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Frei ist, wer seinem Gewissen folgen kann
vonMensch sein heißt: ein Gewissen haben, eine innere "Stimme", die mich in meinem Personsein unmittelbar anspricht und verpflichtet. Bisweilen kann das Gewissen so unerbittlich sprechen, daß ich nur dann ich selber bleiben kann, wenn ich ihm folge. Gewissensfreiheit gehört deshalb zu den unverfügbaren Grundrechten unserer Verfassung, die auch durch parlamentarische Mehrheiten nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Selbst eine 2/3 Mehrheit im Deutschen Bundestag könnte nicht beschließen, daß alle demnächst Kirchensteuern zahlen, oder gar katholisch werden. Nur außerhalb der Grundrechte müssen Minderheiten sich der Mehrheit fügen.
Dort, wo im Ernstfall Menschen getötet werden, liegt für viele Bürger der Bereich, in dem ihr Gewissen eine unmissverständliche Sprache spricht. Die einen sind zum Töten von Menschen bereit, um andere Menschen zu verteidigen. Für andere hat jeder Mensch einen unendlichen Wert, der auch mit anderem Leben unverrechenbar ist, so daß sie sich nicht in der Lage sehen, einen Dienst mit der Waffe zu leisten. Dem tragen wir Rechnung, indem wir Kriegsdienstverweigerern ermöglichen, einen gleichbelastenden Ersatzdienst zu wählen, der in keinem Zusammenhang mit den Streitkräften steht.
Nun gibt es aber immer mehr Menschen, deren Gewissen nicht erst beim Tragen einer Waffe "spricht", sondern für die schon der eigene Beitrag an Steuergeldern für militärische Zwecke eine unerträgliche Gewissenszumutung darstellt. Kann und soll unserer Gesellschaft diesen Menschen in ihrer Gewissensnot entgegenkommen?
Ich meine, sie soll es, weil sie es kann und weil jede unnötige Belastung des Gewissens nicht zu verantworten ist. Vielmehr ist die Freiheit des Einzelnen, insbesondere des Andersdenkenden, Gradmesser der Humanität einer Gesellschaft. Ja wir müssen hier Abhilfe schaffen, weil zumindest jede unnötige Belastung des Gewissen verfassungswidrig ist.
Nun meinen die Gegner, es würde dabei das Haushaltsrecht des Parlamentes unerträglich eingeschränkt, wenn ein Teil der Steuereinnahmen in negativer Weise zweckgebunden wäre. Ich halte dies für nicht stichhaltig, weil das Gesamtvolumen erhalten bleibt. Es handelt sich nur um eine buchungstechnische Verlagerung. Das Geld der Militärsteuerverweigerer kann für Bereiche eingesetzt werden, die auch sonst bezahlt werden müssten. Und dafür fließt das dort gesparte Geld anderer Steuerzahler in den Verteidigungshaushalt. Militärsteuerverweigerer - wie ich sie kennenlernte, sie erwarten nicht, daß durch ihre Steuerverweigerung die Streitkräfte geschwächt werden, sondern nur, daß ihre eigenen Steuergelder nicht dorthin fließen. Ein haushaltspolitisches Problem würde also überhaupt erst entstehen, wenn die gesamten Steuern der normalen Steuerzahler nicht einmal mehr die Verteidigungsausgaben decken würden. Eine solche Perspektive ist beim großen Sicherheitsbedürfnis vieler unserer Bürgerinnen und Bürger aber doch wohl auszuschließen.
Oder besteht der eigentliche Grund zur Ablehnung darin, daß bei diesem Verfahren alle mit dem Militär zusammenhängenden Ausgaben gebündelt aufgelistet werden müssten und eine erschreckend hohe Summe öffentlich bekannt würde?
Bleibt als Gegenargument die Abgrenzungsproblematik: Könnte nun also jeder kommen und zu diesem oder jenem "Steuerverweigerung aus Gewissensgründen" geltend machen, so z. B. gegenüber der Forschung zur Atom- und Gentechnologie und ähnlichem. Hier läßt sich darauf verweisen, daß das Grundgesetz bewusst auf den Wehrdienst als möglicherweise einer besonderen Gewissensnot abhebt, weil dort von vornherein darauf abgezielt wird, im Ernstfall Menschenleben zu töten. Bei Straßenbau, Atom- und Gentechnologie dagegen ist das ein von vornherein technologisch zu minimierender Unglücksfall. Schon von dieser ganz anderen Intention her kann die Gewissensbelastung nicht gleichgewichtig sein.
Der einzige Fall, bei dem jemand aufgrund seiner spezifischen Sicht behaupten könnte, hier würde intentional die Tötung von Menschen ins Kalkül gezogen, wäre der Bereich der von den Versicherungen bezahlten Abtreibung. Hier sollte in der Tat eine ähnliche Ausweichregelung für Menschen in entsprechender Gewissensnot gefunden werden.
Alles spricht m.E. dafür, diesen Schritt zu mehr Gewissensfreiheit in unserem Land zu tun. Die Verteidigungsfähigkeit eines Staates steht und fällt mit seiner Verteidigungswürdigkeit, die paradoxerweise umso größer ist, je mehr Möglichkeiten zur Verteidigungsverweigerung aus Gewissensgründen er im Inneren gewährt. Die Frage also lautet: Wie unsere Juristen unmögliche Gewissenbeugungen, welche die Verteidigungsfähigkeit des Landes schwächen, vor der Verfassung mit dem Verteidigungsauftrag und unverletztlicher Gewissensfreiheit ernsthaft zu verantworten gedenken.
Berlin, den 30. Januar 1993