END '92 in Brüssel

von Detlef Rochter
Initiativen
Initiativen

Friedensbewegte aus über fünfzig Ländern der Erde trafen sich vom 1. bis 4. Juli zur European Nuclear Disarmament Convention '92 in Brüs­sel. Nach Angaben der Veranstalter kamen 666 zahlende Gäste, und manch einer wird sich die 220,- DM Teilnahmebeitrag gespart haben. In dreiundfünfzig Arbeitssitzungen diskutierten sie unter den Stichwörtern "Kollektive Sicherheit", "Friedensökonomie", "Miteinander Leben" und "Regionale Krisen" über Aufgaben und Möglichkeiten der Friedensbe­wegung.

Kriege

Neben Veranstaltungen zu den "vergessenen Konflikten" in Nordirland und im Baskenland nahmen die aktuel­len Krisenherde in Europa breiten Raum im Programm ein. Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien stand im Ar­beitsfeld Regionale Krisen natürlich im Vordergrund. Dort betonten die Teil­nehmer aus Jugoslawien, daß es viele Möglichkeiten gibt, Friedensgruppen in den betreffenden Gebieten zu unterstüt­zen - etwa mit Faxgeräten, Computern und Modems, Geräten, die Informationsfluss und Verständigung überhaupt erst ermöglichen. Wie schwierig diese Verständigung ist, wurde jedoch in den Foren deutlich, hatten doch die Gruppen der Region große Probleme, eine ge­meinsame Gesprächsbasis zu finden. In und außerhalb Jugoslawiens wird in vielen Projekten und Einzelaktionen um eine Befriedung der Region gerungen. Eine Zusammenfassung der Anstren­gungen in einem gemeinsamen Projekt, wie etwa dem vorgeschlagenes "Parlament" von unten, das ein ständi­ges Forum für eine übergreifende Arbeit bilden sollte, wurde jedoch - meines Wissens - nicht in Angriff genommen.

In der Bewertung der Ursachen kam man sich dagegen recht nahe: Ein Fak­tor, der wesentlich zur Eskalation des Krieges beigetragen hat, ist die men­schenverachtende Illusion der Konflikt­parteien, man könne Sicherheit durch die Schaffung ethnisch homogener Siedlungsgebiete erreichen. Die Aner­kennungspolitik - wie sie ja vor allem von den Deutschen betrieben wurde - hat eher eskalierend gewirkt, denn das Prinzip der Selbstbestimmung der Völ­ker garantiert noch keine friedliche und demokratische Entwicklung. Zu oft wird es ein Instrument für die Herrschaftsin­teressen autoritärer politischer Eilten. Die Vertreter der jugoslawischen Frie­densgruppen verurteilten auch die Idee, mit einer militärischen Intervention Frieden in der Region schaffen zu kön­nen. Bevor die europäische Regierungen aus Hilf- und Phantasielosigkeit auf mi­litärische Gewalt zurückgreifen, sollten alle Möglichkeiten ausgeschöpft wer­den.

Auch in einem Forum, das sich mit den ethnischen Konflikten in der zerfallen­den Sowjetunion beschäftigte, wurde das Prinzip Selbstbestimmung häufig eingefordert - allerdings oft unkritisch. Hier zeigte sich, wie tief der Graben zwischen Ost und West auch für die Friedensbewegung noch ist. Während im Westen Europas Nationalismus eher als Gefährdung des Friedens erlebt wird, sind die Begriffe Nation und Ei­genstaatlichkeit für viele Bevölkerungs­gruppen auf dem Territorium der GUS identitätsbildende Symbole für Freiheit. Die gewaltfördernde Rolle von Militär wird weniger in Frage gestellt, so etwa wenn ein georgischer Delegierter es als natürlich ansieht, daß Georgien als un­abhängiger Staat selbstverständlich eine Armee haben müsse. Hier wird noch in unterschiedlichen Sprachen gesprochen, was aber zumindest in dieser Veran­staltung nicht allzusehr auffiel, da die Vertreter der GUS hier weitgehend un­ter sich waren.

Sicherheit

Größeren Zulauf hatten die Veranstal­tungen unter dem Stichwort kollektive Sicherheit. Immerhin ist die Debatte um neue "europäische Sicherheitsstruktu­ren" hochaktuell und die Friedensbewe­gung läuft Gefahr, von der Entwicklung überrollt zu werden. Die END-Veran­stalter versuchten hier einen Dialog mit den Institutionen, indem sie auch Ver­treter von NATO, WEU, KSZE und Eu­ropa-Parlament auf das Podium einlu­den. Eine gemeinsame Richtung kristal­lisierte sich aber auch unter dieser "Feindberührung" nicht heraus.

Ein Hauptstreitpunkt war die Haltung zur NATO - so formulierte Dan Schmith provokativ die These, daß, wer langfri­stig eine Demilitarisierung Europas wolle, besser kurzfristig die NATO tole­riert. Dahinter steckt die Überlegung, daß die NATO durch ihre Entstehungs­geschichte und ihre territoriale Bindung das kleinere Übel gegenüber dem Po­tential der WEU ist. Diese wird, wenn die derzeitigen Planungen umgesetzt werden, "flexibler" - das heißt weltweit einsetzbar, aggressiver und militarisier­ter.

Dagegen wollten andere Diskussions­teilnehmer die Forderung nach Auflö­sung der NATO nicht aus taktischen Gründen aufgeben. So hat zum Beispiel der Golfkrieg gezeigt, daß auch die NATO weltweit eingreift: Die Mit­gliedsstaaten setzten ihre Truppen ein und nutzten ihre Infrastruktur, nur auf den offiziellen Beschluß wurde ver­zichtet.

Einige Teilnehmer brachen eine Lanze für die KSZE. Als einziges gemeinsamen Gremium aller europäischen Staaten könnte sie die nötige Integration Europas leisten. Ein Enthusiast ging so­gar soweit, der KSZE militärische Ein­heiten der Mitgliedsstaaten zuordnen zu wollen. Ob im Rahmen der UN, der EG oder der KSZE: auch in Sachen Mili­täreinsätze zu friedenssichernden Maß­nahmen gab es nützliche Kontroversen.

Und darüber hinaus

Daß Frieden mehr ist, als die Abwesen­heit von Krieg, mag ein Allgemeinplatz sein - daß diesem Mehr auf die Spur zu kommen ist, hat die Friedensbewegung erkannt, dies wurde in der Vielfalt der Themen deutlich. Im Arbeitsbereich Miteinander Leben wurden Nationalis­mus, Rassismus und de politische Kul­tur Europas thematisiert und ein Dialog zwischen der Friedensbewegung und Anti-Rassismus-Gruppen angestoßen.

Wie Militarisierung von Gesellschaft mit Umweltkrise, Armut und Verschul­dung zusammenhängen, wurde im Be­reich Friedensökonomie angesprochen. Die Veranstalter versuchten durch Foren zu konkreten Teilbereichen des Themas ökonomischen Aspekten des Friedens nachzuspüren. Möglichkeiten der Kon­version wurden ebenso diskutiert wie Sinn und Unsinn ökonomischer Sank­tionen als friedenserzwingendes Mittel und der Zusammenhang von Waffen­handel und der Unterdrückung demo­kratischer Opposition.

In diesem weiten Spektrum an aufge­griffenen Themen wird ein Versuch deutlich, die Friedensbewegung zu ver­breitern. Doch auch das "klassische Thema" der Friedensbewegung, die atomare Abrüstung, ist noch nicht vom Tisch. Die internationale Kampagne für einen weltweiten Atomteststopp und An­strengungen auf nationaler Ebene wie die Aktionen des CND gegen die neu entwickelten, mit Atomraketen be­stückten Trident U-Boote sind Beleg da­für.

Konferenzen wie die END-Convention machen auch bewusst, wie wichtig inter­nationales Denken und europäische Vernetzung der Initiativen von unten wäre und wie unterentwickelt sie noch ist - besonders im Vergleich mit dem Wirken in den Regierungs- und Konzer­netagen. Das "Liason-Komittee" der END wird sich im September mit der Planung einer nächsten Konferenz be­fassen - eventuell in Bonn, von wo ein Angebot der Friedenskooperative zur Durchführung vorliegt.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Detlef Rochter ist Politikstudent und Mitarbeiter der in Berlin erscheinenden antimilitarismus information (ami).