Aktionstage „Flüchtlinge für Flüchtlinge“

„Fluchtursachen bekämpfen- Waffenexporte stoppen – Der Krieg beginnt am Bodensee“

von Lothar Höfler

Vom 20. bis 22. August 2015 fanden unter dem Motto: „Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen – Der Krieg beginnt am Bodensee“ in und um Konstanz am Bodensee Flüchtlings-Aktionstage statt. Die Initiative dazu ging von AktivistInnen des Netzwerks „Flüchtlinge für Flüchtlinge“ in Raum Konstanz aus. Unterstützt wurden sie von einer großen Anzahl Flüchtlingshilfe-Initiativen, Friedens-, Jugend-, antifaschistischen-, linken- und Dritte Welt-Gruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz; dem ASTA der Universität Konstanz und dem Verein „Keine Waffen vom Bodensee e.V.“ (KWvB).

Warum diese Aktionstage am schönen Bodensee, dem Urlaubsgebiet Hunderttausender aus aller Welt, die sich gerade hier weit weg von den Problemfeldern der Welt wähnen und einige Tage nichts davon hören und sehen wollen? Dass ausgerechnet in diesem Urlaubsparadies das größte Rüstungscluster Deutschlands liegt, das größte Netzwerk von Rüstungsbetrieben, ahnen sie nicht, ebensowenig wie auch viele Einheimische. Entlang der Bundestraße B31 auf der deutschen Seite reihen sich gut eineinhalb Dutzend große und kleinere Rüstungsbetriebe: Von A - wie Airbus Defence & Space bis Z - wie Zeppelin Mobile Systeme. Sie haben sich seit Anfang 1900, als Graf Zeppelin an den Bodensee kam, hier angesiedelt. Am Schweizer Ufer geht es mit gut einem halben Dutzend Firmen weiter. Allein im österreichischen Bundesland Vorarlberg scheint die Welt noch friedlich.

Fluchtursachen und Rüstung
Die heutigen Fluchtursachen beginnen in der Neuzeit spätestens mit der expansiven und aggressiven Usurpation und Kolonialisierung ganzer Erdteile durch die europäischen Feudalmächte. Mit der rücksichtslosen Zerschlagung von gewachsenen indigenen Gesellschaften, der Plünderung ihrer Reichtümer und der willkürlichen Zerschneidung ihrer traditionellen Siedlungs- und Grenzgebiete. Die Entkolonialisierung im 19. und 20. Jahrhundert verschlimmerte eher den Status Quo. Die Ausbeutung ging unter den neuen, korrupten, kleptokratischen einheimischen Oberschichten, mit der Globalisierung und neuen unfairen Handelsverträgen der Industriestaaten weiter. Aufstände der Ausgebeuteten und Entrechteten gegen ihre neuen Despoten; Grenz-, Stammes- und Religionsstreitigkeiten untereinander werden mit brutaler Waffengewalt ausgetragen. Genährt und befeuert werden die Konflikte durch den gigantischen Hunger der Industriestaaten und den Wettbewerb um die Bodenschätze und Rohstoffe dieser Länder. Sie liefern auch legal oder illegal für gutes Geld die erforderlichen Waffen. Sollten ihr Einfluss und ihre Geschäfte ernsthaft bedroht sein, greifen sie auch direkt militärisch ein und überziehen die Staaten mit Kriegen. Völkerrecht hin oder her. So geht das Abschlachten, die Vertreibung, die Entwurzelung ganzer Völker immer weiter. Laut UNHCR befinden sich derzeit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht und der Suche nach sicherer Bleibe. Heute stürmen diese verzweifelten Menschen massenweise unsere Grenzen, fordern mit Recht Aufnahme und Hilfe.

Der Krieg beginnt am Bodensee
Nur wenige Menschen bei uns wollen die Zusammenhänge von Rüstung und Wohlstand sowie Krieg und Flucht einsehen. Speziell jene, die in den Rüstungsbetrieben arbeiten. Wie könnten sie weiter tödlichste Waffen herstellen und ruhig schlafen? Sie hängen an ihren sicheren Arbeitsplätzen und Einkommen, die Kommunen und Kirchen an den sprudelnden Steuereinnahmen und die Gesellschaft am Wohlstand daraus und dem Sponsoring der Firmen. Vereine, Schulen, Universitäten, gemeinnützige Einrichtungen etc. profitieren. Das Ergebnis ist ein geschlossenes, korrumpiertes Gesellschaftssystem. Fragen nach Moral und Ethik werden gemieden. Wer sie stellt, gilt als Störenfried.

Die Flüchtlingsaktionstage
Die sozialen, humanitären, gesellschaftspolitisch-kritischen Bewegungen in der Region stellen die Fragen nach Moral und Ethik und bringen sie sicht- und hörbar auf die Straßen. Sie begehren auf gegen diese „bürgerlich behagliche Sicherheit mit Seeblick“. Sie stellen sich der Mitverantwortung für das Leiden aus unserem Handeln. Mit den Flüchtlingsaktionstagen wurde ein Zeichen gesetzt. Im Mittelpunkt der Aktionstage standen neben Diskussionen, Workshops und Kultur die Besuche und Demonstrationen vor drei Rüstungsbetrieben und einem Flüchtlingslager: In Konstanz bei ATM Computersysteme, einer Tochter der Panzerschmiede Krauss-Maffei-Wegmann; in Kreuzlingen/Schweiz, bei MOWAG Radpanzer, einer Tochter des US-Rüstungskonzerns General Dynamics; in Überlingen, bei Diehl BGT Defence, einer 100-prozentigen Tochter eines der „vielgepriesenen anständigen deutschen mittelständischen Familienunternehmen“ - in deren vernebelnder Selbstdarstellung ein Flugkörpersystemhaus, nach dem Rüstungskritiker Jürgen Grässlin das „zweittödlichste Rüstungs-Unternehmen Deutschlands“. Den Abschluss bildete ein Besuch in dem abgelegenen und isolierten Flüchtlingslager Überlingen-Goldbach, oberhalb der „Goldbacher Stollen“. Bergswerk-Stollen, die noch 1944/45 - kurz vor Kriegsende - von KZ-Zwangsarbeitern zur Untertage-Verlagerung kriegswichtiger Rüstungsbetriebe aus Friedrichshafen gegraben wurden. Die Aktion endete mit einer Kundgebung auf der Konstanzer Marktstätt.  

Mit zeitweise weit über 100 TeilnehmerInnen,  bunten Transparenten und kreativen, symbolträchtigen Beiträgen und Reden in den Städten und vor den Firmen waren die Aktionstage ein gelungener Beitrag zur Flüchtlings- und Anti-Rüstungs-Arbeit.   

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