Die gründliche "Enttabuisierung des Militärischen". Angeblich sollen Todesschwadronen der Bundeswehr in Afghanistan Drogendealer "eliminieren"

Freie Jagd

von Jürgen Rose

"Unsere Einsätze bedeuten aber sehr häufig: schießen um zu töten. Bei einem Kommandoeinsatz können wir uns Zweifel daran nicht leisten."
Reinhard Günzel, Brigadegeneral a. D. und ehemaliger Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK)

"Das Völkerrecht kennt weder ein Recht auf Rache, noch auf Vergeltung, noch auf vorsorgliche Tötung."
Prof. Dr. Jörg Arnold, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br.

"Es gehört zum Beruf des Soldaten, dass er sein Leben riskiert für seinen Auftrag. Das ist eine Selbstverständlichkeit. ... Das weiß jeder, der nach Afghanistan geht, dass dort sein Leben gefährdet ist ..." Mit diesen orakelhaften Einlassungen irritierte Verteidigungsminister Peter Struck Anfang Juni dieses Jahres die deutsche Öffentlichkeit. Dass einige Wochen später, am 25. Juni, zwei deutsche Soldaten in Rustaq beim Beladen von Lastwagen mit abgegebener Munition und Waffen durch eine Explosion getötet werden würden, konnte er damals noch nicht wissen. Warum also seine Warnungen zu diesem Zeitpunkt?

Vielleicht ging es ihm lediglich um die rhetorische Unterfütterung einer eher makaber anmutenden Budgetmaßnahme - nämlich, das Budget für in Einsätzen getötete Soldaten um sage und schreibe fünfunddreißig Prozent auf nunmehr 1 Million Euro zu erhöhen, wie der SPIEGEL neulich vermeldete. Andererseits musste dem Verteidigungsminister der von ihm als "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt" in Friedenszeiten, kurz IBuK, höchstpersönlich angeordnete Einsatz des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr in Afghanistan geläufig sein. Denn seit Mai 2005 nimmt die Elitetruppe aus dem schwäbischen Calw dort zum zweiten Mal im Rahmen der sogenannten Anti-Terror-Koalition an der von den USA befehligten "Operation Enduring Freedom" teil. Insgesamt 106 Mann wurden für die Mission "OEF-II-AFG" auf den Kriegsschauplatz befohlen.

Ein wenig Licht ins Dunkel der ministeriellen Kassandra-Rufe könnte daher eine Meldung bringen, die unter der Überschrift "Viele Tote" am 6. Juli auf der Homepage von german-foreign-policy.com, einer Gruppe unabhängiger Wissenschaftler, die sich der kritischen Beobachtung deutscher Großmachtambitionen widmen, zu lesen war. Deutschen Geheimdienstkreisen zufolge sollen bisher bis zu zwölf Bundeswehrsoldaten des unter strikter Geheimhaltung operierenden "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) aus Calw im Kampfeinsatz in Afghanistan gefallen sein. Von seiten des für die Führung der Spezialkräfte zuständigen Kommandos in Potsdam wurde dazu jegliche Stellungnahme abgelehnt. Freilich erfolgte auch kein explizites Dementi. Ein Brigadegeneral der Bundeswehr außer Diensten bestätigt indes den Sachverhalt im Wesentlichen. Er selbst hätte aus glaubwürdiger Quelle bereits vor geraumer Zeit erfahren, "dass deutsche Soldaten bei KSK-Einsätzen ums Leben gekommen sind und die Familienangehörigen massiv unter Druck gesetzt werden, um zu verhindern, dass die Medien darüber etwas erfahren. ... Es ist wohl auch zu vermuten, dass Parlamentarier hierüber informiert sind (wohl nicht PDS-Leute). Irgendwann wird der ganze Schwindel auffliegen." Rechnete Peter Struck also im Wissen um seine toten KSK-Soldaten damit, dass diese Information alsbald in die Öffentlichkeit gelangen würde? War dies der Grund für seine nur scheinbar unmotivierten Bemerkungen?

Nachdenklich stimmt in diesem Kontext der Kommentar des ehemaligen Staatssekretärs auf der Hardthöhe, Willy Wimmer - der nämlich spricht im Hinblick auf die Grabesstille im Bundesministerium der Verteidigung von einem "Schweigekartell zwischen Peter Struck und Friedbert Pflüger". Einer indes bürgt ohne Wenn und Aber dafür, dass die Todesmeldungen völlig aus der Luft gegriffen sind, und dies ist Winni Nachtwei, Obmann der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss. In seinen "Persönlichen Kurzmeldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik (11)" vom Juli 2005 konstatiert er, dass es sich bei der erwähnten Meldung von german-foreign-policy.com um "eine Unterstellung mit null Wahrheitsgehalt" handelt. Und, so Nachtwei wörtlich: "Als jemand, der die Rückkehr der in Kabul umgekommenen ISAF-Soldaten in Köln-Wahn am 25. Dezember 2002 und im Sommer 2003 miterlebt hat, bin ich davon überzeugt, dass Minister Struck Todesfälle von Soldaten nicht verheimlichen will und wird. Darüber hinaus wäre das ein aussichtsloses und politisch selbstmörderisches Unterfangen." Diese Begründung klingt durchaus plausibel und kann durchaus der Wahrheit entsprechen. Kann, muss aber nicht. Denn es sind durchaus Szenarien denkbar, die ein - zumindest temporäres - Verschweigen von Verlusten in den Reihen des KSK unter operativen Gesichtspunkten als ratsam oder gar unumgänglich erscheinen lassen.

So ist angesichts der ministeriellen Geheimniskrämerei völlig unklar, ob es, wenn überhaupt, tatsächlich ausschließlich Tote im engeren Sinne oder ganz allgemein Verluste beim gegenwärtigen Einsatz der Kommandosoldaten gegeben hat. Beide Begriffe sind keineswegs synonym zu verstehen. Denn der Terminus Verluste umfasst im militärischen Sprachgebrauch neben gefallenen auch verwundete, vermisste oder in Gefangenschaft geratene Kombattanten. Ebenfalls im Dunklen liegen die konkreten Operationen des KSK - den vorliegenden Berichten zufolge sollen Teile davon im Nordosten Afghanistans in der Region der beiden von der Bundeswehr geführten Provincial Reconstruction Teams in Kunduz und Feyzabad eingesetzt sein. Der Schwerpunkt des Einsatzes liegt jedoch im Südosten, in der Region Paktika. Von eben dort werden seit Monaten schwere und verlustreiche Kämpfe der im Rahmen der im Anti-Terror-Krieg eingesetzten Koalitionstruppen mit den wiedererstarkten Kräften der Taliban, die angeblich auch von weltweit rekrutierten Freischärlern der Al-Qaida unterstützt werden, gemeldet. Durchaus möglich, dass in dieser Region eine groß angelegte Operation des KSK stattgefunden hat, in deren Verlauf es zu verlustreichen Auseinandersetzungen gekommen sein mag, unter Umständen sogar zu einem militärischen Desaster, weil man in einen Hinterhalt feindlicher Kräfte geriet. Allein dies böte hinreichend Anlass zum Schweigen. Denkbar aber auch, dass eigene Soldaten dem Gegner in die Hände gefallen sind und hinter den Kulissen gegenwärtig diskrete Verhandlungen laufen, um sie frei zu bekommen. Breite publizistische Aufmerksamkeit wäre diesem Unterfangen zweifellos alles andere als dienlich, gerade auch in den Augen von Familienangehörigen der Soldaten. Ein weiterer Schweigegrund könnte auch darin bestehen, dass es sich bei einem derartigen Einsatz um eine sogenannte "Combined Operation", also ein gemeinsam mit Special Forces der Alliierten, etwa der US-amerikanischen Delta Force oder des britischen SAS, gehandelt hat. In diesem Falle gälte es unter allen Umständen, aus bündnispolitischen Erwägungen eine Kompromittierung der Partner zu vermeiden. Und schließlich könnte in Anbetracht der grenzüberschreitenden Kampftaktik der gegnerischen Kräfte und der spezifischen topographischen Gegebenheiten eine Operation der Spezialkräfte auch jenseits der afghanischen Grenze auf dem Territorium Pakistans stattgefunden haben. Ohne das Einverständnis der Regierung in Islamabad wäre dies zweifellos völkerrechtswidrig, anderenfalls aber reichlich prekär für die ohnehin angeschlagene Legitimität des Musharraf-Regimes. In beiden Fällen wäre Schweigen Gold und Reden Silber.

Was auch immer sich im Nebel des sogenannten Krieges gegen Terror ereignet haben mag oder auch nicht - in jedem der zuvor skizzierten Szenarien zöge eine Offenlegung der Geschehnisse wohl unweigerlich den Ruf nach Rücktritt des verantwortlichen Ministers nach sich und wäre somit weitaus riskanter - oder mit Nachtweis Worten "politisch selbstmörderischer" - als der Versuch, die Wahrheit unter der Decke der Verschwiegenheit zu halten. Ohnehin gilt, dass, solange das Bundesministerium der Verteidigung stur an seiner Praxis der Totalgeheimhaltung in Sachen KSK festhält, sich ungeachtet aller forschen Dementis Zweifel an der Glaubwürdigkeit regierungsamtlicher Stellungnahmen nicht ausräumen lassen. Zudem letztere insbesondere darunter leidet, wie die rot-grüne Bundesregierung das ihr anvertraute militärische Instrumentarium in den vergangenen Jahren gehandhabt hat. Denn mindestens drei Mal schon hat sie die Bundeswehr in einer Weise eingesetzt, durch die kodifiziertes Völkerrecht verletzt und damit zugleich die Verfassung gebrochen wurde, nämlich:

   
 
im Jahre 1999, als die Luftwaffe im Luftkrieg gegen Jugoslawien mitbombte,
    in den Jahren 2002 und 2003, als das KSK im Rahmen der US-amerikanischen "Operation Enduring Freedom" das erste Mal im Krieg gegen Afghanistan eingesetzt wurde,
 
 
    und schließlich 2003 mit den umfangreichen Unterstützungsleistungen für den Aggressionskrieg der USA gegen den Irak.

Als wäre die Hiobsbotschaft von den toten Kämpfern der KSK nicht schon fatal genug, erschien am 7. Juli in der Illustrierten STERN eine unter konspirativen Bedingungen entstandene Reportage über die geheimnisumwobene Calwer Elitetruppe. Während eine vom November letzten Jahres mit offizieller Genehmigung des Verteidigungsministeriums produzierte erste Story eher den Charakter einer Eloge auf die "Speerspitze der Bundeswehr" trägt, birgt der nun vorliegende Bericht das Potential für einen der größten Skandale der Außen- und Sicherheitspolitik in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Auffällig ist zunächst, dass es dem Autor Uli Rauss offensichtlich gelungen ist, einen dauerhaften und vertrauensvollen Zugang zu den Kommandosoldaten zu etablieren. Dieser Umstand ist äußerst bemerkenswert, denn schließlich gehört strengste Geheimhaltung zum Reglement der Spezialtruppe. Die Soldaten müssen schriftlich versichern, mit niemandem außerhalb des Kommandos, auch nicht mit ihren Ehefrauen, über ihre Tätigkeit, geschweige denn über ihre Einsätze, zu reden. Verstöße gegen diese Bestimmungen erfüllen in aller Regel den Tatbestand des Geheimnisverrats. Dessen ungeachtet steht unbestritten fest, dass nicht nur einer, sondern mehrere Angehörige des KSK mit dem außenstehenden Journalisten Rauss über geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte nicht nur geredet, sondern diesem darüber hinaus noch umfangreiches Bildmaterial sowie augenscheinlich sogar amtlich geheimgehaltene Dokumente wie den von ihm zitierten "Befehl Nr. 2 Verlegung EinsVbdSpezKr - Az 31-73-10" zugänglich gemacht haben. Mit dieser Handlungsweise riskieren die Betreffenden nicht nur die Entfernung aus dem Dienstverhältnis, sondern gemäß der einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches auch empfindliche Freiheitsstrafen. Solche Risiken aber gehen professionelle Soldaten nicht ohne wirklich triftige Gründe ein. Zumal jene, wie die Elitekämpfer des KSK, die Anstrengungen vollbringen und Entbehrungen weit jenseits des Gewöhnlichen auf sich nehmen mussten, um überhaupt in diese Verwendung zu gelangen. Und bei denen es sich keineswegs um hirnlose Rambos oder gewissenlose Kampfroboter handelt, die ohne langes Denken alles tun, was irgendjemand ihnen befiehlt. Exakt dieser Konnex freilich ist es, welcher den vorliegenden Berichten ihre Glaubwürdigkeit und Brisanz verleiht.

Angesichts der massiven Befürchtungen, als "Spielball der Politik verheizt zu werden", wie die betroffenen Kommandosoldaten verlauten lassen, scheint ihnen einzig die "Flucht in die Öffentlichkeit" erfolgversprechend. Denn unter ihnen herrscht, wie STERN-Reporter Rauss berichtet, Gewissheit, "dass es diesmal Verluste geben wird, tote deutsche Soldaten." Aber nicht dieser Umstand an sich gibt Anlass zur Empörung. Denn dass Regierungen - auch demokratisch gewählte - Soldaten zu politischen Zwecken verheizen, ist an sich nichts Ungewöhnliches - siehe Irak et. al.. Nein, den eigentlichen Skandal stellt der Auftrag dar, unter dem die Spezialkrieger aus Calw angeblich operieren. Wortwörtlich geben sie zu Protokoll, "läuft der Einsatz in Afghanistan aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogengeschäft hinaus. Einige Offiziere haben uns nach Stabsbriefings klipp und klar gesagt, dass es um drug enforcement (Drogenbekämpfung) geht. Wir sollen Drahtzieher ausschalten, eliminieren". Nie, so die Kommandosoldaten, hätten sich die KSK-Scharfschützen so intensiv auf "Assassination" vorbereitet: "Verdeckt ran an die Zielperson, ein Schuss, das war`s".

Dafür, dass diese Enthüllungen zutreffen, spricht einiges - nicht zuletzt die Antwort des verteidigungspolitischen Sprechers der SPD, Rainer Arnold, am 14. Juli auf die Frage, ob KSK-Soldaten auch gegen Drogenbosse im Einsatz seien: "Da gibt es Überschneidungen. Ein Terrorist kann sein Terrorgeschäft über Drogen finanzieren." Ein Dementi klingt anders. Im Klartext folgt daraus, dass die derzeit stattfindenden Operationen des KSK in Afghanistan eindeutig die Begrenzungen des vom Bundestag erteilten Mandats zur Unterstützung der Operation Enduring Freedom sprengen. Denn eine direkte Teilhabe an Maßnahmen zur Drogenbekämpfung, wie sie von amerikanischen und britischen Militärs durchgeführt wird, schließt sowohl das Mandat als auch die ergänzende Protokollerklärung der Bundesregierung kategorisch aus. Darüber hinaus aber würde ein Auftrag, wie ihn die Insider des KSK kolportierten, eklatant gegen jegliches Völkerrecht und erst recht das Grundgesetz verstoßen. Beiden Einschätzungen pflichtet auch der bereits zitierte Winfried Nachtwei bei, wenn er kundtut, dass erstens "die Bundestagsmandate sowohl für ISAF wie für Enduring Freedom eindeutig jede direkte Bekämpfung der Drogenwirtschaft und ihrer Akteure ausschließen" und zweitens "solche Art »Liquidierungseinsätze« vor allem aber die Bindung der Bundeswehr an Recht und Gesetz sprengen würden". Gerade weil dies so ist, muss die Vorstellung, dass aus Deutschland entsandte Todesschwadronen der Bundeswehr in fremden Staaten aufgrund bloßen Tatverdachtes Mordaufträge ausführen könnten, als schlichtweg ungeheuerlich erscheinen. Träfe die Darstellung des STERN-Reporters zu, wäre Deutschland auf das Niveau eines Schurkenstaates herabgesunken, wären Teile der Bundeswehr zur Mördertruppe verkommen. Ob Gerhard Schröder dies wohl im Sinn hatte, als er von der "Enttabuisierung des Militärischen" schwadronierte?

Die Männer des KSK scheinen die Problematik des ihnen erteilten Auftrages nur zu genau erkannt zu haben. Alles spricht dafür, dass eine schriftlich nur unzureichend definierte und somit schwammige Mandatslage von militärischen Führungsverantwortlichen in der Calwer Kommandotruppe extensiv interpretiert und mündlich erweitert wurde - ganz nach dem Motto: Wer kann bei einem Toten denn schon wissen, ob unter der Paschtunen-Tracht ein Taliban, ein Al-Qaida-Terrorist oder ein Drogendealer steckte? Da der Eliminierte nicht mehr reden kann, handelt es sich bei ihm im Zweifelsfalle stets um einen "illegalen Kämpfer". Hinzu kommt, dass es sogenannte "Rules of Engagement", also genau definierte Einsatzregeln, nur für die unter dem ISAF-Mandat operierende NATO-Truppe in Afghanistan gibt, nicht aber für die im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" unter US-Kommando kämpfenden Kräfte. Deren Aufträge und Einsatzverfahren unterliegen grundsätzlich den Vorgaben der US-Befehlshaber auf dem Kriegsschauplatz. Und was US-Militärs von (Kriegs-)Völkerrecht und Menschenrechten halten, demonstrieren sie ja tagtäglich in Guantanamo, Bagram, Abu Ghraib und anderen, geheimgehaltenen Folterzentren weltweit.

Für die derzeit in Afghanistan eingesetzten KSK-Soldaten resultiert aus dieser Konstellation ein zweifaches Problem. Zum einen läuft jeder von ihnen, der in der Grauzone zwischen Legalität und Illegalität agiert, Gefahr, persönlich für seine Handlungen haftbar gemacht und belangt zu werden. Denn wenn der Skandal ruchbar wird, hängt man erfahrungsgemäß die Kleinen - das sind die Akteure in der "Schlammzone" - und lässt die Großen, nämlich die verantwortlichen Schreibtischtäter, laufen. Letztere haben in aller Regel hinreichend Vorsorge getroffen, um sich gegebenenfalls aus ihrer Verantwortung winden zu können. Zum anderen aber existieren Rechtsbewusstsein und Moralempfinden - vielleicht mehr noch als anderenorts - auch in den Reihen des KSK. Gerade wer der Überzeugung ist, "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes" in solch extremer Form "verteidigen" zu müssen, wie es den Kommandosoldaten zugemutet wird, dürfte ein hinreichendes Maß an Sensibilität für Situationen entwickeln, in denen er missbraucht wird.

In dieser prekären Lage lautete das Kalkül der Betroffenen wohl ungefähr folgendermaßen: Zunächst einmal über den bereits bekannten Kontaktmann in der STERN-Redaktion versuchen, Öffentlichkeit herzustellen, um damit die Aufmerksamkeit der politisch verantwortlichen Entscheidungsträger auf die Problematik zu lenken. Spätestens wenn dann die politischen Kontroll- und Aufklärungsmechanismen zu wirken begönnen, wäre auch die militärische Führung gezwungen, entsprechend zu reagieren. Im Fokus des geballten Interesses von Medien, Politik und Generalität bliebe dann kein Handlungsspielraum mehr für schmutzige Operationen in der Grauzone, deren Risiken zuallererst der einzelne KSK-Soldat auf der Ausführungsebene zu tragen hätte. Bemerkenswert an dieser Vorgehensweise erscheint, dass die seit langem etablierten Institutionen wie Vertrauenspersonen, Psychologen, Militärpfarrer oder selbst der Wehrbeauftragte offenbar keine effektiven Optionen zur Konfliktlösung anzubieten vermochten, und dass die Soldaten auch kein Vertrauen mehr in die Problemlösungsfähigkeit ihrer Vorgesetzten zu setzen scheinen. Das wiederum wirft ein bezeichnendes Licht auf den inneren Zustand der Kommandotruppe.

Angesichts dieser Analyse wirkt es schon reichlich frivol, wenn Abgeordneter Winni Nachtwei nun treuherzig verkündet: [Zitat] "Vom stern (7. Juli) verbreitete Behauptungen, deutsche KSK-Soldaten sollten zur direkten Tötung von Drogendealern eingesetzt werden, sind Gerüchte ohne jede politische Grundlage." Ganz im Gegenteil: Alles, was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist, spricht dafür, dass etwas ganz gewaltig faul ist - nicht im Staate Dänemark, sondern hierzulande.

Nicht zuletzt aber gewinnt im Lichte des möglichen Skandals um den aktuellen Afghanistan-Einsatz des KSK die Forderung des amtierenden Heeresinspekteurs, Generalleutnant Hans-Otto Budde, nach dem "archaischen Kämpfer" ungeahnte Aktualität. Sollte man sich letzteren doch "vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln". Allem Anschein nach ist seine Vision auf erschreckende Weise Realität geworden.

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Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a.D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung ,Darmstädter Signal'.