Frei ist, wer seinem Gewissen folgen kann

von Konrad Elmer
Initiativen
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Mensch sein heißt: ein Gewissen haben, eine innere "Stimme", die mich in meinem Personsein unmittelbar anspricht und verpflichtet. Bisweilen kann das Gewissen so unerbittlich sprechen, daß ich nur dann ich sel­ber bleiben kann, wenn ich ihm folge. Gewissensfreiheit gehört deshalb zu den unverfügbaren Grundrechten unserer Verfassung, die auch durch parlamentarische Mehrheiten nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Selbst eine 2/3 Mehrheit im Deutschen Bundestag könnte nicht beschließen, daß alle demnächst Kirchensteuern zahlen, oder gar ka­tholisch werden. Nur außerhalb der Grundrechte müssen Minderheiten sich der Mehrheit fügen.

Dort, wo im Ernstfall Menschen getötet werden, liegt für viele Bürger der Be­reich, in dem ihr Gewissen eine unmissverständliche Sprache spricht. Die einen sind zum Töten von Menschen bereit, um andere Menschen zu verteidigen. Für andere hat jeder Mensch einen unendli­chen Wert, der auch mit anderem Leben unverrechenbar ist, so daß sie sich nicht in der Lage sehen, einen Dienst mit der Waffe zu leisten. Dem tragen wir Rech­nung, indem wir Kriegsdienstverwei­gerern ermöglichen, einen gleichbela­sten­den Ersatzdienst zu wählen, der in kei­nem Zusammenhang mit den Streit­kräften steht.

Nun gibt es aber immer mehr Men­schen, deren Gewissen nicht erst beim Tragen einer Waffe "spricht", sondern für die schon der eigene Beitrag an Steuergeldern für militärische Zwecke eine unerträgliche Gewissenszumutung darstellt. Kann und soll unserer Gesell­schaft diesen Menschen in ihrer Gewis­sensnot entgegenkommen?

Ich meine, sie soll es, weil sie es kann und weil jede unnötige Belastung des Gewissens nicht zu verantworten ist. Vielmehr ist die Freiheit des Einzelnen, insbesondere des Andersdenkenden, Gradmesser der Humanität einer Gesell­schaft. Ja wir müssen hier Abhilfe schaffen, weil zumindest jede unnötige Belastung des Gewissen verfassungs­widrig ist.

Nun meinen die Gegner, es würde dabei das Haushaltsrecht des Parlamentes un­erträglich eingeschränkt, wenn ein Teil der Steuereinnahmen in negativer Weise zweckgebunden wäre. Ich halte dies für nicht stichhaltig, weil das Gesamtvolu­men erhalten bleibt. Es handelt sich nur um eine buchungstechnische Verlage­rung. Das Geld der Militärsteuer­verweigerer kann für Bereiche einge­setzt werden, die auch sonst bezahlt werden müssten. Und dafür fließt das dort gesparte Geld anderer Steuerzahler in den Verteidigungshaushalt. Militär­steuerverweigerer - wie ich sie kennen­lernte, sie erwarten nicht, daß durch ihre Steuerverweigerung die Streitkräfte geschwächt werden, sondern nur, daß ihre eigenen Steuergelder nicht dorthin fließen. Ein haushaltspolitisches Problem würde also überhaupt erst entstehen, wenn die gesamten Steuern der normalen Steuerzahler nicht einmal mehr die Verteidigungsausgaben decken wür­den. Eine solche Perspektive ist beim großen Sicherheitsbedürfnis vieler unse­rer Bürgerinnen und Bürger aber doch wohl auszuschließen.

Oder besteht der eigentliche Grund zur Ablehnung darin, daß bei diesem Ver­fahren alle mit dem Militär zusammen­hängenden Ausgaben gebündelt aufgeli­stet werden müssten und eine erschrec­kend hohe Summe öffentlich bekannt würde?

Bleibt als Gegenargument die Abgren­zungsproblematik: Könnte nun also je­der kommen und zu diesem oder jenem "Steuerverweigerung aus Gewissens­gründen" geltend machen, so z. B. ge­genüber der Forschung zur Atom- und Gentechnologie und ähnlichem. Hier läßt sich darauf verweisen, daß das Grundgesetz bewusst auf den Wehr­dienst als möglicherweise einer besonde­ren Gewissensnot abhebt, weil dort von vornherein darauf abgezielt wird, im Ernstfall Menschenleben zu töten. Bei Straßenbau, Atom- und Gentechnologie dagegen ist das ein von vornherein technologisch zu minimierender Un­glücksfall. Schon von dieser ganz ande­ren Intention her kann die Gewissens­belastung nicht gleichgewichtig sein.

Der einzige Fall, bei dem jemand auf­grund seiner spezifischen Sicht be­haupten könnte, hier würde intentional die Tötung von Menschen ins Kalkül gezogen, wäre der Bereich der von den Versicherungen bezahlten Abtreibung. Hier sollte in der Tat eine ähnliche Ausweichregelung für Menschen in ent­sprechender Gewissensnot gefunden werden.

Alles spricht m.E. dafür, diesen Schritt zu mehr Gewissensfreiheit in un­serem Land zu tun. Die Verteidigungs­fähigkeit eines Staates steht und fällt mit seiner Verteidigungswürdigkeit, die pa­radoxerweise umso größer ist, je mehr Möglichkeiten zur Verteidigungsver­weigerung aus Gewissensgründen er im Inneren gewährt. Die Frage also lautet: Wie unsere Juristen unmögliche Gewis­senbeugungen, welche die Verteidigungsfähig­keit des Landes schwächen, vor der Ver­fassung mit dem Verteidigungsauftrag und unverletztlicher Gewissensfreiheit ernsthaft zu verantworten gedenken.

Berlin, den 30. Januar 1993

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Konrad Elmer ist Mitglied des Deutschen Bundestages.