Konferenz der IALANA am 26./27. Juni 2009

„Frieden durch Recht?“

von Peter Becker
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Seit langem stellt sich uns Friedensjuristen die Frage, wie man die Bedeutung des Rechts für das Verhalten der Staaten verbindlicher machen kann, wenn sie vor der Frage stehen, ob sie sich an Kriegen oder an sogenannten Friedensmissionen beteiligen. Denn die Frage der Beteiligung Deutschlands an Kriegen ist keineswegs ad acta gelegt, wie die allseits bekannten Beispiele des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien oder der – geleugneten, aber tatsächlich sehr massiv betriebenen – Unterstützung des Krieges der USA gegen Irak zeigen; den letzteren hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem bekannten „Pfaff-Urteil“ als völkerrechtswidrig bezeichnet.

Aus der wiederholten Beschäftigung hieraus ist schließlich die Idee entstanden, den Anstoß zu einem Rechtsgebiet „Friedensrecht“ zu geben und ein Netzwerk aufzubauen, in dem diejenigen mitarbeiten, die sich für dieses Thema interessieren. Zwei Beispiele:

  • Auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz lagern 20 amerikanische Atombomben. Deren Transport und Einsatz liegen im Fall einer NATO-Mission in den Händen deutscher Piloten. Das wird „nukleare Teilhabe“ genannt. Sie ist nach unserer Auffassung klar verfassungswidrig. Die NATO hat sich nach wie vor der Erstschlagsdoktrin verschrieben. Diese verstößt gegen das Gewaltverbot der UN-Charta in Art. 2 Abs. 4, das durch Art. 25 GG als innerdeutsches Recht gilt. Außerdem steht in Art. 26 ein Verbot des Angriffskriegs; in Art. 2 des 2+4-Vertrags heißt es, dass von deutschem Boden nur noch Frieden ausgehen soll. Der Bürger hat ein eigenes Klagerecht gegen den Staat, derartige Einsätze zu unterlassen. Ein solcher Unterlassungsanspruch wurde aber bisher nicht betrieben.
  • Ein weiterer Beispielsfall betrifft den Irak-Krieg, der als völkerrechtswidrig einzustufen ist. Gleichwohl hat Deutschland diesen Krieg unterstützt, indem es den USA Lande-, Start- und Überflugrechte von amerikanischen Airbases in Deutschland gewährte. Das war (und ist?) klar verfassungswidrig; mit welchen Rechtsfolgen?

Die Rechtsgrundlagen für diese – und viele andere – Beispielsfälle sind den Insidern bekannt. Aber es gibt im deutschen Recht keine Sammlung der einschlägigen Rechtsquellen, der Berührungspunkte zwischen Völker- und nationalem Verfassungsrecht und dem sogenannten einfachen Recht. Auch letzteres wird von den einschlägigen „friedensrechtlichen“ Regeln beeinflusst, beispielsweise das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Die Grundsätze und deren Anwendungsgebiete im deutschen Recht wollen wir sammeln, ordnen und so publizieren, dass die Rechtsanwender einfach und schnell darauf zurückgreifen können. Dieses Vorgehen sollte auf der Konferenz vorbereitet werden.

Die Konferenz in der Humboldt-Universität zu Berlin
Unsere Konferenz hat sich mit zahlreichen Gebieten beschäftigt, wo diese friedensrechtlichen Regeln zum Einsatz kommen. Im Eröffnungsreferat behandelte Peter Weiss, u.a. Mitgründer der Internationalen IALANA, das Thema „Völkerrechtliche Verpflichtung zur nuklearen und allgemeinen Abrüstung?“. Er ging einleitend auf historische Versuche ein, die Einwirkung des Rechts auf die Schaffung von Frieden zu untersuchen und bejahte dann in seinem Referat eine völkerrechtliche Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung. Das Verfahren dafür ist in dem Entwurf einer „Nuclear Weapons Convention“ beschrieben, über die derzeit die Generalversammlung der Vereinten Nationen berät. Es soll erreicht werden, dass sie in der Überprüfungskonferenz 2010 des atomaren Nichtverbreitungsvertrags behandelt wird.

Danach sprachen drei „politische Köpfe“, nämlich Gregor Gysi/LINKE, Hermann Scheer/SPD und Willy Wimmer/CDU. Gysi traf mit seiner Kritik an der herrschenden Umsetzungspraxis des Nichtverbreitungsvertrags ins Schwarze, wenn er feststellte, dass den atomwaffenfreien Staaten der Besitz atomarer Waffen verboten werde. Andererseits seien die Atommächte nicht bestrebt, ihre Abrüstungsverpflichtung aus Art. 6 des Vertrags umzusetzen. Verstärkt werde diese Ungleichheit dadurch, dass die im Vertrag festgelegten Atomwaffenstaaten zugleich ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat sind. Hermann Scheer sah das ähnlich: „In den letzten Jahren haben neben Deutschland die zwei Atommächte Frankreich und Großbritannien mit Iran Verhandlungen im Atomkonflikt geführt. Gleichzeitig bestehen sie aber selbst darauf, ihre Atomwaffen zu behalten. Das ist eine Doppelmoral“, monierte Scheer, der dabei auf sein Buch „Die Befreiung von der Bombe“ (1986) zurückgreifen konnte. Auch Willy Wimmer ist der Friedensbewegung sehr vertraut: Er wandte sich schon gegen die Bombardierung Jugoslawiens und klagte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan.

Am nächsten Tag – der Saal war wieder voll – hielt Deiseroth, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der IALANA, ein grundlegendes systematisches Referat zum Friedensgebot des Grundgesetzes. Er zeigte auf, in welchen Artikeln Ansatzpunkte für das Friedensgebot zu finden sind und wie man sie in der konkreten rechtlichen Auseinandersetzung fungibel machen kann. Sein Beitrag ist sicherlich eine Basis für ein friedensrechtliches Kompendium. Prof. Brock von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) ergänzte seine Ausführungen aus politologischer Sicht.

Prof. Daniel-Erasmus Khan von der Bundeswehruniversität München befasste sich mit der Aggressionsdefinition im Verfassungsrecht, Völkerrecht und Völkerstrafrecht. Er zeigte auf, warum das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs noch nicht über eine allgemein anerkannte Aggressionsdefinition verfügt; zeigte anschaulich die Bandbreite der Definitionen, aber auch den Weg zu einer Verständigung auf. Ein weiteres grundlegendes Referat hielt dann einer der Nestoren des Völkerrechts, Prof. Michael Bothe: „An den Grenzen der Steuerungsfähigkeit des Rechts: Kann und soll es militärischer Gewalt Schranken setzen?“. Anhand von fünf beispielhaft skizzierten Rechtsmaterien zeigte Bothe auf, dass das geltende Völkerrecht tatsächlich Ansätze für Regularien zur Verhinderung und Eindämmung von Kriegen enthält. Das Problem ist, wie man dem Machtanspruch der Staaten beikommen kann, die sich nicht an das Recht halten wollen. Der Beitrag von Bothe brachte viel Ermutigendes, hielt aber mit der Skepsis des langjährigen Beobachters nicht hinter dem Berge.

Europäische Fragen
In seinem Referat über Europa, Frieden, Militarismus und Recht zeigte Prof. Fisahn von der Universität Bielefeld auf, wie sich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) von den Verträgen von Maastricht über den Entwurf eines europäischen Verfassungsvertrags zum Verfassungsentwurf von Lissabon hin entwickelt hat. Er hielt dem Vertragsprojekt eine militaristische Tendenz vor; immerhin wolle die europäische Sicherheitsstrategie der Union militärische Mittel für Einsätze in der ganzen Welt bereitstellen; auch etwa zur Sicherung von Energieressourcen. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Europäische Verteidigungsagentur, die die militärischen Fähigkeiten der Union stärken soll. Er sah hierin ein Aufrüstungsgebot. Der Beitrag war umstritten: Die Europäische Union verhalte sich schon aus Gründen ihrer Struktur anders als – etwa – die USA. Derzeit sei die Union in 13 zivilen und nur 2 militärischen Missionen engagiert. Der Vertrag spreche ausdrücklich davon, dass für die Konfliktregulierung auch „zivile Mittel“ bereitgestellt und eingesetzt werden müssten. Das Europäische Parlament werde auch mit den zivilen Missionen befasst, nicht zuletzt bei der Bewilligung der finanziellen Mittel, für die etwa das sogenannte Stabilitätsinstrument mehrere Milliarden EURO für einen Zeitraum von zehn Jahren bereitstelle.

Falsche Legitimationen
In den Schlussdiskussionen, die einer Workshopeinheit mit Workshops zu den Themen „Rechtsschutz gegen völkerrechtswidrige Nutzung deutschen Hoheitsgebiets und Luftraums durch ausländische Streitkräfte“, „strafrechtliche Verfolgung von politisch und militärisch Verantwortlichen wegen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht“, „strafrechtliche Verfolgung von politisch und militärisch Verantwortlichen wegen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht“, „Friedenssprache und Friedenserziehung“ und  „Atomwaffen und Völkerrecht – Back to the Court“) wurde versucht, Folgerungen für die aktuellen Fragen zu ziehen. In der Debatte über „Humanitäre Intervention“, „Responsibility to Protect“ und „Preemptive Strike“ wurden Interventionen untersucht, die zwar das Völkerrecht verletzten, was aber durch semantische Konstruktionen kaschiert werden sollte (Kosovo: „Wir mussten doch die Kosovaren vor einem Völkermord bewahren“, der tatsächlich gar nicht stattfand: So noch bis unmittelbar vor Kriegsausbruch das Auswärtige Amt in den Lageberichten für verwaltungsgerichtliche Asylverfahren). Es wurden dann gemeinsame Zukunftsprojekte eines „Netzwerks Friedensrecht“ skizziert. Prof. Dr. Heintze vom Institut für Internationales und Humanitäres Völkerrecht der Universität Bochum zeigte auf, wie das Institut mit der Bereitstellung von Texten und wöchentlichen Pressemitteilungen aktive Unterstützung von Friedensarbeit leiste. Dr. Patrizia Schneider von der Universität Hamburg, die über das Thema „Frieden durch Recht“ promoviert hat, präsentierte eine Untersuchung deutscher und internationaler Masterstudiengänge in der Friedens- und Konfliktforschung. Nur eine Minderzahl der Curricula weise überhaupt Rechtsmodule auf. Ihre Qualität sei sehr unterschiedlich. Daraus ergaben sich unmittelbar Arbeitsansätze, etwa wie man die Module auf Studiengängen mit den Rechtsthemen für andere Studiengänge fungibel machen könne; ferner, wie Friedensrechtler von ihren jeweiligen Arbeitsplätzen mit Studiengängen zusammenarbeiten könnten, um die friedensrechtlichen Elemente in die Ausbildung einzubringen.

Die Konferenz war sehr lehrreich und ein äußerst gelungener Auftakt zu dem ehrgeizigen Vorhaben, ein „Netzwerk Friedensrecht“ zu etablieren. Die IALANA wird ein Buch herausbringen, in dem die wichtigen Konferenzbeiträge und weitere Themen, die zur Vervollständigung bearbeitet werden müssen, zusammengefasst sind. Dieses Buch soll allen Konferenzteilnehmern zur Verfügung gestellt werden.

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Dr. Peter Becker ist Rechtsanwalt, Co-Präsident der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und Vorstandsmitglied der Deutschen IALANA.