vom 6. August bis 2. September

Fasten für einen Atomtest-Stopp

von Volker NickJutta v. Ochsenstein

Zum zweiten Mal fasteten wir mit mehreren Menschen gemeinsam über Wochen hin für einen sofortigen Atomtest-Stopp. Dies war die 2. Stufe in dem eskalierenden Fasten, mit dem wir 1990 begannen und das wir fortsetzen, solange die Atomtests wie bisher weitergeführt werden. Wir beginnen am Hiroshima-Gedenktag, 6. August, und verlängern das Fa­sten jedes Jahr um einen weiteren Tag: 1990 bis zum 1. September, 1991 bis zum 2. September usw. Die Kampagne Fasten für einen Atom­test-Stopp schließt auch andere öffentliche Fastenaktionen mit ein, z.B. im März 1990 in 17 Ländern während der ökumenischen Weltversamm­lung in Seoul, im Januar 1991 während der New Yorker Konferenz zum Atomteststopp-Vertrag, an den Hiroshima- und Nagasaki-Gedenktagen usw.; und privates Fasten, z.B. regelmäßig einen Tag in der Woche oder im Monat, um die Auseinandersetzung mit den Atomtests in unseren Alltag aufzunehmen.

Warum fasten wir?
Fasten hat weltweit eine Jahrhundert alte Tradition. Es ist geeignet, gezielt in unseren eigenen Alltag einzubrechen, selbst wieder deutlicher die Grundlagen des Lebens zu spüren und uns auf un­sere Mitverantwortung für deren Be­wahrung zu besinnen. In den Fastenak­tionen trauern wir öffentlich um die heillos verletzte Schöpfung. Wir ver­weigern uns demonstrativ einer Politik, die die Opfer vergessen muß. Der be­wußte Verzicht auf Nahrung zielt auf das Gewissen der Öffentlichkeit und der Regierenden.

Im August diesen Jahres gab es Fasten­aktionen in Bonn, Bruchsal, Erftstadt, Ettlingen, am AKW Grundremmingen bei Ulm, in Hamm, am Brennelemente­werk in Hanau, in München, Neuwied, Stendal, Stuttgart, Wetzlar und in Bangladesch, Belgien, Frankreich, Ne­vada und in der Schweiz.

Acht Menschen fasteten 28 Tage lang: Andreas Albrecht aus München, Hans-Peter Breßler aus Heidelberg, Paul Gräsle aus Leingarten, Heidrun Hart­mann aus München, Volker Nick und Jutta v. Ochsenstein aus Mutlangen, Florian Sorkale aus Remscheid, Dieter Wylegala aus Bonn.

Wir berichten hier von Bonn, dem zentralen Ort des 28-tägigen Wasser­fastens.
In der ersten Woche waren relativ viele Fastende und UnterstützerInnen bei der Fastenwahnmache; insgesamt waren wir während der vier Wochen aber zu wenig Aktive, so daß die Mahnwachen an den Botschaften nur selten möglich waren und am Auswärtigen Amt auch nicht täglich durchgehalten wurden. Jeden Tag um 11 Uhr bauten wir den Info­stand neben dem Münster auf, breiteten große, auf Laken gemalte Karten von den Testgebieten aus (hergestellt von der Bonner Gruppe der Gesellschaft für bedrohte Völker), und zwischen Blu­men und Kerzen hängten wir ein ge­maltes Bild von der trauernden Mutter (im Fastenaufruf). Abends um 18 Uhr gestalteten wir einen Abschlußkreis.

In hunderten Gesprächen mit den Pas­santInnen informierten wir über die Atomtests und erklärten die Fastenkam­pagne. Es war erschreckend und zehrte an unseren Kräften zu erfahren, wie sehr die meisten jede Hoffnung aufgegeben, wie sehr sie die Menschheit, die Erde, dem Untergang preisgegeben haben. Wir setzten uns bewußt mit unseren kleinen Hoffnungsansätzen dieser Resi­gnation und Gleichgültigkeit aus. Das war der härteste Teil unseres Fastens. Das Großstadtleben, der Konsumrausch, die kaputtbetonierte Natur wirkten wie ein Fluchtversuch vor dieser allgemei­nen Hoffnungslosigkeit.

Das Fasten als ein öffentliches Trau­ern um das geopferte Leben war ein heilsamer Gegenpol.
Nachdenkliches Innehalten erreichten wir vor allem, wenn wir in längeren Ge­sprächen das jährlich um einen Tag es­kalierende Fasten erklärten.

Es gab uns Kraft, Menschen zu begeg­nen - oft aus anderen Ländern -, die sich freuten und bedankten, oder die ernst­haft nach der politischen Wirkung der Fastenaktionen fragten, oder die sich entschlossen, in Zukunft mit zu fasten. Ebenso die Nachricht, daß Moskauer BürgerInnen mit großer Risikobereit­schaft Formen Sozialer Verteidigung praktizierten. Als der Putsch gescheitert war, wuchs auch die Hoffnung, daß jetzt keine der Republiken mehr Atomtests dulden werde, und daß dies längerfristig den westlichen Atomtest-Staaten eine entscheidende Rechtfertigung für wei­tere Atomtests entziehen könnte.

Die Gespräche mit den politischen Re­präsentanten waren sehr ernsthaft und wichtig für unser weiteres Nachdenken über die Frage, wer unsere Konflikt­partner sind im Kampf für einen Atom­test-Stopp. Ein Atomtest-Stopp wird ausdrücklich gewünscht, die atomare Abschreckungspolitik wird nicht mehr entschieden verteidigt. Sie sehen sich aber nicht selbst in der Verantwortung, auf einen sofortigen Atomtest-Stopp zu drängen.

Im Auswärtigen Amt sprachen wir mit Herrn Salber, der für die Genfer Abrü­stungsverhandlungen zuständig ist und auf der New Yorker Konferenz zum Umfassenden Atomteststopp-Vertrag die Bundesregierung vertrat. Am wich­tigsten in diesem anderthalb-stündigen Gespräch war uns seine Ansicht, daß der öffentliche Druck für einen Atomtest-Stopp fehle.

Die US-amerikanische Botschaft ver­wies uns bei einem Telefongespräch nach Genf und schickte Texte, in denen erklärt wurde, warum weitere Atomtests unverzichtbar seien; mehr könnten sie in der Botschaft auch nicht sagen. Freunde gingen im August in Washington per­sönlich in die Büros der ca. 600 Mit­glieder des US-Kongresses und überga­ben unseren englischsprachigen Fasten­aufruf.

Unser Gesprächspartner in der briti­schen Botschaft begründete den einen britischen Atomtest pro Jahr mit der notwendigen Überprüfung der Atom­waffen. Im Falle einer radikalen Abrü­stung der sowjetischen Waffen sei die atomare Abschreckung in der NATO nicht mehr gerechtfertigt. Er leugnete die Opfer der Atomtests nicht; in den Diskussionen der Politiker seien sie je­doch nicht präsent. Wir erklärten unser eskalierendes Fasten und fragten, wie groß seiner Ansicht nach die Chance ist, daß wir ein Ende der Atomtests erleben können. Er persönlich meinte, daß die Atomtests in 5 bis 10 Jahren gestoppt werden könnten.

Am 2. September beendeten wir die 4-wöchige Fastenmahnwache mit einer kleinen Feier auf dem Münsterplatz. Wir bildeten einen Kreis von ca. 50 Menschen um das Bild der trauernden Mutter herum, schwiegen, sangen, lasen aus dem Fastenaufruf, eine Freundin trug ihr eigenkomponiertes Pazifik-Lied vor, und ein Bonner Freund spielte Cello und sang Bachs Aus tiefer Not schrei ich zu Dir. Zum Schluß legte je­der eine Blume zu dem Opferbild.

Kontakt der Kampagne Fasten für einen Atomtest-Stopp: Carl-Kabat-Haus, Schulstr. 7, 7075 Mutlangen, Tel.: 07171 - 74263.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Er lebt und arbeitet im Carl-Kabat-Haus
Sie lebt und arbeitet im Carl-Kabat-Haus, Mutlangen.