Einfluss nehmen auf die Einflussreichen

von Andreas Lämmermann
Initiativen
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Wie Umfragen beweisen, ist die Mehr­heit der deutschen Bevölkerung gegen die Nutzung der Atomkraft. Auch wenn immer noch einige mit dem Argument, ohne Atomkraft "gingen bei uns die Lichter aus", in Angst versetzt werden können, ist das Gefühl der Unsicher­heit gegen­über einer lebensgefährli­chen Technologie doch zu groß, um mit Be­teuerungen über "größtmögliche Sicherheit" beruhigt zu werden. Bis heute hat uns schließlich noch keiner eine Antwort darauf geben kön­nen, wie man die riesigen atomverseuchten Flächen in Sibirien wieder nutzbar machen kann, und wer für die nächsten hunderttausend Jahre den strahlenden Müll bewachen wird.

Was aber wird auf politischer Ebene getan, um den Wunsch nach Ablösung der Atomkraft durch umweltfreundliche Energieerzeugung zu erfüllen? Ganz of­fenkundig ist hier die fal­sche Adresse für solche Anliegen. Die Ausstiegsfor­derungen treffen bei Politi­kerInnen auf taube Ohren. Was also bleibt?

Die Gruppen und Bürgerinitiativen an speziellen Atomstandorten gehen einen anderen Weg. Ihre Arbeit besteht meist neben Aktionen, Demonstrationen und der ständigen Information der Öffent­lichkeit darin, durch Einschalten der Ju­stiz den Betrieb von Atomanla­gen zu unterbinden. Abgesehen davon, daß da­mit meistens nur die Ver­zöge­rung, nicht aber die Aufgabe von sol­chen Vorhaben erreicht wird, geht dies natürlich auch nur deshalb oft so gut, weil Politik und Verwaltung mit den von ihnen selbst geschaffenen Verfah­ren stümperhaft umgehen.

Dagegen verdient der Erfolg der Bür­gerproteste gegen die Wiederaufberei­tungsanlage in Wackersdorf eine ge­naue Betrachtung. Die Politiker, die mit großem Nachdruck die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Anlage propagierten, wurden von einem Tag auf den anderen in den Regen gestellt - und zwar von denjenigen, die eigentlich das größte Interesse an der Verwirkli­chung der Pläne haben mußten: von der Industrie. Nicht zuletzt durch die Prote­ste der Anwohner und Atomkraft­gegner kam sie zu dem Schluss, daß außer Ärger hier nichts zu holen sei, und ließ die Pläne wie eine heiße Kartoffel fallen. Und die Politiker, die eben noch den Bundesgrenzschutz auf die Demon­stranten jagten, drehten sich wie eine Wetterfahne und vergaßen die ganze Seifenblase.

Der Erfolg kam also indirekt über die Beeinflussung der Industrie zustande. Sie hat den wahren Einfluss darauf, wel­che Großtechnologien eingesetzt und gefördert werden. Einer der wich­tigsten Vertreter der Atomindustrie in Deutschland ist die Siemens AG. Als einziger namhafter deutscher Hersteller von Atomkraftwerken besitzt sie zudem das deutsche Monopol in der Brenn­elementeherstellung, verkauft also zu­sätzlich zum Ofen auch noch die Koh­len. Zwar sind die Zeiten des Klas­senwahlrechts vorbei, aber auch heute versteht die Großindustrie, ihre Interes­sen in der Politik zu wahren. Im kon­kreten Fall der Atomkraftwerke bedeu­tet dies für sie: Wenn wir schon soviel Geld und Kraft in die Entwick­lung ge­steckt haben, wollen wir auch eine gute Weile dran verdienen.

Also sollte man die Dinger einfach nicht mehr kaufen. Haben Sie schon mal auf den Kauf eines Atomkraftwerks der Firma Siemens verzichtet? Bitte nicht verzweifeln - es gibt einen ande­ren Weg. Die Siemens AG ist ein Konzern mit vielen Produkti­onsberei­chen, und der Bereich Atom­kraft macht im bilan­zierten Umsatz nur knapp 3% aus. Weltweit gehört Siemens zu den größten Unternehmen der Elektrotechnik und Elektronik. Er gehört international zu den größten Herstellern von Haushalts­geräten. Auch die Töchter OSRAM (Be­leuchtungskörper), CONSTRUCTA (Haushaltsgeräte) und SIEMENS-NIX­DORF-INFORMATlONSSYSTEME (EDV) sind bedeutende Geschäftsberei­che im Gesamtkonzern. Wenn nun auf diesen Gebieten ein Um­satz­rückgang eintritt, und der Konzern­leitung der Zu­sammenhang zwischen diesem Minus und den Atomgeschäf­ten klargemacht wird, muß eine Reak­tion erfolgen, sonst maulen die Aktio­näre.

Kurz gesagt: Es ist eine Aktion zum Boykott von Siemens-Produkten ange­laufen. Ziel ist wohlgemerkt nicht die wirtschaftliche Zerstörung der AG. Wir fordern von SIEMENS, das Atomge­schäft aufzugeben und alle seine Atom­betriebe zu schließen: SIEMENS darf weder neue Atomkraftwerke planen, entwickeln oder bauen noch die Laufzeit beste­hender Anlagen verlängern. Wir fordern, jede Verarbeitung von Uran und Plutonium zu beenden.

Dies soll dadurch erreicht werden, daß möglichst viele Menschen auf den Kauf von Siemens-Produkten verzich­ten, so­lange der Konzern Geschäfte mit Atomtechnik macht. Dies gilt übrigens nicht nur für Hausgeräte; die Organisa­tion der  "Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW)" hat ihre Mitglieder auch zum Boykott der medizinischen Technik aus dem Hause Siemens aufgerufen, ein Produktionsbereich, der wegen des Um­fanges und der Öffentlichkeitswir­kung besonders empfindlich reagieren dürfte.

Die Boykottkampagne ist so angelegt, daß viele Menschen sich daran beteili­gen können. Durch die bewusste Ent­scheidung, keine Produkte der Firma Siemens mehr zu kaufen, kann man sich so täglich gegen die lebensbedrohende Atomtechnik zur Wehr setzen. Die Konzernleitung sollte von jeder einzel­nen (Nicht-) Kaufentscheidung infor­miert werden. (SIEMENS AG, Wittels­bacherplatz 2, 80312 München; Fax: 089/234-4242).

Der Erfolg der Kampagne kann geför­dert werden:

-     durch eine offensive und breit ange­legte Aufklärungsarbeit über die Atomgeschäfte von SIEMENS und deren Folgen für Menschen und Umwelt,

-     durch die immer wieder an SIE­MENS gerichtete Forderung, aus dem Atomgeschäft auszusteigen,

-     durch öffentliche Aufrufe, so lange SIEMENS-Produkte zu boykottieren, bis der Konzern aus dem Atomge­schäft ausgestiegen ist.

Zu diesem Zweck haben sich mittler­weile mehr als 90 Initiativen und Grup­pen aus der Anti-Atom- und Umwelt­bewegung, kirchliche und politische Or­ganisationen, kritische Aktionärinnen und Aktionäre sowie Initiativen für in­telligente Energienutzung im "Koordi­nationskreis SIEMENS-Kampa­gne" zu­sammengeschlossen. Der Koordinati­onskreis hat zahlreiche Materialien er­arbeitet, mit denen Gruppen und Ein­zelpersonen die Boykottkampagne wei­tertragen  und sich über die Hinter­gründe der Atomgeschäfte von Siemens informieren können.

Noch gibt sich Siemens gelassen. Aber in den USA gibt es bereits ein Vorbild für diesen Boykott: Der Konzern Gene­ral Electric stellte seine Atomgeschäfte nach massiver Öffentlichkeitsarbeit und deutlichen Boykotterfolgen ein.

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Andreas Lämmermann ist Geschäftsführer des Koordinationskreis Siemens-Kampagne.