Entwaffnen wir Deutschland

von Hetti Droste-Vischering

Unter dem Motto ENTWAFFNEN WIR DEUTSCHLAND führten DDR- und BRD-BürgerInnen gemeinsam am 8. und 9. April 90 am Atomraketenstandort der Bundeswehr in Großengstingen gewaltfreie Blockaden und Friedensaktionen durch. Beteiligt waren Menschen aus Cottbus, Leipzig, Dresden, Ostberlin, Erfurt, Frankfurt/O., Tübingen, Reutlingen, Mutlangen, Heidelberg, Freiburg und München.
Da waren die DDR-BürgerInnen, die "drüben" unerlaubt demonstrierten, im Westen allenthalben über den grünen Klee gelobt worden, dafür, daß sie entschlossen und gewaltfrei eine politische Notwendigkeit durchsetzten... tun sie "hüben" ein Gleiches, weht da schon ein ganz anderer Wind! Ein eisiger!
In Engstingen zu blockieren, war für diese Menschen eine klare Konsequenz aus dem, was sie jüngst erlebt hatte: Die scheinbar unumstößliche Macht ihrer Regierung konnte gebrochen werden - jetzt ist die Zeit gekommen, die Macht des Militärs zu brechen.
Da waren sie nun mit ihren taufrischen Erfahrungen - ca fünfzig Menschen verschiedener Alters- und Berufsgruppen - sie hatten bei sich das Wunder erlebt, daß die, vor denen sie Angst hatten - die Träger der staatlichen Macht - als sie ihre Angst überwenden, auch ihre Barrieren gegen freundliche Gesprächsbereitschaft nicht aufrechterhalten konnten. Bis hin zu letzten kalten Absage vor Ort, dachten sie, auch in Engstingen in die Kaserne hineinkommen zu können, um dort mit den und für die Soldaten ein Forum abzuhalten und waren ehrlich enttäuscht von dem abschlägigen Ergebnis.
Auch sonst hatte der "Westen" unterstützt durch Schnee und Regen alles getan, um für ein ungemütliches Klima zu sorgen: So hatte die Staatsanwaltschaft speziell bei DDR-BürgerInnen vorsorglich Fluchtgefahr unterstellt, weshalb diese, falls sie so frech wären zu blockieren, ihre evtl. Bußgelder, Tagessatzstrafen oder Polizeikosten sofort hätten vorausbezahlen sollen. Von der Erzwingung solcher Sicherheitsleistungen wurde noch einmal Abstand genommen, nachdem pünktlich am Vorabend unserer Aktion ein Rechtshilfeabkommen zwischen beiden deutschen Staaten in Kraft trat. Ungewöhnlich für Engstingen war auch, daß die BlockiererInnen bei der Festnahme nach Waffen durchsucht wurden.
Von alldem waren die OstlerInnen durchaus beeindruckt und erstaunt, nicht aber in ihrer entschlossenen Haltung beirrt! Den weitaus tieferen Eindruck machte nämlich der Anblick des Atomsprengkopflagers auf sie - sie waren Massenvernichtungsmitteln noch nie bewußt so nahe gekommen. In starker Betroffenheit hielten wir dort einen Gottesdienst, um anschließend die einzige Zufahrt zum Lager und die drei Tore der Kaserne gewaltfrei zu blockieren und am Haupttor unser Forum mit Redebeiträgen, Diskussion und Kulturprogramm durchzuführen. Ziel und Thema: Die Entmilitarisierung beider deutscher Staaten. Es kamen neben VertreterInnen der anwesenden Gruppen Thomas Nielebock, Friedensforscher aus Tübingen, Pfarrer Führer von der Leipziger Nikolaikirche und Alfred Mechtersheimer zu Wort. Überraschend gelang es uns, einen Engstinger Offizier der Bundeswehr ans Mikrofon zu lotsen, der in der folgenden engagierten Diskussion den Standpunkt einnahm, Atomwaffen seien zwar irrational, aber politisch, und Recht und Freiheit müßten bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden.
Gegen Abend verschwanden dann unsere BesucherInnen, "Prommis", und JournalistInnen von der eisigen Bildfläche, während im Sprecherrat beschlossen wurde, das Haupttor der Kaserne und das Lager die Nacht über durch zu blockieren.
Morgend dann demonstrierte das Militär, daß es zwar nicht auf die Benutzung seiner Tore angewiesen sei, sich aber auch keine Blockade gefallenlassen müsse. Die Soldaten hatten entweder frei, oder sollten draußen parken und ihren Dienst zu Fuß antreten. (Auch das gabs in Engstingen bei Blockaden noch nie - obwohl wirs schon des öfteren vorgeschlagen hatten). Dennoch wurde das Haupttor zweimal freigeräumt. Gegen 22 BlockiererInnen sind Bußgeldverfahren eingeleitet, außerdem werden für das Wegtragen Gebühren von ihnen erhoben.
Mit hat diese Aktion - vor allem der gewaltfrei entschlossene Geist, der sie trug - Mut und Hoffnung gemacht. Wenn wir von unten verändern eingreifen können, dann so. Andererseits mache ich mir Sorgen, daß diese wertvollen Kräfte versickern, wenn wir kein entsprechend gezieltes Konzept für ihren Einsatz entwickeln. Immerhin, ein Impuls ist gesetzt, und unsere Ost-West-Zusammenarbeit beginnt sich zu festigen: Am 26. Mai wird ein "Ernstfall-Lager" bei Leipzig heimgesucht (mit Forum in der Kaserne dort und einem Stück Rüstungskonversion!). Kontakt für alle, die genauere Infos zur Aktion, ihren Folgen oder der Weiterarbeit wollen ist das Friedensbüro in Tübingen, Neckarhalde 8, 07071/24807.

Falls Ihr derartige Meldungen mit aufnehmt - Es gibt Neuigkeiten von der Tübingen Blockadescene:

  1. Freche TübingerInnen, die weder ihre Polizeikosten zahlen (Wegtragegebühren); noch sich die eidesstattliche Versicherung (Offenbarungseid) abnehmen lassen, kommen hier neuerdings in Beugehaft.
  2. Am 5. Juni trete ich eine 20tägige Ersatzfreiheitsstrafe an, die das Amtsgericht Tübingen wegen öffentlicher Aufforderung zur Blockade (Nagasakitag 1988) gegen mich verhängte.

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