Erfahrungen mit Studierenden

Frieden: Was ist das?

von Celine Müller
Hintergrund
Hintergrund

Auf den Begriff Frieden ist jede*r schon mal gestoßen, jede*r hat ihn sich schon mal gewünscht, von jeder*m wurde er schon mal gestört. Die meisten von uns haben sich jedoch noch nie wirklich damit auseinandergesetzt, was Frieden genau bedeutet.

Im August fahre ich nach Stuttgart, um dort eine Unterrichtstunde für das German Institut zu halten. Dort können Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, einen Sprachkurs belegen und so ein Sprachzertifikat bekommen, um an einer deutschen Hochschule zu studieren oder Arbeit zu finden.

Die Student*innen kommen alle aus unterschiedlichen Ländern und haben unterschiedliche Fächer studiert oder in verschiedenen Berufen gearbeitet. Laura aus Kolumbien ist wegen der Liebe nach Deutschland gezogen, genauso wie Riccardo aus Venezuela und Lien aus China. Cielo aus Spanien und Haru aus Japan haben vor, in Deutschland zu studieren und müssen dafür ihre Sprachkenntnisse verbessern. Dunja aus Russland und Andreiy aus der Ukraine möchten in Deutschland arbeiten, am liebsten in einem Beruf, bei dem man viel Kontakt zu Menschen hat.

Für meinen Unterricht habe ich zwei Stunden rund um das Thema Frieden vorbereitet. Wir beginnen mit der Frage: „Was bedeutet Frieden, und was verbinden wir mit diesem Begriff?“

Wir reden darüber, was die Teilnehmer*innen unter Frieden verstehen, wie man Frieden schaffen kann und welche Bedingungen geschaffen werden müssen, damit Frieden bestehen bleibt. Einige der Student*innen äußern sich zögerlich, sagen dann aber, dass Frieden bedeutet, keinen Krieg zu haben, auf andere Rücksicht zu nehmen, in einer Demokratie zu leben, oder auch, so zu leben, wie man möchte, ohne dass man eingeschränkt wird. Ein paar andere sagen, dass sie den Begriff Frieden nicht wirklich verstehen würden und sich darunter erst einmal nur ‚Freiheit für jeden‘ vorstellen.

Um ihnen den Begriff Frieden näher zu bringen, trage ich die Definition von Uli Jäger vor, der sagt, dass Frieden mehr als nur die Abwesenheit von Krieg sei (negativer Frieden): „Man spricht von einem ‚positiven Frieden‘ als einem anhaltenden Prozess, indem Gewalt abnimmt und Gerechtigkeit zunimmt. Dies bedeutet auch das Fehlen von Ausbeutung, eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung, Freiheit, Pluralismus, die Verwirklichung von Menschenrechten und schließlich die jedem Menschen einzuräumende Möglichkeit, sich gemäß seinen Anlagen und Fähigkeiten selbst zu entfalten.“ (1). Dadurch wurde vielen erst klar, wie komplex Frieden eigentlich ist und was man sich unter dem Friedensbegriff vorstellen kann.

Frieden oder Freiheit, wo ist der Unterschied?
Im Laufe der Stunde wurde den Student*innen immer mehr bewusst, dass man Frieden nicht gleichsetzen kann mit Freiheit. Freiheit und Frieden sind eng miteinander verknüpft, jedoch ist in einem Land, in dem Menschen frei leben, nicht zwangsläufig auch der Frieden gesichert. Freiheit unterscheidet sich, ebenso wie Frieden, in negative und positive Freiheit. Hier spielen äußere und innere Einflüsse eine Rolle. Äußere Einflüsse wären Gesetze, materielle Ressourcen, Regeln oder unveränderbare Gegebenheiten. Innere Einflüsse sind zum Beispiel eigene Zwänge, Süchte oder Manipulationen, die sich nicht so leicht kontrollieren und ändern lassen. Also bedeutet, dass negative Freiheit von äußeren Einschränkungen bestimmt wird. Positive Freiheit bedeutet, die Macht über sich selbst zu haben. (2)

Friede, Freude und Ich
Nachdem die Teilnehmer*innen sich mit Frieden und Freiheit auseinandergesetzt haben, frage ich sie, wie sie ganz allgemein für sich Frieden wahrnehmen. Dabei sagen einige, Frieden sei für sie ein ruhiges Leben ohne Störungen, oder Frieden sei ein innerer Zustand, in dem man sich wohl fühlt. So sagte Haru aus Japan, dass innerer Frieden für ihn bedeutet, erfolgreich zu sein, und Riccardo aus Venezuela meint, innerer Frieden sei für ihn, ein Selbstwertgefühl zu haben.
Zum Ende der Unterrichtstunde frage ich noch nach einigen bekannten Friedensaktivist*innen. Viele erwähnen Mahatma Ghandi, Martin Luther King oder Nelson Mandela. Aber auch neue Aktivist*innen wie Greta Thunberg, Malala Yousafzai oder Nadia Murad wurden genannt. Ein Student sagt, auch er selbst sei für den Frieden tätig, da er sich für seine Mitmenschen einsetze und Zivilcourage zeige. Gemeinsam sind wir dann zu dem Schluss gekommen, dass jeder Mensch bei sich selber anfangen sollte, um den Frieden auf der Welt zu sichern und ihn zu erhalten.
Die Erfahrungen aus dieser Doppelstunde sollten sicher nicht überbewertet werden. Sie zeigen aber doch, wie grundlegend Friedensbewegung vielleicht anfangen muss, damit sie junge Menschen, die nicht durch ihre Eltern an diese Bewegung herangeführt wurden, erreicht.

Anmerkungen
1 Jäger, Uli. 2004. Poket Global. „Globalisierung in Stichworten“, hrsg. v. BPB, S. 39
2 Vergleiche Warkus, Matthias. 2018. Spektrum. „Zwei Arten von Freiheit“

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Hintergrund
Celine Müller hat gerade ihren Bachelor in Soziologie an der Universität Bremen abgeschlossen.