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Zum Umgang der mittelständischen Industrie mit der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter am Beispiel Stolberg (Kreis Aachen).
Entschädigung
vonAm 10.11.99 berichtete die Frankfurter Rundschau zum Stand der nunmehr rund 1-jährigen Diskussion um den geplanten Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter, dass sich die 49.000 Unternehmen des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft trotz Beteiligungsempfehlung ihrer Lobby-Organisation stur stellen: "Bisland hat sich nicht ein einziges mittelständisches Unternehmen bereit gezeigt... einzuzahlen".
Dass sich daran wohl nichts wesentliches ändern wird, zeigt beispielhaft die Reaktion der mittelständischen Betriebe in Stolberg, nachdem der American Jewish Congress (AJC) Anfang Dezember 99 eine Liste mit 257 ehemals Zwangsarbeiter beschäftigende Firmen vorlegte, darunter dreier Betriebe aus bzw. mit Niederlassung in Stolberg.
Nachdem die Lokalpresse die Listenveröffentlichung aufgegriffen hatte, heuchelte man von Firmenseite erst mal Erstaunen: "Firmen überrascht", titelte etwa die Aachener Zeitung (AZ) am 9.12.99. Zaghafte Nachfragen der Lokalredaktion der Stolberger Nachrichten (SN) bei den drei genannten Firmen brachten dann bemerkenswerte Ergebnisse: Einerseits beharrte man darauf, nichts zu wissen. Kostproben: "Neu ist, dass es bei DALLI Zwangsarbeiter gegeben haben soll". "Weder Gesellschafter noch die AG (als neue Eigentümer der Stolberger METALLWERKE; d. Verf) hätten Kenntnis über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern". Bei der VEGLA hätten "eigene Recherchen keine Hinweise auf Zwangsarbeiter ergeben", man sei jedoch "für jeden Hinweis aus jener Zeit dankbar" (SN v. 10.12.99). Erstaunlich, dass man bei soviel zur Schau gestelltem Unwissen gleichzeitig versichern konnte, dass die nicht vorhandenen Zwangsarbeiter ja höchstens "Niederländer, Belgier und Franzosen" (DALLI) bzw. "französische Kriegsgefangene" waren, die vielfach "auf Wunsch ihrer Familien von der VEGLA angefordert worden (seien)". Darüber hinaus wusste der DALLI-Sprecher, dass ihre "Fremdarbeiter... zum einen im Hotel ,Ortmanns' ... und in der ,Wirte-Brauerei' (untergebracht waren)" (SN v. 10.12.99). Auch habe es bei DALLI "ausländische Arbeiter gegeben, die normal wie alle anderen entlohnt wurden" (AZ v. 9.12.99). Kein Wunder also, dass sich die drei Firmen bei soviel reinem Gewissen über die nicht vorhandenen Zwangsarbeiter einig waren, dass man erst mal keinen Anlass sehe, weiter "tätig zu werden".
Dies blieb auch so, nachdem die Stolberger Bürgerinitiative "Gruppe Z- Zukunft ohne Fremdenhass, Faschismus & Krieg" in den Stolberger Nachrichten vom 14.12.99 die von der VEGLA so sehnlichst erwarteten weiteren Hinweise bzgl. Zwangsarbeit in Stolberg nachliefern konnte.
Demnach muss von über 2.000 Zwangsarbeitern in Stolberg ausgegangen werden, wobei sich diese Anzahl aufteilt in Kriegsgefangene und Zivilarbeiter, worunter sowohl bereits vor dem Krieg u. a. aufgrund der Grenznähe beschäftigte Niederländer oder Belgier zu fassen sind, als auch die nach Kriegsbeginn Verschleppten aus den besetzten Gebieten; hier vor allem sogenannte Ostarbeiter, für die in jeglicher Hinsicht die schärfsten Vorschriften galten. Diese Ostarbeiter, darunter viele Frauen, stellten den größten Anteil an allen Zwangsarbeitern. Sie waren in fast allen Stolberger Betrieben, natürlich auch den drei genannten in größerer Zahl eingesetzt. Nachgewiesenermaßen überlebten 25 sowjetische Kriegsgefangene und 19 sowjetische Zivilarbeiter ihren Einsatz in Stolberg nicht. Allein bei den DALLI-Werken rissen innerhalb von nur sechs Monaten des Jahres 1942 zwanzig Kriegsgefangene aus den Werkslagern aus, was wohl kaum mit der ,Hotelunterbringung' und der 'gleichen Entlohnung' zu erklären sein dürfte.
Wer dieses und noch viel mehr jedoch wirklich wissen wollte, der hätte dazu bereits vor Veröffentlichung der höchst unvollständigen AJC-Liste vielfache Gelegenheit gehabt. So wurden schon 1991 im Rahmen eines VHS-Arbeitskreises entsprechende Zahlen veröffentlicht (vgl. SN v. 22.6.91). Im Dezember 1995 gab die "Gruppe Z" die Broschüre '"...nach Auschwitz verzogen" - Stationen des Nazi-Terrors und der Verfolgung in einer rheinischen Kleinstadt' heraus. Diese Broschüre führt alle bis dahin in Stolberg bekannten Lagerstätten der verschiedensten Art auf. Nachweislich wurde die Broschüre auch in Stolbergs Industriellenkreisen (hier: Firma PRYM) zur Kenntnis genommen. 1997 wurde die Dissertation von Ralph J. Jaud "Der Landkreis Aachen in der NS-Zeit" veröffentlicht. Auch hier findet sich ein entsprechendes Kapitel, wenn auch ohne besondere Zuordnungen zu einzelnen Betrieben. Ein Offener Brief der "Gruppe Z" vom Dezember 98 an alle ehemals Zwangsarbeiter beschäftigende Betriebe, darunter den drei genannten, zur Beteiligung am Entschädigungsfonds wurde mit keinerlei Antwort bedacht: Man wollte lieber Unwissend bleiben. Doch jetzt, am vorläufigen Ende dieser Geschichte, wurde gerüchteweise noch so etwas wie eine Reaktion der Industrie laut. Nämlich in Form eines Zorns darüber, dass es in der Vergangenheit eine archivarische Quelle gegeben hat, aus der die heute Wissenden sich bedienen konnten, ohne dass die ewig unwissend bleiben wollenden ahnten, was da so alles über sie zu finden sein würde.