Friedensarbeit vor Ort: Zum Beispiel Darmstadt

von Artur Rümmler
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Darmstadt, ehemalige Residenzstadt des Großherzogs. Die November­revolution 1918 tobte hier wie ein Sturm im Wassergläschen, die NSDAP feierte später überdurchschnittliche Wahlerfolge, die Linke, egal, wie man sie definiert, war hier immer klein und zierlich.

Als wir in dieser kleinen, von rechtsla­stiger SPD regierten Großstadt (rund 140 000 EinwohnerInnen) im Früh­sommer 1989 aus VertreterInnen unter­schiedlicher Schultypen unsere Gruppe von Pädagoginnen und Pädago­gen für den Frieden (PPF) zusammen­stellten, war das wohl auch der Aus­druck des Zusammenwachsens von tra­ditioneller, ökologischer und kirchlicher Friedens­bewegung. Denn den entschei­denden Anstoß erhielten wir von einer Delega­tion des sowjetischen Friedens­komitees, zu Gast beim Christlichen Friedens­dienst. Vorausgegangen waren Reise­kontakte auf privater, kirchlicher und schulischer Ebene, besonders die Mos­kauer Schule 1212 (57) mit erwei­tertem Deutschunterricht fungierte als Anlauf­stelle. Versöhnung mit den Völ­kern der Sowjetunion - so lautete auch unser Motto, und die Großwetterlage der Pe­restroika schuf zunächst beste Bedin­gungen für "Volksdiplomatie", wie un­sere sowjetischen Freundinnen das nannten. Auftrieb gab uns die Teil­nahme am Internationalen Friedenspä­dagogInnen-Kongress zu Pfingsten 1990 in Budapest. Schließlich hatten wir sie im November 1990 zu Gast: neun Kol­legInnen des sowjetischen Friedensko­mitees, sie kamen aus der russischen, ukrainischen und kasachischen Repu­blik. Und als wir zum Jahreswechsel 1990/91 sofort den Gegenbesuch in Moskau und Kiew gemacht hatten, konnten wir auf viele herzliche, gefühl­volle und informative Stunden unserer zweifachen Begegnung zurückblicken.

Einen ersten Schatten auf unsere Treffen warfen allerdings die existentiellen Nöte der noch-sowjetischen FreundInnen: Auflösung der Sowjetunion, Putsch-Ge­fahr, Zusammenbruch der bisherigen Wirtschaftsreform, hereinbrechender Kapitalismus, Rubel-Zerfall, niedrige Lehrer-Gehälter, mit denen man kaum leben konnte. Über die Möglichkeit ei­nes Großkriegs am Golf machten sich unsere von Armut und Bürgerkrieg be­drohten KollegInnen deshalb keine großen Gedanken.

Doch für uns in Darmstadt stand Anfang 1991 der Krieg am Golf im Mittelpunkt unserer Friedensarbeit. Zielten wir bis­her mehr auf internationale Kontakte, so entwickelten wir jetzt mehr Aktivitäten vor Ort. Gegen die angebliche Befrei­ung Kuweits und die planmäßigsyste­matische Zerstörung Iraks protestierten wir mit Unterschriftensammlungen, ei­ner großen Anzeigeaktion, Teilnahme an Demonstrationen und der Gestaltung einer regelmäßigen Donnerstag-Kund­gebungen. Einige von uns unterstützten kontinuierlich die Mahnwache, die trotz großer Kälte rund um die Uhr durch­hielt.

Auch auf der pädagogischen Ebene schlugen sich unsere Aktivitäten, je nach Schultyp, nieder. Führten die deutsch-sowjetischen Kontakte etwa zu Schul- und Diskussionsveranstaltungen und dem Austausch von Kinderzeichu­nugen, so gab es jetzt gemeinsame De­monstrationen von SchülerInnen uns LehererInnen, und einige von uns, be­sonders die Kollegen am Abendgymna­sium, konnten den Krieg am Golf ausführ­lich zum Gegenstand des Unter­richts machen. Als einen herzerfri­schenden Höhepunkt in meiner Tätig­keit als Ge­schichtslehrer betrachte ich den drei­stündigen Sonntagsunterricht, den ich dem zwanzigköpfigen Mahnwacheper­sonal auf dessen Wunsch gab: ein Zehn-Punkte-Argumentations­training zur Stär­kung gegen die herr­schende Ideologie der Kriegstreiberei, das allen viel Spaß machte.

Als Folge der Dominanz der USA, des Hauptkriegsführers am Golf, und ihres Werkzeugs, des gegen die UNO-Sat­zung verstoßenden UN-Sicherheitsrates, rückten im Laufe des Jahres 1991 die Frage der "neuen", faktisch jedoch ziemlich alten Weltordnung und die out-of-area-Ambitionen deutscher Militari­sten in den Vordergrund unseres Inter­esses. Zwei von uns nahmen teil am Stuttgarter Hearing zu den Kriegsver­brechen am Golf (Dezember91) und am International War Crimes Tribunal in New York (Februar 92).

Spätestens beim Internationalen Frie­denspädagogInnen-Kongress in Paris an Pfingsten 1992, als wir mit russischen Kollegen sprachen, die nur dank ihrer Sponsoren kommen konnten, wurde klar, daß unsere alten Kontakte in der bisherigen Form nicht zu halten waren: das sowjetische Friedenskomitee hatte sich aufgelöst; neue, nationale Struktu­ren waren entstanden. Und war der Ei­serne Vorhang für die sowjetischen FriedensaktivistInnen im allgemeinen immer durchlässig, so erweist sich der neue Vorhang der Reisekosten für eine mögliche Delegation unserer russischen KollegInnen als ziemlich unüberwind­bar.

Inzwischen haben wir nun ein großes Thema, das die militärischen und öko­logischen Probleme zurücktreten läßt: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Neofaschismus, sie bedrohen den inne­ren Frieden unserer Gesellschaft. Wir demonstrieren, sammeln Unterschrif­ten, behandeln dies Thema im Unterricht. Und der regelmäßige Deutschun­terricht mit zeitweise rund 150 Flücht­lingen im großen Esszelt eines Darmstäd­ter Lagers tut uns und ihnen gut, wärmt uns in der wachsenden Kälte des auf­kommenden Krisendeutschland. Für Friedenspäd­agogInnen gibt es überall zu tun: in der Schule, am Schreibtisch, auf der Straße - und bei den Flüchtlingen.

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Artur Rümmler ist Lehrer am Abendgymnasium und Mitglied der GEW.