Nieder die Waffen! Buchbesprechung von Christine Schweitzer

Einhundert Jahre Deutsche Friedensgesellschaft

von Christine Schweitzer
Initiativen
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"Gefährlicher erscheinen mir die immer lauter werdenden Bestrebungen und die Agitation von gewiss sehr wohlmei­nenden Leuten,...die den ewi­gen Frieden predigen, wo doch das ganze Leben ein Kampf ist und wo die Natur selbst...sich ständig im Kampfe befindet...Sie täuschen unser Volk, sie nehmen ihm die Mannhaftigkeit, unseres Vol­kes Stärke, und üben einen effeminierenden Einfluss aus. Es mögen ja sehr wohlmei­nende Persönlichkeiten sein, die diese Ideen vertreten, aber objektiv gesprochen kann ich nur sagen: Sie begehen ein Verbrechen an unse­rem deut­schen Volke!" (General von Eichborn 1912)

Vor einhundert Jahren wurde die älteste deutsche Friedensorganisation, die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) gegründet. Sie hatte zeitweilig bis zu 30.000 Mitglieder. Pünktlich zu ihrem einhundertjährigen Be­stehen hat der Hi­storiker und langjähriges Mitglied der DFG-VK Guido Grünewald ein Buch über die Ge­schichte der DFG herausge­geben. Es befasst sich mit der Zeit von der Gründung der DFG im Jahre 1892 bis zum Zusammenschluss der DFG mit dem VK, der Vereini­gung der Kriegs­dienstgegner, im Jahr 1974. In einzel­nen Kapiteln wird die Zeit von der Grün­dung 1892 bis zum Ersten Weltkrieg, die Zeit im 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich und die Neukonstituie­rung nach 1945 dargestellt. Diesen Ka­piteln folgt jeweils ein recht lan­ger An­hang von Dokumenten, zumeist Aus­züge aus Er­klärungen und Reden, wie z.B. der einleitend zitierten Rede eines deutschen Generals kurz vor dem 1. Welt­krieg. Die Zeit der DFG-VK von 1974 bis 1991 wird in Art einer kom­mentarlosen Chronik der wichtigsten Er­eignisse abgedeckt. Wie der Autor sagt, sei der zeitli­che Abstand für eine historische Betrachtung dieser jüngsten Zeit zu kurz.

Die Leserin/der Leser sollte nicht er­warten, von die­sem Buch einen umfas­senden Überblick über die Ge­schichte von Pazifismus und Antimilitarismus in diesem Zeitraum zu bekommen. Guido Grünewald hat sich - und das sollte kei­neswegs als Vorwurf verstanden werden - allein auf die Geschichte einer Organi­sation beschränkt. Die Deutsche Frie­densgesellschaft, 1892 mit "österreichischer Entwicklungshilfe" durch die beiden PazifistInnen Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried gegründet, stellte für lange Zeit den bürgerlich-pazifistischen Flügel einer breiteren Antikriegsbewe­gung dar. Aus dem Buch geht sehr gut hervor, welche Schwierigkeiten diese PazifistInnen in der Anfangszeit damit hatten, überhaupt Stellung zu tagespolitischen Fragen, wie z.B. der Aufrüstung der Flotte oder der Wiederherstellung des polnischen Staa­tes zu nehmen. Durchweg national ein­gestellt, befürworteten ihre Mit­glieder die "Vaterlandsverteidigung" und lehn­ten Kriegsdienstverweigerung oder ein­seitige Abrüstung ab. Sie setzten auf einen Weltfrieden durch das Völ­kerrecht und forderten eine internatio­nale politische Gemeinschaft, wie sie ansatzweise nach dem 1. Welt­krieg dann im Völkerbund zur Realität wurde. Der er­ste Weltkrieg stürzte viele von ih­nen in eine tiefe Ori­entierungskrise, da man einen solchen Krieg nicht mehr für möglich gehalten hatte. Doch akzep­tierten sie zumeist offizielle Version vom "Verteidigungskrieg", wie auch nach seinem Ende viele den Versailler Vertrag ablehnten. Doch bestand die Organisation als solche im Krieg weiter und setzte trotz großer Hindernisse zu­mindest in einigen Orten ihre Arbeit fort, bei der sie sich gegen nationalisti­sche Kriegshetze oder für huma­nitäre Ziele einsetzte.

Nach dem 1. Weltkrieg erlebte die DFG einen bedeutsa­men Aufschwung. Gleichzeitig spiegelten sich jetzt in ih­ren Kreisen auch die unterschiedlichen Strömungen im Pazifismus und Antimi­litarismus wider, die die zwan­ziger Jahre prägten. Die Friedensbewegung hatte sich differenziert. Es gab "radikale PazifistInnen", die jede Gewalt grund­sätzlich ablehnten und Kriegsdienstver­weigerung und Generalstreik als die wichtigsten Mittel zur Verhinderung von Krieg ansahen. Sogenannte "organisatorische PazifistInnen" setzten die Orientie­rung der DFG aus der Zeit des Kaiserreichs fort und strebten einen "Friede durch Recht" an, der durch einen Ausbau des Völkerbundes erreicht werden sollte. Als "kämpferische Pazifi­stInnen" zuletzt wurden dieje­nigen be­zeichnet, die an den republikanischen Parteien (SPD vor allem) orientiert blie­ben, aber eine eigene pazifistische Or­ganisierung auf Massenbasis anstrebten.

Unter dem NS-Regime wurde die DFG wie alle anderen ähnlichen Organisatio­nen verboten, viele ihrer führen­den Köpfe verhaftet, sofern es ihnen nicht gelang, ins Ausland zu fliehen. Guido Grünewald kommt zu dem Ergebnis, daß PazifistInnen keine größere Rolle im Wi­derstand gespielt haben. Ihre "eigentliche Wider­standsleistung...lag vor dem Machtantritt Hitlers, als sie frühzeitig und konsequent den National­sozialismus bekämpften und vor Dikta­tur und Krieg warnten" (130).

Trotz der zwölfjährigen Unterdrückung wurde bereits 1945 die DFG in der briti­schen Zone neu zugelassen, die anderen westdeutschen Gebiete folgten. In der DDR war sie von Anfang an verboten. Die westdeutsche DFG machte in der Zeit bis zur Fusion mit der Internatio­nale der Kriegsdienstgegner 1968 eine recht wechsel­hafte Geschichte durch. Trotz der "Nie wieder Krieg"-Stimmung der ersten Nachkriegsjahre sank ihre Mit­gliederzahl von ca 10.000 auf unter 3.000 ab. Ausein­andersetzungen zwi­schen verschiedenen Strömungen und auch die Gründung anderer, speziell für Frauen oder junge Kriegsdienstverwei­gerer attraktivere Grup­pen machten ihr zu schaffen. Eine diese "Konkurrenten" war die Internationale der Kriegs­dienstgegner (IdK), eine andere der Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK). 1968 rettete der Zusammenschluss mit der IdK beide Organisationen vor einem kläglichen Ende; zusammen konnten sie gerade 4000 Mitglieder ver­zeichnen. Guido Grünewald zeichnet be­hutsam die Geschichte beider Organi­sationen, ihr an­fänglich strikt antikom­munistische und auf eine deut­sche Wie­dervereinigung bedachte Orientierung nach, der in den sechziger Jahren eine vorsichtige Öffnung nach Osten und die Zunahme einer Position des "Anti-Anti­kommunismus" folgte.

Der VK war in den sechziger Jahren die Gruppe gewe­sen, die am stärksten eine radikal gewaltfreie Haltung, gekoppelt mit einem ebenso unbeugsamen Antikommu­nismus annahm. 1961 grün­deten Mitglieder des VK um Theodor Ebert (heute Professor in Berlin) die "Gewaltlose Zivilarmee", die die Erset­zung der militäri­schen Verteidigung durch eine gewaltlose, Soziale Verteidi­gung anstrebte und dies durch ihre Organisa­tion vorwegnehmen wollte. Doch änderte sich die Ori­entierung des VK mit der Studentenbewegung. 1968 kam es im VK zum Skandal, als eine große Zahl von (wohl zumeist studenti­schen) Neumitgliedern beinahe putschmäßig den alten Vorstand aushe­belten und eine Festlegung des VKs auf den Sozialismus als Ziel und eine Soli­darisierung mit dem bewaffneten Befreiungs­kampf in Vietnam durchset­zen wollten. Auch wenn die­ser Schritt unter Einsatz juristischer Mittel rückgän­gig gemacht wurde, läßt sich dem Autor zufolge doch seit Ende der sechziger Jahre eine Verschiebung sowohl in der DFG-IdK wie im VK nach links, zu einer der DKP naheste­henden Haltung feststellen. 1974 schlos­sen sich beide Organisationen schließ­lich zur DFG-VK zusammen. Ihr Ziel war, das Erbe des ur­sprünglichen VK, den radikalen Pazifismus, mit dem völ­kerrechtsorientierten Pazifismus, wie er in erster Linie mit der DFG verknüpft war, zu verbinden.

Wie anfänglich schon erwähnt, hat Guido Grünewald darauf verzichtet, die Geschichte der DFG-VK seit 1974 zu­sammenfassend zu beschreiben. Die DFG-VK spielte besonders in der Frie­densbewegung der achtziger Jahre eine wichtige Rolle, initiierte u.a. die Kam­pagne für atomwaffenfreie Städte und verschiedene Märsche, z.B. den Olof-Palme-Marsch, verlor dabei aber ein Stück ihrer Eigenidentität, litt unter Misswirtschaft und dem Versuch ihres Bundesvorstandes, hierarchisch-di­rektive Politik zu betreiben. Nach dem Zusammenbruch der DDR kam es zum bislang jüngsten Skandal, als be­kannt wurde, daß die Beziehungen zwischen der DFG-VK und der DKP enger waren, als vorher zugegeben worden war. Fast alle alten Vorstandsmitglieder auf Bun­desebene wie auch etliche Mitglieder der Landes­vorstände wurden zum Rücktritt gezwungen; viele ver­ließen auch die Organisation. Von dieser Ent­wicklung beginnt sich die DFG-VK ge­rade erst wieder zu erho­len. Sie hat in jüngster Zeit die Initiative für eine BRD ohne Armee und die "Bewegung Für ein Europa ohne Gewalt" unterstützt, die ein basisdemokratisches Eu­ropa mit Volks­abstimmungen zum Ziel hat. Ich möchte mich zum Abschluß der Nachbemer­kung des Autors an­schließen: "Die Deutsche Friedensgesellschaft hat der Friedensbewegung in Deutschland viel gegeben; es bleibt zu hoffen, daß auch die DFG-VK in nicht allzu ferner Zu­kunft wieder stärkere pazifistische Ak­zente setzen wird."

Das Buch ist eine interessante und kurzweilig zu le­sende Geschichte des bürgerlichen Pazifismus in Deutschland. Daß der Dokumententeil fast zwei Drit­tel des Buches ausmacht, ist nicht unbe­dingt als ein Nachteil zu werten, sofern die LeserIn die Souveränität besitzt, ein Buch nicht unbedingt von der ersten bis zur letzten Seite lesen zu wollen, son­dern auch einmal weiterzublättern. Wer sich aber vornimmt, sich auf den Text­teil beim Lesen beschränken zu wollen, wird unter Umständen schnell feststel­len, daß sie/er sich irgendwo doch bei den Dokumenten festgelesen hat. Nur eines ist wirklich bedauerlich, nämlich daß es versäumt wurde, ein Inhaltsver­zeichnis - noch besser wäre ein Register auch der Dokumente gewesen - einzu­fügen.

 

Guido Grünewald (Hrsg), Nieder die Waffen! Hundert Jahre Deutsche Frie­densgesellschaft. 1892-1992. Bre­men: Donat Verlag, 1992.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.