Freispruch wegen versuchter Nötigung

Im Juni diesen Jahres wurde ein Urteil des Amtsgerichts Pirmasens in der Strafsache gegen IPPNW-Mitglied Prof. Dr. Bonhoeffer rechtskräftig, das für einige andere Verfahren evtl. auch von Relevanz ist. Die Anklage lau­tete auf versuchte Nötigung (Blockadeaktionen am Giftgasdepot 1988). Der Freispruch leitet sich aus der Tatsache her, daß einerseits keine Ge­waltanwendung (im Sinne von  240) geplant war und andererseits die Umstände der Blockadeaktionen in voraussehbarem Sinn so ablaufen, daß die "Gewalt" der SitzblockiererInnen gar nicht unmittelbar auf die "Nötigungsopfer" wirkt, was ja eigentlich die Voraussetzung wäre. Wir do­kumentieren den zentralen Teil des freisprechenden Urteils (426 Js 5910/88 - 5 Cs).:

Da es somit allein auf die in der Hauptverhandlung zutage getretene Vorstellung des Angeklagten vom Handlungsverlauf ankommt, ist ent­scheidend auf die in seiner Einlassung erkennbare Vorstellung von Inhalt und Auswirkung der Sitzdemonstration, an welcher er teilgenommen hat, abzu­stellen. Danach fehlte dem Angeklag­ten aber bereits der Vorsatz zur Aus­übung von Gewalt auf die Führer ame­rikanischer Militärfahrzeuge.

Hierzu wäre eine körperliche Zwangseinwirkung auf die potentiellen Nötigungsopfer erforderlich gewesen, und zwar unmittelbar auf diese; eine eventuelle mittelbare Zwangseinwir­kung (etwa vermittelt durch einen An­haltebefehl militärischer Vorgesetzter) genügt hierzu nach Auffassung des Gerichtes nicht. (...)

Dazu ist aber erforderlich, daß die Gewalt unmittelbar auf das Opfer einwirkt. Der Tatbestand der Nötigung lautet nämlich nicht: "Wer rechtswidrig mit Gewalt ... die Hand­lung, Duldung oder Unterlassung ei­nes anderen ver­ursacht, ...", sondern: "Wer einen an­deren rechts­widrig mit Gewalt ... nö­tigt, ...". Daraus schließt das Gericht, daß es nicht ausreicht, wenn die beab­sichtigte Handlung in irgendeiner etwa im Sinne der équivalenztheorie ursächli­chen Verknüpfung mit der Gewalt steht, so z. B., daß eine Straßenblockade die Polizei veranlaßt, den Verkehr anzuhalten oder umzu­leiten oder daß die Führer von Militärfahr­zeugen aufgrund militäri­schen Befehls die von Demonstranten blockierten Strecken weiträumig um­fahren, bzw. weit vor den Demon­stranten anhalten. Vielmehr muß für die Erfüllung des Tatbestandes der Nötigung und damit für die Vollen­dung der Tat verlangt werden, daß die Handlung, Duldung oder Unterlassung die spezifi­sche Folge der Gewaltein­wirkung ist. Die Gewalt muß da Nötigungsop­fer unmittelbar erreicht haben. Dessen Willensentscheidung muß unter di­rekter Einwirkung dieser Gewalt zu­stande gekommen sein. Eine solche Gewalteinwirkung ist nicht möglich, ohne daß das Opfer selbst die Gewalt als solche, als körperlichen Zwang - unmittelbar - empfindet und sich ihre bewußt beugt. Das ist aber nicht der Fall, wenn ein Verkehrsteil­nehmer von der Polizei durch deren Anordnung zum Halten oder Warten gezwungen wird, bzw. wenn - wie möglicherweise hier - die Fahrer ame­rikanischer Mi­litärfahrzeuge aufgrund militärischen Befehls in weitem Ab­stand anhalten. Mag der betroffene Verkehrsteilneh­mer, bzw. der Fahrer des amerikani­schen Militärlasters auch davon Kenntnis haben, daß die jewei­lige poli­zeiliche oder militärische Maßnahme durch eine Blockade ver­anlaßt ist, so hält er nicht an, weil er den Entschluß hierzu unter dem Zwang der Blockade, d. h. unter un­mittelbarer Gewalteinwirkung getrof­fen hat, son­dern weil er der Anord­nung der Poli­zei bzw. seines militäri­schen Vorge­setzten nachkommt. Der Verkehrsteil­nehmern, bzw. der Fahrer des ameri­kanischen Militärfahrzeuges kann nur entweder durch die Polizei bzw. seinen Vorgesetzten oder durch die Bloc­kierer zum Anhalten und Warten be­stimmte werden, durch beide zusam­men aber nicht. (...)

Zur Unmittelbarkeit der Gewaltein­wirkung einer Gewalteinwirkung bei einer Sitzblockade ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch erforder­lich, daß das potentielle Nötigungsop­fer zumindest Sichtkontakt mit den Blockierern hat, um die körperliche Zwangseinwirkung gerade durch deren körperliche Anwesenheit zu spüren, und daß das potentielle Nötigungsop­fer gerade durch diese körperliche Anwesenheit von Personen zum An­halten veranlaßt wird.

Zu einer solchen unmittelbaren Ge­walteinwirkung hätte es aber nach der insoweit entscheidenden Vorstellung des Angeklagten gar nicht kommen kön­nen, da er aufgrund von Kenntnis­sen aus seiner Tätigkeit in der Friedens­bewegung und auch aus Presseveröf­fentlichungen davon aus­ging, daß ein genauer militärischer Befehl für die potentiellen Nötigungs­opfer, die Fah­rer der US-Fahrzeuge bestand, die durch Demonstranten be­setzten ôrt­lichkeiten zu meiden und ggfls. in weitem Abstand von den Demon­stranten anzuhalten, um jede Kon­frontation mit ihnen zu vermeiden und die Räumung der Straße (freiwillig oder durch die Polizei) ab­zuwarten. Nach der Vorstellung des Angeklagten hätte es deshalb mangels Nähe und Sichtkontakten zu den De­monstranten erst gar nicht zu einer Gewalteinwir­kung auf die US-Fahrer kommen kön­nen; außerdem wäre nach seiner Vor­stellung deren mögliches Anhalten durch einen entsprechenden detail­lierten militärischen Befehl - und al­lenfalls mittelbar durch die De­monstranten - veranlaßt gewesen.

Hinweis: Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal, 06068(2608, verbreitet z. Zt. eine Petition an den Bundestag zur Streichung des  240 StGb und zur Re­habilitierung aller gewaltfreien Sitzbloc­kiererInnen aus der Friedensbewegung. Heft bei der Verbreitung dieser Petition und unterstützt sie.

 

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