Frauen und Soziale Verteidigung

von Renate Wanie

Immer mehr Frauen können den diffusen Begriff von Frieden aus ihrer politischen Gruppe nicht einfach übernehmen. Sie wollen ihn konkretisieren und Bedingungen an ihn stellen. Denn Frieden ist für Frauen nicht nur der allgemeine Zustand eines Nicht-Krieges ohne allgemeine gesellschaftliche Gewalt. Er muß für sie ausdrücklich die Auflösung personaler und struktureller Gewalt der Männer gegen Frauen umfassen und die Auflösung eines gesellschaftlichen Systems, das ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern manifestiert. Was die Autorin hier anläßlich der Gründung des Bundes für Soziale Verteidigung formuliert, kann auch für andere Bereiche der Friedensarbeit Gültigkeit beanspruchen.

Verteidigungskonzepte und Frauen
Militärische Verteidigungskonzepte wurzeln in Hierarchien, Befehls- und Gehorsamsstrukturen. Damit verbunden sind immer Gewaltverhältnisse, die ihren Ausdruck auch in der Gewalt gegen Frauen finden. Deshalb setzen viele Frauen - im Gegensatz zu manchem Vertreter der Sozialen Verteidigung - immer weniger auf patriarchale, staatliche Institutionen, sind diese doch Stützen der Gewaltverhältnisse, in denen Frauen in Diskriminierung und Unterdrückung tagtäglich leben. Auf die Frage nach der Zuständigkeit für die herkömmlichen militärischen Verteidigungsformen ist festzustellen, daß die Verteidigung eines Landes bisher eindeutig Männersache gewesen ist und ausschließlich von Männern geprägt wurde. Deshalb ist auch nicht verwunderlich, daß in Kriegen "die Besitznahme eines Landes ... zu allen Zeiten einherging mit der Besitznahme (= Vergewaltigung) der Frauen des besiegten Landes" (Brigitte Sekinger). Der Zusammenhang von Sexismus und Militarismus wird hierbei deutlich.
Bei einer Mitarbeit an den Konzepten der SV kann es den Frauen deshalb nicht nur darum gehen, die von Männern geführten Kriege zu verurteilen und gewaltlose Alternativen zu schaffen, sondern es ist für sie grundlegend wichtig, sich zunächst aus jeglicher Bevormundung durch patriarchale Politik, Gesellschaft und den einzelnen Männern zu befreien.

Zur Mitarbeit bei Sozialer Verteidigung
Aus diesen Gründen können sich viele Frauen eine Mitarbeit an der Sozialen Verteidigung nur unter der Voraussetzung vorstellen, daß als erster Schritt die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung aufgehoben wird. Das heißt, daß es keine spezifischen Aufgaben nur für Männer (wie z.B. Leitungsaufgaben) und nur für Frauen (wie z.B. ausführende, versorgende Aufgäben) geben dürfe. Weiterhin besteht Übereinstimmung darin, daß Frauen die heute bestehenden staatlichen Institutionen mit ihren sexistischen Strukturen nicht sozial verteidigen können, denn sie sind vor allem Ausdruck der strukturellen und personellen Gewalt gegen Frauen. Sexismus darf daher nicht zum Nebenthema in der Diskussion von politischen Gruppen werden. Es muß endlich zu Kenntnis genommen werden, dass in jenen existierenden gesellschaftlichen Gewaltverhältnissen, gegen die mit gewaltfreien Aktionen Widerstand geleistet wird, Frauen immer einer besonderen Gewalt ausgesetzt sind. Diese Erkenntnis muß auch in die Analysen und Perspektiven der Friedenforschung miteinfließen. Ebenso müssen antimilitaristische und pazifistische Gruppen, wie etwa der gegründete Bund für Soziale Verteidigung, sich den eigenen sexistischen Strukturen stellen und sich mit ihnen auseinandersetzen.
Ohne diese grundlegende Veränderung im Bewußtsein und im konkreten Handeln sind gemeinsame gewaltfreie politische Aktivitäten von Männern und Frauen nicht mehr glaubwürdig. Ich denke, Frauen werden dann an der Verwirklichung von Sozialer Verteidigung aktiv mitarbeiten, wenn sie in eigenverantwortlichem Denken und Handeln ihre politischen Hoffnungen auf ein menschenwürdiges Leben mit ihren alltäglichen individuellen selbstbestimmten Entscheidungen in Einklang bringen können. Frauen müssen sich im Konzept der Sozialen Verteidigung und in den Strukturen des Bundes wiederfinden: Emanzipation ist ein politisches Projekt und für Frauen auch als gleichberechtigte Einmischung ins friedenspolitische Handeln zu verstehen. Feministische Impulse fordern meiner Meinung nach antimilitaristische und pazifistische Politik heraus und erweitern das Politikverständnis, indem patriarchale Normen und Wertvorstellungen in Frage gestellt werden. Die Einmischung von Frauen ist von daher nicht nur notwendig, da eine Realisierung pazifistischer und antimilitaristischer Ziele ohne die Beteiligung von Frauen nicht möglich ist, sondern gerade auch, weil Ziele ohne die Beteiligung von Frauen nicht möglich ist, sondern auch, weil das Ziel einer gewaltfreien und herrschaftslosen Gesellschaft immer mit der Befreiung der Frauen von jeglicher Unterdrückung verknüpft sein muß. Denn der Weg ist das Ziel, wie ein gewaltfreies Grundprinzip lautet.

Macht und Soziale Verteidigung
Ein grundlegendes, gemeinsames Merkmal der Konzeption des gewaltfreien Widerstands ist die Einführung eines neuen Machtbegriffs. Macht wird hier verstanden als auf Gewaltlosigkeit und non-cooperation beruhend, als Gegensatz zu den Gewaltmitteln herkömmlicher Machtpolitik. Bei der Mitarbeit an alternativen Verteidigungs- bzw. Gesellschaftskonzepten dürfen Frauen den Aspekt der Macht nicht deswegen weglassen, weil sie bisher aufgrund ihrer Erfahrungen als Unterdrückte Macht immer nur negativ erlebt haben.
So sollten wir bei der Gründung des Bundes für Soziales Verteidigung, der einen Versuch darstellt, "Macht von unten" aufzubauen, fragen, ob wir Frauen gleichberechtigt an der sich neu aufbauenden Organisation beteiligt sind. (z. B.: Quotierung, antisexistischer Friedensbegriff).
Wir müssen unser Verhältnis zu Macht und Ämtern neu bestimmen. Wir können es uns nicht leisten, uns nicht mit der Machtfrage zu beschäftigen und dadurch abseits zu stehen. Frauen an die Macht!? Wir müssen jedoch gleichzeitig über ein neues Verständnis von Macht diskutieren.
Im traditionellen politischen Verständnis steht Macht stets als ein Mittel, dessen sich Menschen bedienen, um über andere zu herrschen. Diese verhängnisvolle Reduktion der politischen Macht auf Herrschaft sollte in einer gewaltfreien Basisbewegung neu diskutiert werden. Ein anderes Verständnis von Macht finden wir bei Hannah Arendt. Bei ihr ist "Macht" der absolute Gegenbegriff zu Gewalt. Die Definition von Macht bei Hannah Arendt lautet: "Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen zu handeln." Ergänzend formuliert Rossana Rossanda: "Macht muß ja nicht notwendig Unterdrückung bedeuten, sie könnte auch Macht sein, etwas hervorzubringen: eine andere Lebensweise, eine andere Welt, einen inspirierenden Sinn."
Vielleicht fällt es Frauen leichter, sich mit dieser anderen Machtdefinition auseinanderzusetzen und zu identifizieren, die die Verantwortlichkeit gegenüber jeder Form der menschlichen Existenz einbezieht und die auch die Frage nach den Ohnmächtigen in dieser Gesellschaft als entscheidendes Kriterium stellt.

Gewaltfreie Aktion und Friedfertigkeit
Im Konzept der Sozialen Verteidigung sind Gewaltfreie Aktionen die Grundelemente. Hierbei werden Methoden der sozialen Verteidigung und Formen des Widerstands eingeübt und weiterentwickelt. Wir Frauen sollten uns überlegen, an welchen gewaltfreien Aktionen wir teilnehmen oder welche wir selbst organisieren. Bei gemeinsamen gewaltfreien Aktionen von Männern und Frauen müßte sich die Gruppe den eigenen sexistischen Strukturen stellen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Auch bei antimilitaristischen Aktionen sollte der Zusammenhang von Militarismus und Sexismus zum Thema gemacht werden. Da Geschlecht eine politische Kategorie ist, ist es in emanzipatorischen Bewegungen notwendig, immer auch die Geschlechterverhältnisse zum Thema zu machen.
Wir müssen darauf achten, daß wir bei gewaltfreien Aktionen, die oft Leidensbereitschaft und eine Opferhaltung voraussetzen, nicht unsere ansozialisierten Rollen verstärken (Ulla Eberhard). Was für Männer durchaus eine emanzipatorische Verhaltensweise sein kann, da im Gegensatz zu ihrer sonstigen Rolle stehend, wirkt sich für uns Frauen meist negativ aus. In diesem Zusammenhang ist auch eine immer wieder zu hörende Äußerung zurückzuweisen. Die der Frau fälschlicherweise zugesprochene größere Friedfertigkeit ist nicht mit Gewaltfreiheit gleichzusetzen. "Leidvolle Aktionen", die Frauen in der Öffentlichkeit machen, sind ihnen nicht von Nutzen. Sie verdoppeln im Gegenteil ihren Opferstatus, das Bild der Schwachen und Leidenden verstärkt sich und steht der Frauenbefreiung im Wege. Wenn Frauen gegen das patriarchale Gewaltsystem kämpfen, dann können sie das nicht mit Verhaltensweisen tun, die ihnen von diesem patriarchalen System zugewiesen worden sind.
Aus diesen Gründen haben Frauen eine andere Ausgansposition im Kampf gegen die bestehenden Gewaltverhältnisse. Das betrifft auch ihre Mitarbeit bei den Strategien zur Umsetzung von Sozialer Verteidigung. "Nicht friedlich und nicht still" (ein Motto aus der Frauenbewegung) sollte Frauen zu Aktionsformen motivieren, in denen sie eine größere Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, und auch ihren Zorn, ihre Wut und ihre Aggressivität zum Ausdruck bringen können.

Zur Weiterarbeit
Ist es der richtige Weg, wenn wir Frauen uns in einem sich gerade konstituierenden friedenspolitischen Projekt wie dem Bund für Soziale Verteidigung einmischen? Bisher waren und sind wir noch in dieser patriarchalen Gesellschaft von Machtpositionen aus¬geschlossen. Wir müssen für uns klären, ob wir in der Institution des Bundes mit Männern gemeinsam frauenpolitisch wirksam mitarbeiten können. Wenn ja, sollten wir daran arbeiten, unser Politikverständnis machtvoll und offensiv zu vertreten.

Der vorliegende Text stellt eine stark gekürzte und veränderte Fassung eines Artikels dar, der in dem Reader zum Bundeskongreß "Wege zur Sozialen Verteidigung - Dokumentation", Minden 1989, erschienen ist.

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