Tschad

Friedensarbeit von unten

von Mechtild Eisfeld

Was zieht mich eigentlich in den Tschad?
Lange, überlange Wartezeit bei der Einreise, die Beamten tüfteln an dem neuen biometrischen System herum. Endlich draußen! Die Hitze schlägt mir entgegen, 30 Grad im Januar. Wo ist mein Kollege, der mich abholen wollte? Der Parkplatz ist leer. Es heißt, das gesamte Flughafenareal ist abgesperrt, Terroristengefahr! Kein Auto käme durch. Doch, Marc hat es geschafft, mit Hilfe von vielen guten Worten, meint er - Korruption auf gewaltfreie Art.

Das vierte Mal bin ich hier, in N`Djaména, der Hauptstadt des Landes. Meine erste Motivation ist wahrscheinlich, dass ich - eine alte Frau - immer wieder Herausforderungen brauche. Einmal beruflicher Art: Seit gut zwanzig Jahren bin ich als Konflikttrainerin tätig, leite Seminare und Ausbildungen in Mediation. Hierzulande weiß ich nun im Groben, wie das geht. In Afrika ist alles anders. Ich muss ganz neue Ansätze finden, mich in die Denkweisen der Menschen einarbeiten. Das gelingt natürlich nur bedingt. Diesmal habe ich es besonders stark empfunden: Ich muss mich wirklich stark zurücknehmen und gut schauen, an welchem Punkt die Teilnehmenden gerade stehen. Und dann alle meine schönen Konzepte umwerfen und etwas ganz anderes aus der Tasche zaubern.

Die Herausforderung ist mit Sicherheit auch persönlicher Art. Es ist sehr anstrengend, körperlich. Die Hitze, der Sandstaub auf den Straßen, die diesige Luft, das viele Laufen (ich habe keinen Pick-up von einer Organisation), die übervollen Taxi-Kombis (22 Passagiere, wo bei uns fünf erlaubt sind) - das schlaucht mich.

ABER: ich mache es alles freiwillig. Ich brauche von Zeit zu Zeit die Erfahrung, dass mein Leben hier im Schlaraffenland durchaus nicht die Regel in der Welt ist. Und was es mir letztlich leicht macht und mich auch aus der Ferne mit Sehnsucht erfüllt, sind die Menschen. Wenn du am ersten Tag hinter dir rufen hörst: Ach, bist du wieder da? Du schaust dich um, meinst zu dir selbst: oh, kenn ich den? Der junge Mann kennt aber dich und heißt dich herzlich willkommen, dann fühlst du dich beinahe daheim. Das freundliche Entgegenkommen, das Lachen bei all der Kargheit, in der die Menschen leben, die kleinen Nachbarskinder, die dir alle die Hand reichen wollen - das wärmt das Herz.

Ja, klar, ich bin eine "nassara", ein Weiße, eine Exotin. Und ich frage mich auch immer wieder: Was habe ich eigentlich in Afrika zu suchen? Eine Neo-Kolonisatorin will ich nicht sein. Was dann? Eine Besserwisserin?

Ja und nein. Ich will eigentlich MIT ihnen zusammen lernen und sie von mir und ich von ihnen. Mediation hat seine Wurzeln auch im afrikanischen "Palaber", wo die Dorfgemeinschaft zusammensitzt und gemeinsam einen Konfliktfall zu klären sucht. Auch die Menschenrechte kann man in uralten Kodizes westafrikanischer Könige entdecken. Darin sind Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität, Menschenwürde als Basis des Gemeinwesens festgeschrieben, auch der Herrscher sollte sich daran halten.

Nun konkret zu meiner Arbeit. Es gibt immer wieder Anfragen: Wann kommst du? Wir brauchen dich! Also, hier ist meine "Berechtigung"!!

Menschenrechtsseminare
Vor Jahren habe ich, angeklinkt an Eirene, mit verschiedenen Menschenrechtsgruppen gearbeitet. Was mir bis heute noch im Kopf ist, war ihre Freude, als sie entdeckten: Wir arbeiten "partizipativ". So sagten sie. Zunächst hatten sie Papier und Stifte, einen detaillierten Stundenplan und - wie üblich - "per diem" = Tagesgelder verlangt und zeigten Unmut, als ich das detaillierte Programm nicht vorweisen konnte. Ich muss immer erst einmal schauen: Wer sind die Teilnehmenden, was wollen sie? So sagte ich ihnen: Lasst uns einfach beginnen, wir werden gemeinsam herausfinden, wie wir das Wochenende gestalten.

Also begann ich mit Interaktionen, kleinen Übungen, Rollenspielen (die sie lieben), und schon wussten sie, wie ich es meinte. Es war nicht der Vortrag, den sie mitschreiben sollten, sondern praktisches Lernen, wo sie als Teilnehmende gefragt und gefordert und wichtig waren.

Das andere, was mich bis heute beeindruckt, ist, dass es für sie in der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen wie eine Enthüllung war, in ihren Beschreibungen NICHT zu bewerten. Nach Marshall Rosenberg und anderen ist der erste Schritt der Gewaltfreien Kommunikation: Sagen, was ist und keinerlei Bewertung in unsere Sprache hineinmogeln.

Allein an dieser (auch für mich immer wieder schwierigen) Aufgabe haben wir lange und intensiv gearbeitet.

Pilotschule der Gewaltfreiheit
Vor einigen Jahren habe ich auch begonnen, an der "cole pilote de la non-violence" (Pilotschule der Gewaltfreiheit) zu arbeiten. Das ist eine kleine Privatschule, deren Gründer-Ehepaar dazu beitragen möchte, die Gewalt in der tschadischen Gesellschaft, in den Familien und Institutionen zu vermindern. Seit der Gründung sind Jahre vergangen, die Lehrerschaft ist immer wieder neu, also brauchen sie auch Impulse, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Auch die Eltern werden in die Workshops miteinbezogen. Dieses Jahr, das dritte Mal in der cole, hatte ich allerdings meine Zweifel, ob ich mir diese Arbeit dort noch einmal aufhalsen sollte. Die sieben Lehrerinnen und Lehrer waren am Nachmittag müde und vor allem hungrig, wo sollten sie ihre Motivation hernehmen? Wir versuchten, etwas zum Essen aufzutreiben, Bananen oder süßes Brot, einmal gab es auch vorher gekochte leckere Bohnen. Die Arbeit blieb zäh.

Munterer war die kleine Elterngruppe, die sich zusammengefunden hatte. Sie spielten mit Wonne Szenen von Elternautorität gegen Kinderbedürfnisse oder männlicher Dominanz gegen Frauenpower.

Mich wundert immer, wie freimütig die Väter zum Beispiel ihre eigenen Gewalthandlungen schildern und wie ehrlich sie an Alternativen arbeiten wollen.

Das ist in meinen Augen wirklich gegenseitiges praktisches Lernen. Mit viel Lachen, auch wenn es den Leuten beileibe nicht rosig geht.

Eine Neuentdeckung für mich war die "cole Elite" mit CollŠge (die höheren gymnasialen Klassen) und "Institut Technique" (Berufsschule), an der ich schon oft vorbeigegangen war und die in der Nähe des GIZ lag (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit), wo ich mein kleines Zimmer hatte. Dort haben mich Proviseur und Directrice (die Leitung) freundlich willkommen geheißen. Sieben Tage lang durfte ich in den verschiedensten Klassen sein mit kurzen Inputs und dann Rollenspiel von Freiwilligen vor der Klasse. Das war ein Gaudi für die Schüler und Schülerinnen. Ich glaube, sie haben in der knappen Stunde, die ich jeweils in den Klassen war, relativ viel gelernt. Vor allen Dingen haben die Jugendlichen eine Ahnung bekommen, wie sie sich fair und standfest auch gegenüber den Erwachsenen behaupten und mitteilen können. Die Eltern- und Erwachsenengewalt ist hier sehr ausgeprägt. Natürlich auch die Gewalt der Jugend untereinander.

Auch Rassismus war ein gefragtes Thema in einer Klasse von älteren Schülern. Sie meinten, ungefähr zehn Ethnien gäbe es in ihrer Gruppe, ja, und manche würden sich den anderen überlegen fühlen (im Tschad werden über 200 Ethnien gezählt). Wir machten ein Real-Rollenspiel vor dem Plenum, wo ein schwelender Konflikt zwischen zwei jungen Männern beleuchtet (auch gelöst?) werden konnte.

Und die Lehrer? (Keine weibliche Form, denn es gibt nur Männer im 60-köpfigen Lehrerkollegium, allerdings die eine Directrice - sie ist die Nichte des Schulgründers !!!)

Was denken sie über die weiße alte Frau, die ihre SchülerInnen womöglich aufmüpfig macht? Sie kamen zahlreich zu einer Versammlung, wo sie mir Fragen stellten und wir einiges klären konnten. Vor allem die brisante Frage der Bestrafungen. Ich glaube, wir konnten den Psychomechanismus gut erklären, was in den jungen Menschen, überhaupt in Menschen vor sich geht, die sich gedemütigt fühlen. Wir haben es vorgemacht: ein Lehrer kam nach vorne, bekam einen Schlag auf den Kopf (symbolisch), ging in die Knie - wie fühlen Sie sich? Was ist Ihre spontane Reaktion? Aggression natürlich .

Soweit ein Einblick in meine Arbeit im Tschad, einem der ärmsten Länder dieser Erde, wo die autoritäre Regierung mehr für sich und ihre Klientel sorgt als für das Wohlergehen der Bevölkerung.

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Friedensbewegung international
Mechtild Eisfeld ist Mediationstrainerin. Sie lebt in Freiburg.