Einige Anmerkungen zum Hungerstreik

von Werner Rätz

Vom 1. Februar bis zum 12. Mai befanden sich zeitweise fast 50 Gefangene, die wegen politisch motivierter Delikte einsitzen, im Hungerstreik für ihre Zusammenlegung in eine oder zwei große Gruppen, die Entlassung der kranken, freie Arztwahl und ungehinderte Kommunikation untereinander und mit der Gesellschaft.

Bisher waren und sind die Gefangenen unter Bedingungen untergebracht, die weltweit als "weiße Folter" begriffen werden und geächtet sind: Einzel- oder Kleingruppenisolation über Jahre hin¬weg, teilweise in lärmgedämpften Zellen, optische Überwachung rund um die Uhr, vollständige Zensur aller lesbaren Dinge, seltenste Besuche nur unter Kontrolle. Wer meint, das sei keine Folter, sollte sich mal nur einen Monat mit seiner Wohngemeinschaft so einsperren lassen!
Es gibt in der Tat kein einziges sachliches Argument gegen die Forderungen der Gefangenen. Auch alle "Sicherheitsbedenken" erweisen sich bei genauer Betrachtung der isolierenden Haftbedingungen und von Erfahrungen aus anderen Ländern als haltlos. Was bleibt, sind Rachegelüste: CDU-MdB Friedmann drückt das so aus, "daß Terroristen gemessen an der Schwere ihrer Tat noch königlich untergebracht sind".
Unterstellt, die Haftbedingungen sollten tatsächlich umso unerträglicher für die Betroffenen gestaltet werden, je schwerer ihre Tat war - ein zutiefst unmenschlicher und selbst im Sinne des Schutzes vor Nachahmung oder Wiederholung völlig uneffektiver Gedanke - , ist das Argument falsch: "soziale" Gefangene mit gleichen Taten unterliegen nicht diesen mörderischen Haftbedingungen, von den frei herumlaufende alten und neuen Nazis ganz zu schweigen.
Es ist mitnichten die kriminelle Tat der Gefangenen, die bestraft werden soll. Das wurde sichtbar am Umgang mit Überläufern in der Vergangenheit und wird erneut deutlich an der neuen Kronzeugenregelung. Es ist ausschließlich die politische Gesinnung, die zur Sonderbehandlung führt. Das spätestens macht sie zu politischen Gefangenen.
Aus politischem Kalkül heraus, nicht aus rechtsstaatlichen oder anderen nachvollziehbaren Erwägungen, bestimmte sich auch der Umgang der verschiedenen politischen Strömungen mit dem Hungerstreik. Dabei ist auffällig, daß die erste öffentliche Äußerung staatstragender Kräfte ausgerechnet vom Verfassungsschutz kam: am 23. Februar schlug ein Treffen von Verfassungsschützern aus Bund und Ländern vor, die verurteilten Gefangenen in vier "nach sozialpsychologischen Kriterien zusammengestellten Gruppen" zusammenzulegen (d.h. je Gruppe· sieben), um "der RAF den Wind aus den Segeln [zu] nehmen)" und "eine Eskalation mit ihren Begleiterscheinungen" zu vermeiden. Die Autoren gingen davon aus, daß die RAF wesentlich davon lebt, daß ihre Gefangenen wegen der Sonderhaftbedingungen mystifiziert werden.
Die Bundesregierung nahm diese Vorschläge nicht auf, machte keinerlei Angebot an die Gefangenen, versuchte keine Deeskalation, sondern ein Totschweigen. Justizminister Engelhard: "Das berechtigte öffentliche Informationsbedürfnis muß ... vorübergehend zurückstehen." In der CDU/CSU wurde offen auf Tote gesetzt: MdB Seesing am 17. März im Bundestag; "Das freie Selbstbestimmungsrecht des Gefangenen wird anerkannt, wenn es um seine Person und sein Leben geht... Eine Rechtspflicht zum Weiterleben besteht nicht." Sein Kollege Herkenrath assistierte. Margret Thatcher "hat die Hungerstreikenden nicht zwangsernähren lassen. Mit der Folge, daß Hungerstreik nicht mehr als politisches Kampfmittel eingesetzt worden ist." Vorher waren 10 IRA-Gefangene gestorben, bis die anderen endlich ein¬gesehen hatten, daß der Rechtsstaat weiß, "wie man einem Erpressungsversuch begegnet" (Herkenrath). Daß es dazu diesmal nicht kam, lag gewiß nicht an der CDU.
Aber auch die SPD kannte ja das Verfassungsschutzpapier vom 23. Februar, das rasches Handeln forderte. Erstmals äußerte sich ein führender Sozialdemokrat (P. Conradi) am 13. März zum Thema, dem 41.Tag des Hungerstreiks. Auch bei der Bundestagsdebatte am 16./17. März kam von ihr nichts Konkretes. Erst Momper Vermittlungsbitte an Schmude une Frau Süssmuth am 29. März (57. Tag eröffnete die parteipolitische Debatte. Und erst am 11. April (70. Tag) erfolgte ein öffentliches Angebot an die Gefangenen, das weiter hinter dem Verfassungsschutzvorschlag zurück blieb (kleinere Gruppen nur für Gefangenen in SPD-Ländern). Warum dieser Zeitplan? Nach vielen Erfahrungen der Vergangenheit hätte es da schon Tote gegeben haben könne. Teilte die SPD im Grunde die Sicht der CDU und mußte erst zur Bewegung "gezwungen" werden?
In der Tat hatte es in den vorhergehenden Tagen einige Stellungnahme aus Teilen der SPD-Klientel gegeben; eine Gruppe von Prominenten (SPD und Grüne) hatte Ostern einen Appell veröffentlicht, der Staat und Gefangene zu Kompromissen aufforderte, Republikanischer Anwälteverein, sozialdemokratische Juristen, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Humanistische Union und Liga für Menschrechte hatten sich mehr oder weniger eindeutig für die Zusammenlegung ausgesprochen. Aber auch diese Erklärungen kamen sehr spät, alle erst nach dem 53. Hungerstreiktag. Es hat sicher nichts mit Menschenverachtung oder böser Absicht zu tun, aber praktisch ist die liberale Öffentlichkeit der Strategie der etablierten Kräfte gefolgt, das Thema nicht vor der kritischen Phase hochzuhängen. Wirkte da immer noch nach, daß mensch in diesem Lande jahrelang nicht von der RAF reden konnte, ohne sich vorher ausführlichst zu distanzieren? Sitzt das staatlicherseits verbreitete Bild der bösartigen Terroristen, die auf die kleinste Chance warten, um alte Leute und kleine Kinder umzubringen, in Teilen auch in unseren Köpfen?
Zumindest muß es nachdenklich machen, daß bis weit in die Grünen hinein mit erstaunlicher Hartnäckigkeit von den "Hardlinern" auf beiden Seiten ge¬redet wurde. Dabei haben die Gefangenen keinen Anlaß dazu gegeben, anzunehmen, daß manche eine härtere Haltung gewollt hätten. Ihr Abbruch des Streiks, ehe es Tote gab und ohne greifbares Ergebnis beweist vielmehr ein großes Verantwortungsbewußtsein für die Risiken weiterer Eskalation. Woher stammt das gern benutzte Bild der "Gespensterzüge", die aufeinander zurasen, wenn in Wirklichkeit eine Seite eskaliert und die andere klein beigibt?
Das einzige Mittel, das Gefangene ernsthaft zur Verfügung haben, um sich bessere Bedingungen zu erkämp¬fen, ist der Hungerstreik. Die politi¬schen Gefangenen in der BRD werden es lange nicht mehr benutzen können. (Abgesehen davon, daß sie alle dies¬mal dafür noch zusätzlich ein Verfahren wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung'' bekommen haben - sie sollen also dafür bestraft werden, daß sie sich selbst unterstützen.) Sie sind deutlich in Vorleistung gegangen. Das Mindeste, was alle Menschen guten Willens in diesem Land ihnen schuldig sind, ist, auch nach dem Ende des Hungerstreiks ernsthaft für ihre berechtigten Forderungen einzutreten.
Werner Rätz arbeitet bei der Bundeskoordination unabhängiger Friedensgruppen (Buf) mit.

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de