Etappen UN-Geschichte

von Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)
  FF2005-4

 UNO-Reform: eine wirkliche Chance?

Etappen UN-Geschichte

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen

Die Vereinten Nationen bestehen seit einem halben Jahrhundert. 50 Jahre Geschichte der Weltordnung spiegeln sich auch in den Etappen der UN-Geschichte wider. Als Produkt der Interessenlage der Siegermächte Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Weltorganisation nicht für die Lösung heutiger globaler Aufgaben und Probleme geschaffen worden. Es ist kein Wunder, wenn sich heute so viel Hoffnung und Aufmerksamkeit, gleichzeitig aber auch Enttäuschung und Kritik auf die UN richten. Denn viele der ursprünglich erhofften Perspektiven konnten nicht realisiert, während andererseits manche Möglichkeiten, die bei der Gründung nicht erahnt werden konnten, neu geschaffen wurden.

1. Gründungszeitraum - (1941-1945)
Trotz des Zweiten Weltkrieges und des Scheiterns des Völkerbundes als des ersten weltweiten Versuchs, eine staatliche Organisation zur Kriegsverhütung und zur Bewahrung von Frieden und Sicherheit zu schaffen, blieb die Hoffnung auf die Gründung einer neuen Weltorganisation bestehen, die nach einem parlamentarisch-demokratischen Ideal aufgebaut werden sollte. Konkretes verbindendes Element der»Vereinten Nationen« - so nannten sich erstmals die 26 Unterzeichnerstaaten der Erklärung von Washington am 1.1.1942 - war die gegenseitige Unterstützung im gemeinsamen Kampf gegen die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan. Das kam auch noch konkret in der sog. Feindstaatenklausel (Art. 53) der Charta der Vereinten Nationen (die Satzung der Weltorganisation wurde am 26.6.1945 in San Francisco von 50 Staaten und später von Polen als 51. »Gründungsmitglied« unterzeichnet; sie trat am 24.10.1945 in Kraft) zum Ausdruck, nach der diese Staaten ausdrücklich vom System der kollektiven Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Neben der Hauptfunktion der weltweiten Friedenssicherung haben die Vereinten Nationen - wesentlich durch das Erlebnis der Weltwirtschaftskrise beeinflusst - der weltweiten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung als Voraussetzung für die Erhaltung des Friedens eine erhebliche Bedeutung beigemessen (Präambel und Art. 1 Charta). Der Grundsatz der Souveränität der Einzelstaaten (vgl. das - inzwischen allerdings faktisch eingeengte - Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten nach Art. 2 Ziff. 7 Charta) setzte von Anfang an die Rahmenbedingungen für die Funktionsfähigkeit der Vereinten Nationen, die von der Kooperationsbereitschaft ihrer souveränen Mitgliedstaaten abhängig sein würde.

Jede den Frieden bedrohende Gewaltanwendung wurde durch die Charta untersagt: Nach Art. 2 verpflichten sich alle Mitglieder, auf jede Anwendung oder Androhung von Gewalt in ihren internationalen Beziehungen zu verzichten und die Vereinten Nationen bei Sanktionsmaßnahmen (bis hin zur militärischen Intervention) aktiv zu unterstützen, falls andere Bemühungen zur Beilegung friedensbedrohender Maßnahmen erfolglos bleiben.

Dieser Vorstellung, der das rechtliche Konstrukt der souveränen Gleichheit entspricht, stand sowohl im Gründungszeitraum als auch später eine sehr unterschiedliche Verteilung der realen Macht gegenüber, ausgedrückt u.a. durch unterschiedliche militärische Stärke sowie Ungleichheit in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung.

2. Der Kalte Krieg - Die zwei Blöcke (1946-1953)
Schon Mitte 1946 wurde klar, dass die UdSSR von den USA, dem einzigen dazu fähigen Staat, keine wirtschaftliche Hilfe beim Wiederaufbau erhalten würde. Die Furcht vor einer neuerlichen Einkreisung, verbunden mit der Einsicht, sowohl im Sicherheitsrat als auch in der Generalversammlung politisch-ideologisch völlig isoliert zu sein, führte die UdSSR zur konsequenten Befolgung einer Politik der Förderung des Entstehens sozialistischer Staaten in ihrem unmittelbaren Einflussbereich Osteuropas. Darüber hinaus stellten kommunistisch beeinflusste Revolutionen (China, Indonesien, Griechenland) oder instabile innenpolitische Verhältnisse (Italien, Frankreich) auch in anderen Teilen der Welt die Vorkriegssituation in Frage. Mit dem Gebrauch des Vetorechts, das insbesondere die UdSSR intensiv in Anspruch nahm, zeichnete sich die»Lähmung des Sicherheitsrates« ab: Beschlüsse des Sicherheitsrates waren nur in Fällen möglich, die nicht direkt die Interessen einer der Großmächte - hier der UdSSR - tangierten (Palästina, Indonesien, Kaschmir).

Mit Ausnahme von fünf Staaten wurden von 1947 bis 1955 keine neuen Mitglieder aufgenommen, da jeder der beiden Blöcke eine Verschlechterung seiner Position in der Zusammensetzung der Generalversammlung befürchtete. Die Aktivitäten des Wirtschafts- und Sozialrates sowie der Sonderorganisationen begannen äußerst schleppend: Die UdSSR boykottierte die Sonderorganisationen; die USA konnten sich angesichts der Ost-West-Spannungen nicht dazu entschließen, ihr enormes wirtschaftliches Hilfsprogramm für Europa (Marshall-Plan) multilateral über die Vereinten Nationen fließen zu lassen.

Als die UdSSR dem Sicherheitsrat wegen des Streits um die Vertretung Chinas fernblieb, konnte in der Korea-Krise 1950 der Sicherheitsrat Nordkorea zum Aggressor erklären und die Vereinten Nationen zur Unterstützung der angegriffenen Republik Korea aufrufen. Es kam zur ersten militärischen Aktion der Vereinten Nationen, einer primär von den USA getragenen Unterstützung Südkoreas (bis 1953), in der die Vereinten Nationen - im Gegensatz zu späteren»friedenserhaltenden Aktionen« (Suez, Kongo, Zypern) - Partei ergriffen. In dieser Phase wurden die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen - obwohl prinzipiell universalistisch orientiert - effektiv moralisch, finanziell und personell vom Westen (mit Hilfe der lateinamerikanischen Staaten) dominiert.

3. Der Kalte Krieg - Die Entstehung der Dritten Welt (1954-1960)
Die weltpolitische Situation hatte sich inzwischen für das sozialistische Lager verbessert: Das Atom und Wasserstoffbombenmonopol der USA war gebrochen, die militärischwirtschaftlichen Blöcke in Ost (Warschauer Pakt) und West (NATO) hatten sich konsolidiert. Nach Stalins Tod begann eine Neuorientierung der UdSSR (sowie ihrer Verbündeten) gegenüber den Kolonien oder neuerdings unabhängigen Staaten der Dritten Welt. Seit 1953 beteiligten sich die sozialistischen Staaten auch an den freiwillig finanzierten Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen und der entsprechenden Sonderorganisationen (Ausnahmen: IMF, Weltbankgruppe und FAO). 1955 kam es zu einer Einigung der Großmächte im Sicherheitsrat über die Aufnahme 20 weiterer Staaten in die Vereinten Nationen, womit erstmals die Gruppe der (77, mittlerweile 128)»blockfreien« Staaten in der Generalversammlung ein entscheidendes Gewicht erhielt.

Die Front der westlichen Staaten begann in der Auseinandersetzung über Fragen der Entkolonialisierung zu zerbröckeln (Indochina, Algerien, Kenia); die Kolonialmächte erfuhren in immer stärkerem Maße den Druck der Weltöffentlichkeit; die Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der armen Staaten gewannen nicht zuletzt wegen ihres stärkeren relativen Gewichts in der Generalversammlung und in den Sonderorganisationen (Ausnahme: Bretton-Woods-Institutionen) an Bedeutung und führten zu Neugründungen von multilateralen Entwicklungshilfe-Institutionen innerhalb des UN-Systems.

Die während dieses Zeitraums durchgeführte erste größere friedenserhaltende Aktion der Vereinten Nationen (»Blauhelme«) zur Schlichtung der Suez-Krise (1956) verdeutlichte erneut die Grenzen des in der Charta vorgesehenen Sicherungsmechanismus. Diese »Polizeiaktion« - die UN-Streitkräfte (UNEF) sollten die Fortsetzung der militärischen Auseinandersetzung verhindern, ohne ihrerseits Partei zu ergreifen - war wegen der grundsätzlichen Übereinstimmung der beiden Supermächte trotz der am Konflikt beteiligten Großmächte England und Frankreich möglich. Formal wurde sie durch die "Vereint für den Frieden"-Entschließung der Generalversammlung ermöglicht, ein während des Koreakrieges geschaffenes Instrumentarium zur Überwindung der Lähmung des Sicherheitsrates, die durch das Veto der UdSSR verursacht war.

4. Auf dem Wege zur Universalität - Der Nord-Süd-Konflikt wird sichtbar (1960-1970)
1959 betrug die Mitgliederzahl der Vereinten Nationen noch 82, 1960 war sie auf 100 und 1970 auf 127 angewachsen. Parallel zum Prozess der Entkolonialisierung wurde damit bis auf einige (wichtige) Ausnahmen (u.a. Volksrepublik China und die Geteilten Staaten«) das Ziel der Universalität der Weltorganisation erreicht. Auch in diesem Jahrzehnt zeigte sich, dass eine unabdingbare Voraussetzung für friedenserhaltende Aktionen der Vereinten Nationen im Sinne eines quasimilitärischen Eingreifens die Zustimmung oder doch zumindest die Duldung der UdSSR und der USA war (Kongo, Zypern). Dagegen hatten Konflikte wie der Vietnamkrieg in politischen Verlautbarungen zwar eine bedeutende Rolle gespielt, nicht aber zu konkreten Maßnahmen geführt. Auch im Nahost-Konflikt - insbesondere nach dem Sechs-Tage-Krieg Mitte 1967 - war keine Lösung in Sicht.

Die weiter zunehmende Bedeutung der Dritten Welt (erste UN-Entwicklungsdekade) fand ihren Niederschlag in der Änderung der Charta-Bestimmungen (1965) über die Erhöhung der Mitgliederzahlen des Sicherheitsrates und des Wirtschafts- und Sozialrates sowie in der Institutionalisierung der Welthandelskonferenz (UNCTAD), der Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO, seit 1986 Sonderorganisation) und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP).

5. Krisen und Programme zur »Neuen Weltwirtschaftsordnung« (1971-1980)
1980 erreichten die Vereinten Nationen mit insgesamt 154 Mitgliedern praktisch das Ziel der Universalität. Im Oktober 1971 ersetzte die Volksrepublik China die Republik China (Taiwan), im September 1973 wurden die beiden deutschen Staaten aufgenommen. Nach der Auflösung des portugiesischen Kolonialreichs 1974/75 und nach der Unabhängigkeit Zimbabwes (früher Südrhodesien) 1980 leistete nur noch Südafrika mit Namibia (früher Südwestafrika) der Entkolonialisierungspolitik der Vereinten Nationen erbitterten Widerstand.

Mit keinem Konflikt haben sich die Vereinten Nationen so intensiv beschäftigt wie mit dem Nahost-Konflikt. Im Oktober 1973 fand der Nahostkrieg statt, der zu UNEF II führte. Erst in jüngster Zeit ist eine Lösung in Sicht, die den Interessen aller Parteien gerecht wird. Auch auf Zypern (bewaffnete Intervention der Türkei 1974, faktische Spaltung der Insel und ihrer Hauptstadt) blieb die Rolle der Vereinten Nationen auf eine Polizeifunktion (UNFICYP) beschränkt.

Die Abrüstungsverhandlungen mit dem Endziel einer allgemeinen Abrüstung wurden in den 70er Jahren fortgesetzt. Mit Ausnahme des B-Waffenvertrages (1972) hatte sie allerdings keine Abrüstung, sondern lediglich Nichtrüstung zum Gegenstand: neben Teststop und Nichtverbreitungsvertrag das Verbot von Atomwaffen in auch bisher atomwaffenfreien Räumen (Weltraumvertrag von 1967; Meeresbodenvertrag von 1971) und Regionen (1967: Lateinamerika).

Angesichts der Verpflichtung der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrecht setzte sich zunehmend die Auffassung durch, dass Menschenrechtsprobleme nicht mehr eine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit sind (1965: Konvention zur Beseitigung der Rassendiskriminierung; 1966: Menschenrechtspakte, 1976 in Kraft getreten; 1968: Konvention über die Nichtverjährung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit; 1973: Konvention zur Unterdrückung und Bestrafung der Apartheid). Neben der völkerrechtlichen Kodifikation der Menschen- und Gruppenrechte wurden erste Fortschritte hinsichtlich der völkerrechtlichen Regelung von Sachen erzielt, die der Nutzung durch alle Staaten offenstehen sollen (Seerecht, Weltraumrecht).

Zwei Ölkrisen, weltweite Inflationsprozesse, zunehmende Arbeitslosigkeit in den westlichen Industrieländern und das weitere Bestehen von absoluter Massenarmut und Arbeitslosigkeit in den Entwicklungsländern charakterisierten den sich zuspitzenden Nord-Süd-Konflikt. Das UN-Ziel einer jährlichen öffentlichen Entwicklungshilfe (ÖEH) von 0,7% des Bruttosozialprodukts (BSP) wurde auch in den 70er Jahren nicht erreicht. Die westlichen Industrieländer kamen auf durchschnittlich 0,30 bis 0,35%, die östlichen Industriestaaten lediglich auf 0,05 bis 0,13%. Das UN-System bemühte sich, durch eine Serie von Weltkonferenzen (u.a. 1972: Umwelt; 1974: Bevölkerung und Ernährung; 1976: Beschäftigung sowie UNCTAD IV; 1978: Abrüstung; 1979: UNCTAD V) die notwendigen programmatischen Forderungen zur Erreichung einer »Neuen Weltwirtschaftsordnung« zu formulieren: u.a. volle Souveränität eines jeden Staates über seine natürlichen Ressourcen, internationale Rohstoffabkommen, Öffnung der östlichen und westlichen Industrieländer für die Halb und Fertigwaren der Entwicklungsländer, Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer an der Weltindustrieproduktion von 7 % auf 25 % bis zum Jahre 2000.

6. Die »Krise des Multilateralismus«, das Ende des Ost-West-Konflikts und die verlorene Dekade für die Staaten der Dritten Welt (1981-1990)
Seit Mitte der 80er Jahre sind die Vereinten Nationen mit dem schwerwiegendsten Finanznotstand in ihrer Geschichte konfrontiert. Hauptverursacher für diese Entwicklung waren die USA mit ihren zunehmenden Rückständen, die 1988 allein fast 80 Prozent der Gesamtrückstände aller Mitgliedstaaten ausmachten. Hauptgrund des US-Verhaltens war die von ihr postulierte »Krise des Multilateralismus«, ausgedrückt in »Ineffizienz« - Vorwürfen gegenüber Verwaltungsapparaten des UN-Systems und »antidemokratischem« Verhalten von politischen UN-Gremien (diese Begründungen führten auch zum Austritt der USA aus der UNESCO Ende 1984).

Fast gleichzeitig vollzog die UdSSR unter Gorbatschow einen bedeutsamen politischen Wandel, der in einer aktiven Unterstützung der Vereinten Nationen zum Ausdruck kam. Gorbatschow entwarf das Konzept eines allumfassenden Friedens und Sicherheitssystems, das nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche, ökonomische, ökologische und humanitäre Sicherheit umfassen sollte. Im Gegensatz zu den USA entwickelte die UdSSR eine Reihe von konstruktiven Vorschlägen zur Verbesserung der Funktionstüchtigkeit des UN-Systems. Darüber hinaus begann die UdSSR, ihre Schulden sowohl zum ordentlichen UN-Haushalt als auch für friedenserhaltende Maßnahmen, die bis in die späten 50er / frühen 60er Jahre zurücklagen, zurückzuzahlen.

In den letzten Jahren erfuhr das internationale System höchst dramatische und radikale Veränderungen in der Nachkriegsgeschichte (revolutionäre Entwicklungen in Mittel und Osteuropa, Ende des Ost-West-Konfliktes, große Fortschritte in den Abrüstungsbemühungen), die auch zu einer erneuten Annäherung der USA und der UdSSR in den Vereinten Nationen führten. Beide Großmächte begannen, den Sicherheitsrat als das am besten geeignete Medium zu Instrumentalisieren, die Ost-West-Konfrontation auch in der Dritten Welt abzubauen.

Bezogen auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Dritten Welt gingen die 80er Jahre als »Verlorene Dekade« in die Geschichte ein. Die Verschuldungskrise blieb ungelöst; im Gegenteil, die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer verdoppelte sich in den 80er Jahren auf über 1.300 Mrd. US-Dollar. Seit 1983 verlief der Netto-Transfer der Finanzströme »umgekehrt« von Süd nach Nord. Der Gesamtstrom der öffentlichen Entwicklungshilfe stagnierte weiterhin bei etwa 0,35 Prozent des Bruttosozialproduktes, obwohl einige Staaten (Finnland, Frankreich, Belgien) offiziell erklärten, bis Ende der 80er Jahre das 0,7-Prozentziel an GEH erreichen zu wollen (1989 erreichten Norwegen mit 1,04, Schweden mit 0,97, die Niederlande und Dänemark mit 0,94 Prozent als einzige Staaten dieses Ziel).

Nach dem Scheitern einer neuen Runde globaler Verhandlungen Anfang der 80er Jahre brachten auch UNCTAD VI (Belgrad, 1983) und UNCTAD VII (Genf, 1987) keine nennenswerten Fortschritte für die Dritte Welt. Die Zahl der am wenigsten entwickelten Länder stieg von 34 auf 42 an, obwohl die Vereinten Nationen, der IMF, die Weltbank und der Wirtschaftsgipfel der Gruppe der Sieben die Notstandssituation in Afrika 1985/86 zum Verhandlungsgegenstand erhoben und zusätzliche Mittel mobilisierten. 1990 musste die von UNCTAD geforderte zweite UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder feststellen, dass das 1981 für diese Länder formulierte 0,15-Prozent-Ziel nicht realisiert werden konnte (es stagnierte bei etwa 0,08 Prozent). Die Sondermaßnahmen und Programme der frühen 80er Jahre, die zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern führen sollten, konnten nicht realisiert werden.

Die Mitgliederzahl in den Vereinten Nationen von 159 blieb seit 1984 unverändert, obwohl 1990 einige Veränderungen erfolgten: Namibia und Liechtenstein wurden souveräne Mitglieder der Vereinten Nationen, während sich jeweils die Arabische Republik Jemen und der Demokratische Jemen zur Republik Jemen sowie die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zu einem Staat vereinigten.

7. Auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung (1990-heute)?
Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat noch keine neue Weltordnung geschaffen. Das erste Gipfeltreffen in der Geschichte des Sicherheitsrates im Januar 1992, auf dem der UN-Generalsekretär aufgefordert wurde, »im Rahmen der Charta« Empfehlungen zur Stärkung der Kapazität der UN zur vorbeugenden Diplomatie, zur Friedensschaffung und Sicherung zu erarbeiten, sollte Ausgangspunkt einer »Renaissance« der UN werden. Mitte Juni 1992 legte der UN-Generalsekretär, Boutros Boutros Ghali, seine »Agenda für den Frieden« vor, welche detaillierte Vorschläge zur Wahrung des Weltfriedens und internationalen Sicherheit enthielt. Er behandelte vier Themenkomplexe, nämlich


 
 
    die Konfliktverhütung durch vorbeugende Diplomatie,
 
 
    die Konfliktlösung durch Friedensschaffung, die sowohl friedliche Mittel der Streitschlichtung als auch Zwangsmaßnahmen vorsieht,
 
 
    die Friedenssicherung und
 
 
    die Herstellung und Festigung des Friedens durch Konsolidierung in der Konfliktfolgezeit.
 
 
 
    Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand der Vorschlag, eine ständige, den Vereinten Nationen direkt zu unterstellende Eingreiftruppe einzurichten; bisher hat sich jedoch kein Mitgliedstaat bereit erklärt, nationale Truppenkontingente einer internationalen Verfügungsbefugnis des Sicherheitsrates oder des Generalsekretärs direkt zu unterstellen.

In den Jahren 1990-1994 wurden vom Sicherheitsrat mehr Einsätze von Friedenstruppen beschlossen als in den vorangegangenen 45 Jahren (Ende 1994 waren es insgesamt 17 Friedensoperationen). Die damit verbundenen Kosten betrugen mit rund 3800 Mio. US-Dollar mehr als das Dreifache des ordentlichen UN-Haushalts. Die Zunahme innerstaatlicher Konflikte (u.a. Bürgerkriege aufgrund von rassisch-ethnischen und religiösen Spannungen sowie ideologischen Machtkämpfen) erforderten Friedensoperationen der »zweiten Generation«, die zum Teil vom traditionellen Konzept des neutralen Einsatzes deutlich abwichen. Damit befinden sich die UN in einem Spannungsfeld höchst gegenläufiger Tendenzen: Einerseits der Anspruch des Sicherheitsrates (dessen gegenwärtige Zusammensetzung und mögliche Erweiterung der Mitgliederzahl mit veränderten Entscheidungsverfahren zur Zeit in der Generalversammlung diskutiert wird) notfalls auch mit militärischen Mitteln in die inneren Angelegenheiten der UN-Mitgliedstaaten einzugreifen und damit bereits den Status einer Weltregierung zu beanspruchen, andererseits die mangelnde Bereitschaft der UN-Mitgliedstaaten, nationale Kompetenzen an die Organisation abzutreten und sie mit zusätzlichen Finanzmitteln auszustatten.

Im Gegenteil: Weder ist eine Bereitschaft zu erkennen, dass sich - entsprechend dem Vorschlag des Generalsekretärs - alle Mitgliedstaaten nach Artikel 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes ohne Vorbehalte der allgemeinen Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes unterwerfen, noch werden die von den Mitgliedstaaten eingegangenen finanziellen Verpflichtungen erfüllt.

Auch in den 90er Jahren bemüht sich das UN-System, durch eine neue Serie von Weltkonferenzen (u.a. 1992: Konferenz über Umwelt und Entwicklung; 1993: Weltmenschenrechtskonferenz; 1994: Weltkonferenz über Bevölkerung und Entwicklung; 1995: Weltgipfel für soziale Entwicklung und Weltfrauenkonferenz) die notwendigen programmatischen Forderung einzur Formulierung eines umfassenden Sicherheitskonzeptes mit zusätzlichen sozialen, ökonomischen, ökologischen und humanitären Komponenten in entsprechende Programme umzusetzen. Dies ist angesichts zunehmender Risiken, u.a. grenzüberschreitender Umweltkatastrophen, unkontrollierten Bevölkerungswachstums, massiver Wanderungsbewegungen und immer größer werdenden Disparitäten von Arm und Reich - Probleme, die sowohl Ursachen für als auch Folgen von Konflikten sind - zentrales Anliegen der UN.

Literaturhinweise:

Boutros Ghali, Boutros, Agenda für den Frieden. New York: Vereinte Nationen, 1992, 64 S.

Grewe, Wilhelm G., Entwicklung und Wandlungen der Vereinten Nationen. In: Simma, Bruno (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen. Kommentar. München: Beck, 1991, S. XXIIIXLIII.

Hüfner, Klaus (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwischen Krise und Erneuerung. Opladen: Leske+Budrich. 1994, 365 S.

Weber, Hermann, Entstehungsgeschichte der UN. in: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.) Handbuch Vereinte Nationen. München: Beck, 1991, S.110117.

Text: Klaus Hüfner.

Redaktion: Ulrich Keller


 

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