Die sechste NPT-Überprüfungskonferenz vom 24. April bis zum 19. Mai 2000

Erfolg oder vergebene Liebesmüh`?

von Antje Wunderlich
Hintergrund
Hintergrund

Für den Nichtverbreitungsvertrag (Non-Prolifertation Treaty - NPT) gab es in den letzten fünf Jahren drei gute Nachrichten: Neun Staaten sind dem NPT seit seiner Verlängerung 1995 neu beigetreten, die russische Duma ratifizierte am 14. April das START II-Abkommen und 1996 wurde ein umfassender Teststoppvertrag (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty - CTBT) abgeschlossen, der seit dem zur Unterzeichnung ausliegt. Das war`s aber auch schon mit den guten Nachrichten.

Zwischen Hoffen und Bangen - Die Voraussetzungen
Bereits die START II-Ratifizierung und der CTBT sind keine Quellen ungetrübter Freude. Denn nach den russischen Ratifizierungsgesetzen tritt START II erst in Kraft, wenn die USA die 1997 mit Russland ausgehandelten Zusatzprotokolle zu START II und zum ABM-Vertrag ratifizieren. Dafür ist aber bisher weit und breit kein Termin in Sicht, weil die Republikaner im US-Senat den ABM-Vertrag am liebsten kündigen würden. Auch das Inkrafttreten des CTBT steht in den Sternen. Damit der Vertrag wirksam wird, müssen die 44 Staaten, die eine nukleare Industrie besitzen, diesen ratifiziert haben. Bisher haben das nur 27 von ihnen getan. Unter denen, die nicht ratifiziert haben, sind die USA, China und Israel. Nordkorea, das unter Verdacht steht, Nuklearwaffen zu entwickeln, sowie die de facto Kernwaffenstaaten Indien und Pakistan haben den Vertrag noch nicht einmal unterzeichnet. Die 1998 durchgeführten nuklearen Testexplosionen der beiden letztgenannten Staaten, die beide nicht Mitglied des NPT sind, waren der wohl schwerste Schlag für das Nichtverbreitungsregime in den letzten fünf Jahren.

Aber auch die offiziellen Nuklearwaffenstaaten haben in den letzten fünf Jahren die Bedeutung von Kernwaffen eher betont als reduziert. In dem im April 1999 verabschiedeten neuen strategischen Konzept der NATO behält diese sich die Option eines nuklearen Ersteinsatzes vor. Die aus dem strategischen Konzept abgeleitete (geheime) Militärstrategie MC 400/2 erlaubt nach Auskünften eines NATO-Sprechers gegenüber dem "Zürcher Tagesanzeiger" darüber hinaus auch die Drohung mit Nuklearwaffen gegen einen Angriff mit biologischen oder chemischen Waffen. Die neue, am 21. April 2000 verabschiedete russische Militärdoktrin schließt sogar einen Einsatz von Atomwaffen als Antwort auf einen Angriff mit konventionellen Waffen nicht aus, "wenn alle anderen Mittel zur Lösung der Krise ausgeschöpft wurden oder sich als ineffektiv erwiesen haben". Diese Ausweitung der Rolle von Nuklearwaffen in den Verteidigungsstrategien legt nahe, dass die Kernwaffenstaaten nicht vorhaben, ihrer "unzweideutigen Verpflichtung" nachzukommen, "die vollständige Eliminierung ihrer Kernwaffen zu vollenden, was zu nuklearer Abrüstung führen wird, zu der alle Vertragsparteien unter Art. VI verpflichtet sind". Genau das aber ist es, was die Kernwaffenstaaten am Ende einer erhitzten Debatte der gerade zuende gegangenen Überprüfungskonferenz versprochen haben.

Von der hohen Kunst der Diplomatie - Viel versprechen - Ganz unverbindlich
Die bedeutendsten "Schlachten" auf der Überprüfungskonferenz wurden um das Thema Abrüstung geschlagen. Da gab es auf der einen Seite die fünf Nuklearwaffenstaaten, die gekommen waren, ihre Arsenale zu verteidigen, und nach langen Verhandlungen ein gemeinsames Papier vorlegten. Auf der anderen Seite standen die Nicht-Nuklearwaffenstaaten, die bereits seit 30 Jahren darauf warten, dass die Kernwaffenstaaten ihren Abrüstungspflichten aus Artikel VI des NPT nachkommen.

Die radikalsten Kämpfer für vollständige nukleare Abrüstung waren wie bisher die Länder der Blockfreienbewegung (Non-Aligned-Movement - NAM). Daneben hatten sich aber darüber hinaus zwei weitere Gruppen formiert, die auf den vorherigen Überprüfungskonferenzen noch nicht auftraten: Zum einen die New-Agenda-Coalition (NAC) und zum anderen eine Gruppe von fünf Nicht-Nuklearwaffenstaaten der NATO (NATO-5).

Die 1998 von den Ländern Brasilien, Ägypten, Schweden, Irland, Mexiko, Neuseeland, Slowenien und Südafrika gegründete NAC forderte wie die NAM die vollständige nukleare Abrüstung, schlug aber in der Frage, wie dieses Ziel zu erreichen sei, einen gemäßigteren Kurs ein. Dieser erwies sich als äußerst konstruktiv - die meisten zu verzeichnenden Erfolge der Konferenz gehen auf Vorschläge der NAC zurück. Die NATO-5 - Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande und Norwegen - gingen in ihren Abrüstungsforderungen und -vorschlägen teilweise ein gutes Stück über die Vorstellungen ihrer Kernwaffen besitzenden Partner hinaus, blieben aber im Rahmen dessen, was keinen Konflikt innerhalb der NATO provoziert. Ihre Absicht war, sich als Bindeglied zwischen Nuklearwaffenstaaten und NAC zu profilieren.

In wochenlangen Verhandlungen entstand der oben zitierte Artikel für die Abschlusserklärung der Konferenz, in dem sich die Nuklearwaffenstaaten zum ersten Mal zu vollständiger nuklearer Abrüstung verpflichten, ohne diese an die vollständige Abrüstung konventioneller Waffen zu binden. Darüber hinaus mahnt das Abschlussdokument das baldige Inkrafttreten des CTBT und von START II sowie Verhandlungen über START III an. Auch verpflichten sich die Nuklearwaffenstaaten zum ersten Mal im Rahmen des NPT explizit, auch ihre nicht-strategischen Kernwaffen zu reduzieren.
Ein Dorn im Auge der Verfechter von nuklearer Abrüstung war die erneute Bestätigung der Rolle von Nuklearwaffen im neuen Strategiekonzept der NATO und in der neuen russischen Militärdoktrin. Das Abschlussdokument verpflichtet die Nuklearwaffenstaaten, die Rolle der Kernwaffen in ihren Sicherheitsstrategien zu reduzieren.

Mit Blick auf das Strategiekonzept der NATO wurde aber noch eine weitere Diskussion geführt. Ihr Fokus war die nukleare Teilhabe. Diese sieht vor, im Falle eines Einsatzes von Nuklearwaffen durch die NATO, US-Kernwaffen, die auf dem Boden von Nicht-Nuklearwaffenbesitzern stationiert sind, mit Flugzeugen dieser Staaten einzusetzen. Damit einher geht, dass die Kontrolle über diese Waffen an die Piloten der Nicht-Nuklearwaffenstaaten weitergegeben wird. Das verstößt gegen die Artikel I und II des NPT, die die Weitergabe der Kontrolle von Atomwaffen von Nuklearwaffenstaaten an Nicht-Kernwaffenstaaten verbieten.

Die Diskussion über die nukleare Teilhabe schlug sich in drei Artikeln im Abschlussdokument nieder: Zwei Artikel erinnern - wie üblich - die Nuklearwaffen- wie die Nicht-Nuklearwaffenstaaten nochmals an ihre Verpflichtungen aus Artikel I und II. Nachgeschoben folgt dann ein Artikel, der betont, wie wichtig die Einhaltung der Vertragsvorschriften für die Vermeidung von Proliferation "unter allen Umständen" ist. Das heißt, auch im Falle eines Kriegs sollten die Verpflichtungen aus Artikel I und II des Vertrags eingehalten werden. Bisher beriefen sich die NATO-Staaten immer auf eine US-amerikanische NPT-Interpretation, in der erklärt wird, dass der Vertrag im Falle Atomkriegs automatisch außer Kraft tritt, und deshalb die nukleare Teilhabe gerechtfertigt ist. Dieser Interpretation wird nun deutlich widersprochen.

Ein weiterer Konflikt, der sich der Konferenz aufdrängte, waren die Auseinandersetzungen über das Vorhaben der USA, ein nationales Raketenabwehrsystem (National-Missile-Defense-System - NMD) aufzubauen. Auf der Überprüfungskonferenz verliehen viele Staaten ihren Befürchtungen Ausdruck, dass ein amerikanisches NMD das Ende der vertraglichen Rüstungskontrolle und der Beginn einer erneuten nuklearen Aufrüstungsspirale sein könnte. Denn vor allem Russland und China drohten, dass die Verwirklichung von NMD ihre Abkehr vom Weg der Rüstungskontrolle und Abrüstung zur Konsequenz haben werde. Den USA gelang es aber, im gemeinsamen Statement der fünf Nuklearwaffenstaaten nicht mehr als einen einzigen wachsweichen Satz zum ABM-Vertrag zuzulassen: "(...) bei gleichzeitiger Bewahrung und Stärkung des ABM-Vertrags als ein Eckstein strategischer Stabilität und als Grundlage für weitere Reduktionen von strategischen Waffen in Übereinstimmung mit seinen Bestimmungen". Dieser Satz lässt die Option offen, den ABM-Vertrag abzuändern, wie die USA es wollen. Damit wurde die Diskussion um ABM und NMD auf der Überprüfungskonferenz abgewürgt, da das Bestehen auf einen verbindlicheren Artikel gegen das Votum aller fünf Kernwaffenstaaten ohnehin zwecklos gewesen wäre. Der oben zitierte Satz wurde unverändert ins Abschlussdokument übernommen - die Überprüfungskonferenz traf zu NMD praktisch keine Aussage.
 

Erkauft wurde dieses Ende der Debatte um NMD mit einem Zugeständnis der USA an China. Im Gegenzug für den ABM-Satz wehrten sich die USA nicht gegen Chinas Forderung nach einem Artikel, der die Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial (Cut-off-Verhandlungen) in die Zuständigkeit der Genfer Abrüstungskonferenz legt. Dies kommt China entgegen, weil es die Cut-off-Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz blockieren kann. Chinas Blockade dürfte solange wirksam bleiben, wie die USA tatsächlich an NMD festhalten. Denn dann muss China sein Atompotential ausbauen, um weiterhin über eine nukleare Abschreckung gegen die USA zu verfügen. Die Bindung der Cut-off-Verhandlungen an die Genfer Abrüstungskonferenz wurde ins Abschlussprotokoll übernommen. Sie wird verhindern, dass die Forderung der Überprüfungskonferenz nach einem baldigen Beginn der Gespräche realisiert werden wird.

Jenseits der Abrüstungsdebatte gelangten noch drei Artikel über regionale Probleme ins Abschlussdokument, die von Bedeutung für die weltweite Non-Proliferation und Abrüstung sind. Indien und Pakistan wurden aufgefordert, dem NPT als Nicht-Kernwaffenstaaten beizutreten. Iraks Nichterfüllung der Vertragspflichten wurde erwähnt, und Israel wurde zum ersten Mal namentlich aufgefordert, dem NPT als Nicht-Nuklearwaffenstaat beizutreten.

Erfolgreich - und doch gescheitert?
Es war schon ein Erfolg, überhaupt ein gemeinsames Dokument zu verabschieden. Das Nichtverbreitungsregime besteht weiter - für die nächsten fünf Jahre im Konsens. Ob man sich aber Kofi Annans Urteil anschließen sollte, der die Verabschiedung des gemeinsamen Abschlussdokuments als einen "wichtigen Schritt für die Menschheit, eine friedlichere Welt ohne atomare Bedrohung zu erreichen" bezeichnete, ist zu bezweifeln.

Die den Nuklearwaffenstaaten im Abschlussdokument der NPT-Konferenz 2000 abgerungenen Schritte in Richtung Abrüstung sind erneut durchdrungen von jenem Gegensatz, der schon mehrere NPT-Treffen scheitern ließ: 182 Nicht-Nuklearwaffenstaaten fordern die seit dreißig Jahren fälligen Abrüstungsschritte von den Kernwaffenstaaten. Diese wiederum sind sich einig darin, keine Forderung, die die jetzigen globalen nuklear-strategischen Machtverhältnisse ernsthaft gefährden könnte, Wirklichkeit werden zu lassen.
 

Irgendwo in der Mitte dieser Positionen sind die Artikel des Abschlussdokuments zur nuklearen Abrüstung angesiedelt. Zum ersten Mal verpflichteten sich die Nuklearwaffenstaaten zu vollständiger nuklearer Abrüstung ohne Bedingungen. Allerdings enthält diese Verpflichtung keinerlei zeitliche Zwänge. Zusammen mit den anderen Zugeständnissen der Nuklearwaffenstaaten ist sie ein Minischritt in Richtung nuklearer Abrüstung, über den man sich freuen kann - er muss aber auch gegangen werden.

Die Entwicklungen der jüngsten Zeit gehen jedoch in eine ganz andere Richtung. Drei Staaten, die Nuklearwaffen besitzen - Indien, Pakistan und Israel -, haben den NPT erst gar nicht unterschrieben. Zudem wurde der Spielraum für einen Einsatz von Nuklearwaffen von Russland und auch von der NATO deutlich vergrößert.

Die erweiterte Rolle nuklearer Waffen in der NATO-Militärstrategie ist Ausdruck für einen Trend, der sich zunächst in den USA abzeichnete und nun auf die NATO übergreift. Dieser Trend ist die Abkehr von der Bekämpfung der Proliferation von Nuklearwaffen durch gemeinsame Abkommen und Verhandlungen - der Non-Proliferation. Statt dessen findet eine Hinwendung zur Proliferationsbekämpfung mit militärischer Gewalt statt, die auch den Einsatz von Kernwaffen nicht ausschließt -die so genannte Counterproliferation. Sollte Counterproliferation weltweit Gestalt annehmen, würde dies die Bedeutung von Nuklearwaffen als potentielles Drohmittel wieder erheblich steigern. Dadurch würde das Non-Proliferationsregime, das auf freiwilligem Verzicht aufbaut, auf lange Sicht untergraben, und die Aussicht auf wirklich bedeutende Einschnitte in die bestehenden Kernwaffen-Arsenale in unerreichbare Ferne gerückt.

Eine weitere Gefahr für das Non-Proliferations Regime geht von NMD aus. Auch NMD kann Nichtverbreitung untergraben und zu einer erneuten weltweiten Aufrüstungswelle führen. Sollte NMD Wirklichkeit werden, kann die Hoffnung auf die vollständige Erfüllung der Artikel VI-Vereinbarung des NPT endgültig begraben werden. Zumindest China wird seine Nuklearwaffenzahl soweit vergrößern, bis es fähig ist, NMD zu durchbrechen. Andere werden folgen - mit dem gleichen Ziel oder wegen der chinesischen Aufrüstung. Damit wird sich die Mindestanzahl von Nuklearwaffen, die ein Staat für die Garantie seiner Sicherheit als unabdingbar betrachtet, auf ein Niveau erhöhen, das über dem jetzigen liegt, und Bestände darunter werden sehr schwer zu erreichen sein.

Welche Hoffnung besteht also, dass der NPT nicht irgendwann zu einem bedeutungslosen Stück Papier wird? Hoffnung könnte dann bestehen, wenn sich die europäischen NATO-Partner der USA auf den Erhalt des Nichtverbreitungsregimes und eine Strategie der nuklearen Abrüstung verständigen. Zumindest von NMD scheint bisher kein europäisches NATO-Mitglied überzeugt zu sein, und das Echo, das diesem Vorhaben aus Europa entgegenschallt, ist überwiegend negativ, wenn auch zu leise.
 

Wenn also den Europäern unter den NATO-Staaten bewusst ist, dass die Abkehr vom NPT-Regime auf keinen Fall ihren Sicherheitsinteressen entsprechen kann und es ihnen gelingt, genug Druck auf die USA auszuüben, zumindest im Rahmen der laufenden NATO-Überprüfung der nuklearen Rüstungskontroll- Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik ihre Haltung zu Nuklearwaffen zu überdenken, dann wäre ein Schritt in die richtige Richtung erreicht.

Quellen zum Thema:
 

1.Die Website des British-American-Security-Information-Council (BASIC): http://www.basicint.org, auf der alle wesentlichen Konferenzdokumente vorhanden sind,
 

2.die Website des Acronym-Institutes: http://www.acronym.org.uk, das in seinen Analysen den Verlauf der Konferenz beschreibt.

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Antje Wunderlich arbeitet zur Zeit im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).