
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
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Das Wellershoff-Papier
Kurzzeitig bat vor einigen Wochen ein vom Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Wellershoff, gezeichneter "Leitfaden zur Sicherheitspolitik und Militärstrategie" für Schlagzeilen gesorgt. Kritisiert wurden vor allem die scharfen Töne gegen die Sowjetunion, die der Führungsstab der Streitkräfte unter dem Titel "Frieden in Freiheit" anschlug. Einen Tag nach der Rede Gorbatschows am 7. Dezember 1989 vor der UNO wurde nach Ansicht vieler Kommentatoren ein Dokument abgeschlossen, das in Inhalt und Sprache einer anderen Zeit angehört - die des Kalten Krieges.
Aus dem Verteidigungsministerium wurde das Papier damit verteidigt, daß über Jahre daran gearbeitet worden sei, und die kritisierten Stellen älteren Datums seien. Nachdem somit indirekt eine Überarbeitung in Aussicht gestellt wurde, ist das Pamphlet für die Medien offenbar kein Thema mehr. Vor kurzem hat es zwar tatsächlich eine Aktualisierung gegeben. Sie betrifft aber nur die Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte, und verändert nichts an der Beurteilung sowjetischer Politik!
Das "zentrale, interne Informationsmittel der Streitkräfte" - es ist als 'VS (Verschlußsache) - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft - dient jetzt als Information für Kommandeure, als Argumentationsgrundlage für Jugendoffiziere und als Hilfsmittel für die politische Bildungsarbeit in der Bundeswehr. Es ist also wichtig genug, nicht zuzulassen, daß es den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Das Papier widerspiegelt aber auch die Hilflosigkeit der Bundeswehrführung im Umgang mit der Akzeptanz- und Legitimationskrise des Militärischen. Wir dokumentieren auszugsweise Passagen zu beiden Aspekten. (G.W.)
Akzeptanz und Legitimationsbedarf
106. Die Bundeswehr hat einen festen und allgemein anerkannten Platz in unserem Staat. Sie genießt das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung. ( ...)
Im Gegensatz zu der positiven Beurteilung auf regionaler Ebene stehen oft die kritischen und zuweilen einseitigen Darstellungen der Streitkräfte auf überregionaler Ebene, vor allem jedoch die weit verbreiteten, mit Unkenntnis gepaartenZweifel und Stellungnahmen zu sicherheitspolitischen Fragen.
Die zunehmende Individualisierung unseres Lebens führt u.a. dazu, daß Mehrheitsentscheidungen nicht mehr als legitim und verbindlich angesehen werden. Politik überhaupt, vor allem aber auch Sicherheitspolitik werden vielmehr ver¬stärkt an persönlich gesetzten moralischen Wertmaßstäben gemessen und zum Gegenstand einer Gewissensentscheidung erhoben.
Diese Entwicklung wirkt sich auf die Einstellung zur Bundeswehr so aus, daß der Sinn des soldatischen Dienstes sich häufig nur mit Mühe einsichtig machen läßt, daß zunehmend ein Mangel an Bewußtsein für die Realität und das Ausmaß der militärischen Bedrohung herrscht.
Zudem erfährt das Soldatsein im Atomzeitaler, in dem gesicherte Verteidigungsfähigkeit die Voraussetzung für eine Politik des Interessenausgleichs und der Entspannung ist, eine neue, aber schwerer begreiflich zu machende Bedeutung.
Der Sinn des Wehrdienstes liegt auf einer politischen Ebene. Er wird deshalb weniger greifbar, weil der Soldat die Erfüllung seines Dienstes anders als früher nicht im Kriegführen, sondern im Beitrag zu einer Politik der Friederiserhaltung sieht. Der Soldat erhält den Frieden, indem er die Kriegsführung übt - das ist für einen Betrachter ohne entsprechendes politisches Hintergrundwissen (gilt für viele junge Leute) schwer verständlich zu machen.
Nicht selten wird folglich der zivile Ersatzdienst moralisch höher eingeschätzt als der Wehrdienst, und schließlich setzen Probleme der Ökologie, der Dritten Welt und der Arbeitsplatzsicherung weitere Akzente.
Immer stärker verlagert sich die ablehnende Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragen von der medienwirksamen Demonstration hin zu einer langfristig wirkenden Beeinflussung aus den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen. Die Kritik, teilweise sehr heftig geführt, schließt auch den Ausbildungs- und Übungsbetrieb der Streitkräfte mit ein. ( ... )
Bedrohung
206. Seit dem Amtsantritt Gorbatschows im März 1985 ist das "Neue Denken" zunehmend zur Leitlinie der amtlichen sowjetischen Außenpolitik geworden, offiziell seit dem 27. Parteitag der KPdSU.( ... )
Die Sowjetunion folgert daraus die Notwendigkeit, ihre Weltmachtsbasis über den militärischen Bereich hinaus auf den wirtschaftlichen zu erweitern. Dies bedeutet, daß zunächst binnenwirtschaftliche Probleme zu lösen sind. Die Kosten für die erforderten Investitionen müssen zum Teil durch Kürzungen des allgemeinen Verbrauchs, zum Teil auch durch Kürzungen in der Rüstung aufgebracht werden. Daher sind Kürzungen im Rüstungssektor, die aus Rüstungskontrollverhandlungen resultieren können, durchaus willkommen. Allerdings wird die Sowjetunion nicht zulassen, daß sie hinter dem heutigen Stand zu-rückfällt. Das zeigt auch der Umstand, daß die erlangte "Erringung des Strategischen Gleichgewichts" als "historische Errungenschaft" gefeiert wird.
Es zeichnet sich bisher keine grundlegende Wende in der sowjetischen Außenpolitik ab. Geändert haben sich vor allem Stil, Taktik und Klima der politischen Auseinandersetzung.
Wesentliche Elemente in der Anwendung des "Neuen Denkens" in der Außenpolitik sind Flexibilität, zeitweises Zurückstellen ideologischer Aspekte, Öffentlichkeitswirksamkeit, Angebote politischer Lösungen anstatt militärischer Bedrohung.( ... )
Die Präsenz ihrer Militärmacht ist eine wesentliche Basis der sowjetischen Außenpolitik. Daher wir die Sowjetunion immer danach streben, ihr Militärpotential auf der Höhe zu halten, die der Sowjetunion den Weltmachtstatus garantieren.
Einen Beitrag hierzu soll die Lösung innerpolitischer und wirtschaftlicher Probleme liefern, die seit dem 27. Parteitag deutlich erkennbare Priorität genießt. Den zweiten wesentlichen Beitrag muß die Außenpolitik vor allem gegenüber den USA er¬bringen, z.B. den Rüstungskontrollgesprächen, die vor allem darauf ausgerichtet sind, zumindest die gleiche Balance auf ei¬nem möglichst niedrigen Niveau zu erhalten.
Militärpotential und Abrüstungsinitiativen zielen darauf ab, die Unverletzlichkeit der Sowjetunion abzusichern und ihr dar¬über hinaus den Status der militärischen Großmacht in Eurasien zu garantieren. Unter globalem Gesichtspunkt sollen sie ihr zumindest Gleichwertigkeit mit den USA gewährleisten.