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Freiwilliges Engagement als Chance
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Seit der verstärkten Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht und dem Aufbau einer reinen Berufsarmee nimmt auch die Diskussion um die Allgemeine Dienstpflicht zu. Bei der Jahrestagung der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerung stand dieses Thema im Mittelpunkt. Die Alternative zur Allgemeinen Dienstpflicht ist die Förderung des freiwilligen sozialen Engagements. Ein Projekt, das auf dieser Jahrestagung vorgestellt wurde, wollen wir hiermit den FriedensForum-Lesern darstellen. Die Projektleiterin Frau Carola Schaaf-Dierichs stellt den Treffpunkt" Berlin vor. (Die Red.)
Die Bereitschaft, sich sozial zu engagieren, haben erstaunlich viele Bürgerinnen und Bürger. Viele Studien belegen diese Einsatzbereitschaft für das Gemeinwohl. Die Menschen bewegt heute die empfundene soziale Kälte und Isolation, aber sie sind sicher nicht sicher, wo und wie sie gebraucht werden könnten. Das Bürgerengagement braucht deshalb eine zentrale, unabhängige Anlaufstelle, eine "Freiwilligen-Agentur".
In Berlin ist dieser Mangel schon vor sieben Jahren auf sozialpolitischer Ebene erkannt worden: Der Treffpunkt Hilfsbereitschaft Berlin ist die erste deutsche Agentur für Menschen, die sich freiwillig sozial engagieren wollen. Wir beraten interessierte Bürgerinnen und Bürger Berlins individuell und kostenlos, wo und wie sie ihr soziales Engagement einfließen lassen können, wie sie dabei in ihrer sozialen Tätigkeiten lernen und sich weiterentwickeln, gemeinsam mit anderer Engagierten - haupt- wie ehrenamtlichen - und im Sinne der Betreuten. Der Treffpunkt ist neutral und unabhängig Fragen der Religion, Politik und Verbandszugehörigkeit konstruiert, also ein unabhängiger Ansprechpartner. Er wird gefördert von der Senatsverwaltung für Soziales Berlin.
Freiwilliges Sozialengagement ist mehr als nur sozialer Touch
Fatma lebt seit ihrer Geburt in Berlin-Kreuzberg. Das sind gerade zwanzig Jahre geworden. Sie war allerdings schon mehrmals mit ihren Eltern in deren türkischen Heimatort. Dort hat sie die Umgangsformen und das Miteinander als ein sehr warmes, aufeinander bezogenes erlebt. Hier in ihrem Berliner Wohnbezirk stellt sie aber zunehmend weniger Nachbarschaftshilfe und Gemeinschaftsgefühl fest. Jeder kümmert sich nur noch um sich, sagt sie bei ihrem Besuch im Treffpunkt. Deshalb hat sie unsere Plakat "Hilf doch mal" in der U-Bahn angesprochen. Fatma möchte etwas tun, was sie eigentlich selbstverständlich hält: einander zu helfen. Aber nicht jeder will das, die Großstadt hat ihre Tücken. In unserem Gespräch entwickelt sich bei ihr der Gedanke, sich speziell um türkische Kinder zu kümmern, die mit der Zweisprachigkeit an der Schule zu kämpfen haben. Wir empfehlen den "Treff 7", der sich als gemischtsprachiger Verein in Kreuzberg zur Unterstützung der Entwicklung deutscher und türkischer Kinder in der Schule und zum besseren Verständnis untereinander schon während des Heranwachsens gegründet hat. Wir schlagen Fatma vor, sich bei den Betreuung der Hausgaben im "Treff 7" zu engagieren, wo sie auch die entsprechende Einführung und Begleitung als Freiwillige Engagierte erfährt.
Herr K. ist vor kurzem durch seine Firma nach Berlin gekommen. Er hat sehr wenig Zeit außerhalb seiner Tätigkeit, andere Menschen kennenzulernen. Andererseits ist sehr an der Berliner Mentalität und Lebensauffassung interessiert, speziell an den Großstadtphänomenen. Er hat sich nach einer ausgiebigen Beratung und Orientierung im Treffpunkt an die Freie Hilfe e.V. gewandt. Dort erhielt er einen intensiven Einführungskurs als ehrenamtlicher Bewährungshelfer für straffällig gewordene junge Leute; tatsächlich entschloss er sich trotz der nun konkreteren Anforderungen, tätig zu werden. Sein Hauptargument: es sei für ihn eine große Herausforderung, und er möchte auf die einmal erfahrene Unterstützung durch die Freie Hilfe e.V. nicht mehr verzichten, aber eine genauso große Herausforderung sei es ja für diese jungen Menschen, in der Großstadt heranzuwachsen und verantwortungsbewusste Menschen zu werden. Und wenn er dazu etwas beitragen könne, sei ihm das mehr wert, als "irgendeine" Freizeitgestaltung.
Einsatz mit Sinn und Nutzen für alle Beteiligten
Das sind - hier am konkreten Beispiel - die Hauptaufgabe des Treffpunkt: Menschen, die interessiert sind, am sozialen Klima und zum Gemeinwohl in der Stadt Berlin beizutragen, zu gewinnen, persönlich und individuell zu beraten, als auch an für sie geeignete Einsatzstellen zu vermitteln. Die Freiwilligkeit ist bei diesen Schritten unser oberstes Prinzip. Mit Hilfe von Öffentlichkeitsarbeit und Werbung (z.B. Plakate in U- und S-Bahnen, unsere Zeitschrift "Punkt.", Benefizkonzerte, Feste für Freiwillige u.a.) kommunizieren wir in praktischen Beispiel für Sozialengagement den Sinn und Nutzen für beide Seiten: Helfer und betreuter Person. Beiden ist geholfen, wenn sie in ihrer Begegnung den Kontakt und Austausch miteinander pflegen können, den sie in ihrem sonstigen Lebensalltag vermissen. Mehr noch: das freiwillige Engagement kann als einer Zeit der Veränderung, der Selbstreflektion und der Überprüfung eigener Weltbilder und Vorstellungen sein. Dahinter stehen oft Wünsche nach mehr Anteilnahme, Menschlichkeit und Zuwendung.
In unserer Beratung bemühen wir uns, den Vorstellungen und Ansprüchen und Ansprüchen der Freiwilligen an ihre Tätigkeit in so vielen Punkten wie möglich entgegenzukommen. Wir stellen eine partnerschaftliche, natürliche Gesprächssituation mit den Interessierten her, und geben auf die zu erwartenden Anforderungen in der praktischen Tätigkeit konkrete Hinweise. Aus einem Angebot von ca 200 detailliert beschriebenen Bestätigungsfeldern in unterschiedlichen Trägerschaften suchen wir gemeinsam mit dem Freiwilligen die geeignetsten aus. Dem geht voraus, die Vorstellungen und Wünsche, Zu- und Abneigungen des Freiwilligen zu klären. Schließlich sollen die Beratenen Vorschläge von uns erhalten, die für sie am besten zu ihren Vorrausetzungen passen. Die letzte Entscheidung zur Kontaktaufnahme mit den ausgesuchten sozialen Projekten bleibt der autonome Schritt des Freiwilligen. Das Ziel der Beratung ist daher, eine breite Auswahl und persönliche Orientierungshilfen anzubieten, d.h. eine Clearingstelle zu sein. In den vergangenen drei Jahren gab es im Treffpunkt besonders starken Zulauf von jungen Leuten (zwischen 20 und 39 Jahren). Wir können also davon ausgehen, daß wir eine neuen Zielgruppe erreicht haben, die von einem anderen Bild von freiwilliger, gemeinnütziger Arbeit ausgeht, als dem bisherigen - Vermittlung bedeutet nicht etwa, "Sozialmotivierte zur Einsatzstelle zu schicken". Ganz im Gegenteil. Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die Qualitätsentwicklung und Unterstützung der Einsatzstellen im Umgang mit freiwillig Sozialengagierten.
In den sozialen Betätigungsfeldern sichern folgenden Anforderungen für Rahmenbedingungen die Qualität und das partnerschaftliche Selbstverständnis des freiwilligen Sozialengagements ab: Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der sozialen Organisation und ihrer Mitarbeiter hin zu einem ergänzenden und gegenseitig bereichernden Verhältnis zu den freiwilligen Mitarbeitern. Fortbildung, Aufwandsentschädigung, Versicherungen, Anerkennung und Dankeschönveranstaltungen sowie Mitbestimmung bilden das kulturelle Umfeld der Freiwilligenarbeit. Der Treffpunkt steht für diese Anforderungen ein, entwickelt sie beständig weiter und unterstützt die sozialen Organisationen, die sich für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen entschlossen haben. So hat unsere Definition von Vermittlungstätigkeit vor allem das Ziel, den Stellenwert des Sozialengagements in der sozialen Landschaft aufzuwerten, das Image von unbezahlter sozialer Arbeit in ein konstruktives Verhältnis zur bezahlten zu setzen - und damit für soziale Organisationen eine Option auf eine qualitativ hochentwickelte Kultur von Gemeinschaft, Gemeinsinn und Bürgerpartizipation zu erheben. Nach unserem Überblick hinken die Angebote sozialer Einrichtungen an die freiwillig Engagierten deren Vorstellungen und Bereitschaft, helfend aktiv zu werden, noch sehr hinterher. Hier gibt es einen speziell in Deutschland großen Nachholbedarf.
Also: Was ist zu tun?
1. Wir finden, die Zeit ist reif für eine optimistische Besetzung sozialer Fragen: ich kann etwas für andere tun und dadurch für mich und unsere Gemeinwesen. Der Zustrom gerade von jüngeren Menschen zum Treffpunkt, mit und ohne Arbeit, davon an die vierzig Prozent Männer, belegt dieses Bedürfnis.
2. Die Freizeitindustrie ist der bislang größte Konkurrent zum Betätigungsfeld Sozialengagement. Soziale Träger müssen deshalb ihre Einladung zum Mitarbeiten an den motivierten Bürger eindeutiger, sinnvoller und partnerschaftlicher aussprechen.
3. Freiwillige und bezahlte, professionelle Mitarbeiter schließen sich nicht aus, sondern sollten in gegenseitiger Ergänzung verstanden werden. Es geht nicht um Konkurrenz und Vorreiterposition; der Abbau sozialer Lebens- und Arbeitkultur steht seit einigen Jahren zur Disposition. Stellen wir dem eine Kultur gegenseitigen Respekts und sinnvoller, abgesprochener Zusammenarbeit gegenüber.
4. Die Vorteile freiwilligen sozialen Engagements könnten um einiges gesteigert werden, wenn die dort investierte Selbst-Bildung (in begleitenden Kursen, Seminaren und Tagungen und allen Gelegenheit sozialen Lernens) in anderen, offiziellen Bildungssystemen angerechnet und als Qualifikation der Persönlichkeit eines Menschen anerkannt würde.
5. Schließlich ist das soziale Klima nicht mehr in der alleinigen Verantwortung des "Vater Staat" zu sehen; vielmehr ist das soziale Leben eine Angelegenheit, um die sich jeder im eigenen Interesse kümmern kann.