Runder Tisch zu Jugoslawien:

"Es gibt kein gutes oder schlechtes Volk"

von Paul Russmann
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"So viele Blumen und doch eine einzige Wiese! Eine jede darf duften in ihrem Geruch, eine jede darf blühen in ihrer Farbe, eine jede lebt und vergeht nach ihrer Art

Warum lernen wir so wenig von der Natur? Auch die menschliche Gesell­schaft ist eine bunte Wiese - und kein Rasen, wo alles dieselbe Farbe trägt, nach demselben Schnitt kurzgehalten wird.

Bunte Vielfalt und doch Einheit der Le­bensgemeinschaft - das ist Frieden".

Diese nachdenkenswerten Gedanken trug Jochen Sonntag bei einem Ge­spräch am "Runden Tisch" zu Jugosla­wien vor.

Zu diesem "Runden Tisch" mit in Deutschland lebenden VertreterInnen Serbiens, Sloweniens und Kroatiens und der Friedensbewegung hatte - initiiert von ORL - die Friedensgruppe der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart eingeladen. Der Gesprächsleiter, F. Dausel, dankte zu Beginn den Teilneh­merInnen für den Mut in der jetzigen Situation - wo Verletzungen auf allen Seiten da sind - zusammenzukommen und für die Bereitschaft, miteinander darüber nachzudenken, "Wie kann Frie­den in Jugoslawien aussehen?". An­schließend gab er die Regeln für dieses Gespräch bekannt:

1.    Die Teilnehmenden befinden sich in einem "geschützten Rahmen" mit ei­nem großen Podium und wenigen ZuhörerInnen. Von daher die Bitte, keine Straßendiskussion zu führen, nach dem Motto "Wer hat Recht?".

2.    Schuldzuweisungen sind zu vermei­den.

3.    Das Gespräch soll möglichst zu­kunftsorientiert verlaufen.: "Was können wir konkret tun?"

Paul Russmann von ohne Rüstung Le­ben eröffnete die Runde der Statements mit einem Bericht von der europäischen Friedenskarawane nach Jugoslawien. Sie fand im September statt und führte die 400 TeilnehmerInnen durch Serbien, Kroatien, Slowenien und Bosnien-Her­zegowina.

Frau R., Serbin, Gegnerin Titos, emi­grierte 1954 aus Jugoslawien in die Bundesrepublik und ist emeritierte Pro­fessorin u. a. für slowenisch, makedo­nisch und serbokroatisch. Sie bedauert die einseitige, prokroatische Berichter­stattung in den österreichischen und deutschen Zeitungen. Deren Abonne­ment kündigte sie. Ihre Infomationen bezieht sie nun aus der "Zürcher Zei­tung", deren Berichterstattung wesent­lich differenzierter sei. Sowohl die ser­bische als auch kroatische Regierungen seien undemokratisch.

Die unterdrückte Opposition in allen Republiken verfüge über eine große Anhängerzahl. Auch die Medien hier­zulande bringen die oppositionellen Stimmen nicht zu Gehör. Frau S., kroa­tischer Herkunft, lebt seit 25 Jahren in der BRD und ist mit einem Serben ver­heiratet. Sie fühlt sich als Jugoslawin und kann es nicht verstehen, daß Men­schen soviel Wert auf ihre Nationalität legen, die jahrelang keine Rolle gespielt hat. Ihr Sohn kommt aus der Schule nach Hause und fragt sie: "Was bin ich?" Die Eltern kroatischer und serbi­scher Schüler geben ihren Kindern na­tional(istisch)e Abzeichen in die Schule mit. So säten sie Feindschaft zwischen den Schülern. "Ich bin als Jugoslawin machtlos". Bei der Lehrstellensuche hier im Lande werden die Jugendlichen von den Firmen gefragt: "Bist Du Kroate oder Serbe"? Bei Daimler und Siemens seien Jugendliche nicht als Auszubil­dende angenommen worden, weil sie Serben sind.

Frau O. lebt seit 1959 in Deutschland. Sie wurde streng katholisch und national erzogen. "Ihr seid Slowenen und Chri­sten, auch wenn die Regierungen wech­seln" - Dieser Satz aus Ihrer Schulzeit während des 2. Weltkrieges habe sie ge­prägt und präge sie noch heute. Nach dem Krieg sind unter der Titoregierung acht Menschen aus ihrer Familie getötet worden:  "Mich betrifft sehr stark, daß Krankenhäuser bombardiert werden, wo Kinder sind. Ich habe mir immer ein Ju­goslawien gewünscht, wie einen Garten, in dem verschiedene Bäume wachsen..". Für sie ist Friede dann, "wenn jeder das sein darf, was er ist".

Herr. B. ist als Kroate in Bosnien-Her­zegowina aufgewachsenen, einer Viel­völkerrepublik (30 % Serben, 40 % Moslems, 20 % Kroaten). Er lebt seit 20 Jahren in Deutschland.: "Es gibt kein gutes oder schlechtes Volk. Es gibt gute oder schlechte Regierungen." Welche Wunden der Krieg schlägt, macht er an einem Beispiel deutlich: In Zagreb gebe es in einer serbisch-kroatischen Familie  Zwillinge. Damals, bei der Geburt, wurde ein Zwilling "Serbe", der andere "Kroate". Nun dürften die Eltern die Söhne nicht allein lassen, weil sie sonst aneinander geraten. Für Herrn B. wie Frau O. ist es wichtig, sich als Kroate bzw. Slowenin bezeichnen zu können. Andererseits denkt Herr B., daß Natio­nalstaaten und Nationalismus ein Phä­nomen des 19. Jhd. sind, die heute einen Anachronismus darstellten, mit dem letztendlich keine Probleme gelöst wer­den könnten.

Frau S. ist es wichtig, daß man zwischen Volkszugehörigkeit und Staatsangehö­rigkeit unterscheidet. Sie sei jugoslawi­sche Staatsbürgerin, weil sie einen jugo­slawischen Paß besitze.

Es entspannt sich eine Diskussion, wel­chen Einfluß die Kirchen (die serbisch-orthodoxe auf der einen und die kroa­tisch-katholische auf der anderen) ha­ben. Herr B.: "Ich habe immer große Angst vor Vereinfachungen. Unter Tito hatten wir ein autoritäres Regime. Und dieser Krieg ist ein Eroberungskrieg der Generäle."

Frau R. "Es gibt immer mehr Serben die desertieren. Es gibt nicht die Serben. Und es gibt nicht die Kroaten. In der öf­fentlichen Meinung bei uns werde das Bild vermittelt, die Serben = die Bösen, Die Kroaten = die Guten. So wolle sie ein positives Beispiel aus Serbien er­zählen. In einem Dorf bestellten die El­tern einen leeren Sarg für ihren Sohn. Ihn beweinten und beklagten sie, trugen ihn mit der Dorfgemeinschaft zu Grabe und ließen ihn für tot erklären, damit er nicht von den Häschern des Miltärs ge­sucht wird. Man solle bedenken: Opfer des Krieges in Kroatien seien nicht nur Kroaten, sondern auch Serben, die in den zerstörten Städten und Dörfern leb­ten. Und "Auch Herr Tudjman war Ge­neral in der Bundesarmee."

Zustimmung fand die Forderung, daß es ein Grundrecht auf Desertion auch im Krieg in allen Ländern geben müsse, sowie die Forderung, allen Menschen, die aus YU wegen des Krieges fliehen, einschließlich der Deserteure, eine un­befristete Aufenthaltserlaubnis zu ertei­len und sie als de-facto-Flüchtlinge an­zuerkennen.

Fazit:

1.    Es ist gelungen, VertreterInnen der Konfliktparteien an einem Tisch zu bringen. Es war möglich, daß sie Ihre Meinungen äußerten, sich in der Re­gel ausreden liessen, miteinander ins Gespräch kamen. Dies wurde durch die relativ "undogmatischen" Ein­stellungen der Teilnehmenden be­günstigt.

2.    Der Dialog soll in einem anderen Rahmen - evtl. vor größerem Publi­kum - eventuell SchülerInnen, fortge­setzt werden.

3.   Der Anspruch der Veranstaltung "Wie kann Frieden in Jugoslawien aussehen?" konnte nicht erfüllt wer­den. Um dies umzusetzen, sind m. E. viele "Runde Tische" an vielen Orten und konkrete gewaltfreie Initiativen aus der Friedensbewegung und von den Politikern notwendig, die es er­lauben, daß alle Konfliktparteien ihr Gesicht wahren.

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