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Freiheit stirbt mit 'Sicherheit'
vonAm 23. September hat die Bundesregierung zum wiederholten Mal einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der darauf abzielt, die in den letzten Jahren mehrfach durch gesetzliche Vorschriften eingeschränkte Demonstrationsfreiheit noch weiter einzuengen.
Erinnern wir uns: Im Juni 1985 beschloß der Bundestag die Einführung des Vermummungsverbots als Ordnungswidrigkeitentatbestand. Seitdem kann die Polizei jede demonstrierende Person, von der sie annimmt, daß sie bestimmte Kleidungsstücke angelegt oder Schminke aufgetragen hat, um sich "einer Identifizierung zu entziehen'' festnehmen und mit einem Bußgeld belegen
Doch bei diesen Eingriffen in die persönliche Freiheit der Demonstrantinnen unter dem Deckmäntelchen der "Gewaltprävention" blieb es nicht. In zwei weiteren Weilen der Gesetze zur sogenannten "Inneren Sicherheit" wurden im Mai 1986 maschinenlesbare Ausweise und die sogenannte Schleppnetzfahndung nach § 163d Strafprozeßordnung sowie Nutzung der KfZ-Datei ZEVIS in Flensburg für Fahndungszwecke beschlossen. Mit diesen Hilfsmitteln wurde der Polizei die Möglichkeit eröffnet, im Umfeld von Demonstrationen (z.B. IWF Berlin 1988) umfangreiche Personenkontrollen durchzuführen und Daten zu speichern.
Für die von langer Hand vorbereiteten Gesetzes(mach)werke wurden jeweils aktuelle innenpolitische Ereignisse wie die Morde an dem Manager Dr. Zimmermann oder dem Diplomaten von Braunmühl genutzt, um in einem hektischen Gesetzgebungsverfahren rechtsstaatliche Bedenken und demokratische Vorbehalte unterzubügeln. So dienten auch in dieser Legislaturperiode die Schüsse an der Startbahn West letztendlich dazu, den letzten angekündigten Widerstand der FDP gegen die Kronzeugenregelung zu brechen. Die damals formulierten Änderungen liegen nun unter dem Titel "Artikelgesetz" vor und sollen im Frühjahr verabschiedet werden.
War bisher schon durch die im Vorfeld stattfindenden Massenkontrollen, durch massierten Einsatz bestimmter Einheiten (Berliner Prügelkommandos in Wackersdorf) einer Vielzahl von Menschen die Teilnahme an Demonstrationen zu einem immer weniger kalkulierbaren Risiko geworden, ge-ben die neuen Regelungen Handhabe, um letztendlich jede Demonstration vor solche juristischen Hürden und Fußangeln zu stellen, daß sie verunmöglicht wird bzw. jederzeit das Demonstrationsverbot droht.
Im einzelnen sieht das "Artikelgesetz" folgende wesentlichen Änderungen vor:
Das Vermummungsverbot wird von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat. Laut amtlicher Begründung, weil eine Vermummung die "Aggressionsbereitschaft" stärke und zur "Gewalttätigkeit" führe. Wenn dies zutrifft, dürfte dies in erster Linie auch für Polizeibeamte gelten, denn selbst bei erwiesenen Rechtsbrüchen - etwa in Brokdorf - ist
· der schuldige einzelne Beamte kaum ermittelbar. Er weiß sich im Schutze seiner Anonymität, seines vermummten Helmes und Schildes und - bei Spezialkommandos geschwärzten Gesichts. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß Forderungen nach Namensschildern von Polizisten regelmäßig zurückgewiesen werden.
Aber wie die Demonstrationsstatistik zeigt, geht es wohl gar nicht um die Richtigkeit dieser Behauptung, denn die eigenen Zahlen der Bundesregierung beweisen, daß in den letzten Jahren der prozentuale Anteil der gewalttätig verlaufenen Demonstrationen bei etwa 3,5 % stagniert, obwohl der Katalog dessen, was als "Gewalttätigkeit" einzustufen ist, (z.B. zu spätes Anmelden einer Demonstration, mißbräuchliche Benutzung von Megaphonen, Beleidigung und üble Nachrede gegen Personen des politischen Lebens, übermäßige Straßennutzung) erweitert worden ist.
Verpflichtet werden die Veranstalter von Demonstrationen zukünftig, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Und während die Veranstalter alles offenlegen sollen, was an Aktionen ·geplant ist, sind die Ordnungskräfte gehalten, über Schutz und Sicherungsmaßnahmen zu geben, "soweit nicht die Erfüllung ihrer Aufgaben dadurch beeinträchtigt" wird. Eine Ausdehnung der Kleiderordnung, für Dernonstrantlnnen beinhaltet der neuer 17a des Versammlungsgesetzes: Danach soll es auch verboten sein, auf dem Wege zu und von Demonstrationen Gegenstände mit sich zu führen, die "als Schutzwaffen geeignet sind und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren".
Darüber hinaus sieht der neue § 23 des Versammlungsgesetzes, wenn es nach dem Willen der Koalition geht, demnächst vor, daß auch die Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Veranstaltung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet wird. Was dies für Demonstrationen allein der Friedensbewegung in den letzten Jahren bedeutet hätte, die sehr oft kurzfristig verboten, dann auf dem Gerichtswege legalisiert wurden, läßt sich leicht ausmalen: Der legitime Protest von Hunderttausenden wäre kriminalisiert worden und so manche/r hätte sich davon abschrecken lassen, sein Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen.
Damit wird die Zielrichtung klar, in die sich das neue "Artikelgesetz" richtet: Sicherheit des Staates vor dem Protest und der politischen Opposition seiner Bürgerlnnen zu schaffen. Extremsten Ausdruck findet dieses Ansinnen in der Vorschrift, die die Verhängung von Untersuchungshaft (Schutzhaft?) gegenüber solchen Personen ermöglicht, gegen die ein Verdacht des schweren Landfriedensbruchs auch ohne rechtskräftige Verurteilung besteht.
Mit diesen Regelungen wird dem Rechtszustand wiederhergestellt, wie er vor der Liberalisierung des Versammlungsrechts 1970 bestanden · hat. Hinzuzufügen ist, daß mit der Wiedereinführung und Erweiterung des alten Zensurparagraphen "88a StGB'' unter der Bezeichnung § 130b und der Einführung der Kronzeugenregelung zwei weitere Vorschriften auf dem Tisch des Hauses liegen, die auch von konservativen Juristen wie dem "Richterbund'' als juristisch höchst bedenklich angesehen werden. Sie sollen die Eingriffsbefugnisse des Staates in die Literatur- und Pressefreiheit ausbauen und den willkürlichen Umgang mit Beschuldigten nach § 129a StGB fördern. Es ist notwendig, gegen diese erneuten Entwürfe für Staatssicherheitsgesetze, die die individuellen Freiheitsrechte bedrohen, vorzugehen. Verschiedenste Gruppen und Organisationen der Bürgerrechtsbewegung haben deshalb einen Aufruf "Freiheit stirbt mit Sicherheit'" formuliert, zu dessen Erstunterzeichnern u.a. Horst-Eberhard Richter, Helga Schuchardt, Antje Vollmer, Helmut Gollwitzer, Henning Scherf, Karl-Heinz Hansen, die Gustav-Heinemann-Initiative, Inter-nationale Liga für Menschenrechte und die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, Jungdemokraten, Bundesverband Homosexualität und · die Friedensliste gehören. Neben einer bundesweiten Unterschriftenaktion planen die beteiligten Organisationen einen Kongreß vom 9.-11. Dezember, unter dem gleichen Titel, der die Zunahme von Repressionsinstrumentarien einerseits, aber auch die positive Formulierung und Nutzung selbstbestimmter Artikulations- und Protestformen durch die sozialen Bewegungen sowie die Diskussion einer "positiven Utopie" von gesellschaftlicher Konfliktregelung zum Ziel hat.
Nähere Informationen: Kongreßbüro "Freiheit stirbt mit 'Sicherheit", Reuterstr. 185, 5300 Bonn 1, Tel.: 0228-2218 86