Gesichtspunkten vergeben wurde (das war etwa im vergangenen Jahr der Fall, als Obama den Preis erhielt), oder dass er Leistungen bedacht hat, die nur in sehr entfernter Weise mit dem ursprünglichen Charakter des Preises zu tun haben. Im abgelaufenen Jahrzehnt wurde die Hälfte der Auszeichnungen an Personen oder Organisationen verliehen, die sich um die Umwelt, um Menschenrechte und die wirtschaftliche Entwicklung verdient gemacht haben. Der Friedensnobelpreis ist aber weder ein Umweltpreis, noch ein Menschenrechtspreis, noch ein Demokratiepreis; vor allem sollte er nicht als politische Waffe für oder gegen ein bestimmtes Regime instrumentalisiert werden.“

Von anderen Organisationen und SprecherInnen der Friedensbewegung gab es jedoch auch viel Widerspruch zu dieser Erklärung, die von Peter Strutynski und Lühr Henken verfasst worden war. Manche begrüßten die Preisverleihung an Xiaobo unter dem Gesichtspunkt, dass Menschenrechtsverteidiger Arbeit tun, die Teil eines umfassenden Friedensbegriffes ist. Andere wiesen spezifischer auf die verschiedenen Konflikte in China, etwa Tibet, hin, und suchten eine Begründung für die Verleihung an Xiaobo in diesem Kontext.

Frieden und Menschenrechte gehören unteilbar zusammen – ein Frieden ohne Gerechtigkeit ist kein Frieden, bestenfalls Friedhofsruhe. Insofern ist die Ehrung eines Menschenrechtlers mit einem Friedenspreis in meinen Augen kein Widerspruch, sondern nur eine Anerkennung dieses Grundzusammenhangs. Dass der Friedensnobelpreis ein Preis ist, bei dessen Verleihung stets politische Gesichtspunkte mit eine Rolle gespielt haben, ist nicht erst seit der Verleihung an Präsident Obama bekannt. Dass deshalb ein Menschenrechtsverteidiger aus einem Land, das vom Westen mit viel Misstrauen betrachtet und als möglicher Gegner in einer zukünftigen militärischen Konfrontation angesehen wird, mehr Chancen hat, einen Preis zu erhalten, als ein Mann oder eine Frau aus einem Land, das als Verbündeter des Westens oder gar Teil des Westens gilt, dürfte kaum überraschen. Doch das ändert nichts daran, dass Xiaobo die Auszeichnung verdient hat – im Unterschied zu Obama (2009), Kim dae-Jung (1999), Peres, Rabin und Arafat (1994).

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.