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Friedensarbeit vor Ort: Zum Beispiel Darmstadt
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Darmstadt, ehemalige Residenzstadt des Großherzogs. Die Novemberrevolution 1918 tobte hier wie ein Sturm im Wassergläschen, die NSDAP feierte später überdurchschnittliche Wahlerfolge, die Linke, egal, wie man sie definiert, war hier immer klein und zierlich.
Als wir in dieser kleinen, von rechtslastiger SPD regierten Großstadt (rund 140 000 EinwohnerInnen) im Frühsommer 1989 aus VertreterInnen unterschiedlicher Schultypen unsere Gruppe von Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF) zusammenstellten, war das wohl auch der Ausdruck des Zusammenwachsens von traditioneller, ökologischer und kirchlicher Friedensbewegung. Denn den entscheidenden Anstoß erhielten wir von einer Delegation des sowjetischen Friedenskomitees, zu Gast beim Christlichen Friedensdienst. Vorausgegangen waren Reisekontakte auf privater, kirchlicher und schulischer Ebene, besonders die Moskauer Schule 1212 (57) mit erweitertem Deutschunterricht fungierte als Anlaufstelle. Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion - so lautete auch unser Motto, und die Großwetterlage der Perestroika schuf zunächst beste Bedingungen für "Volksdiplomatie", wie unsere sowjetischen Freundinnen das nannten. Auftrieb gab uns die Teilnahme am Internationalen FriedenspädagogInnen-Kongress zu Pfingsten 1990 in Budapest. Schließlich hatten wir sie im November 1990 zu Gast: neun KollegInnen des sowjetischen Friedenskomitees, sie kamen aus der russischen, ukrainischen und kasachischen Republik. Und als wir zum Jahreswechsel 1990/91 sofort den Gegenbesuch in Moskau und Kiew gemacht hatten, konnten wir auf viele herzliche, gefühlvolle und informative Stunden unserer zweifachen Begegnung zurückblicken.
Einen ersten Schatten auf unsere Treffen warfen allerdings die existentiellen Nöte der noch-sowjetischen FreundInnen: Auflösung der Sowjetunion, Putsch-Gefahr, Zusammenbruch der bisherigen Wirtschaftsreform, hereinbrechender Kapitalismus, Rubel-Zerfall, niedrige Lehrer-Gehälter, mit denen man kaum leben konnte. Über die Möglichkeit eines Großkriegs am Golf machten sich unsere von Armut und Bürgerkrieg bedrohten KollegInnen deshalb keine großen Gedanken.
Doch für uns in Darmstadt stand Anfang 1991 der Krieg am Golf im Mittelpunkt unserer Friedensarbeit. Zielten wir bisher mehr auf internationale Kontakte, so entwickelten wir jetzt mehr Aktivitäten vor Ort. Gegen die angebliche Befreiung Kuweits und die planmäßigsystematische Zerstörung Iraks protestierten wir mit Unterschriftensammlungen, einer großen Anzeigeaktion, Teilnahme an Demonstrationen und der Gestaltung einer regelmäßigen Donnerstag-Kundgebungen. Einige von uns unterstützten kontinuierlich die Mahnwache, die trotz großer Kälte rund um die Uhr durchhielt.
Auch auf der pädagogischen Ebene schlugen sich unsere Aktivitäten, je nach Schultyp, nieder. Führten die deutsch-sowjetischen Kontakte etwa zu Schul- und Diskussionsveranstaltungen und dem Austausch von Kinderzeichunugen, so gab es jetzt gemeinsame Demonstrationen von SchülerInnen uns LehererInnen, und einige von uns, besonders die Kollegen am Abendgymnasium, konnten den Krieg am Golf ausführlich zum Gegenstand des Unterrichts machen. Als einen herzerfrischenden Höhepunkt in meiner Tätigkeit als Geschichtslehrer betrachte ich den dreistündigen Sonntagsunterricht, den ich dem zwanzigköpfigen Mahnwachepersonal auf dessen Wunsch gab: ein Zehn-Punkte-Argumentationstraining zur Stärkung gegen die herrschende Ideologie der Kriegstreiberei, das allen viel Spaß machte.
Als Folge der Dominanz der USA, des Hauptkriegsführers am Golf, und ihres Werkzeugs, des gegen die UNO-Satzung verstoßenden UN-Sicherheitsrates, rückten im Laufe des Jahres 1991 die Frage der "neuen", faktisch jedoch ziemlich alten Weltordnung und die out-of-area-Ambitionen deutscher Militaristen in den Vordergrund unseres Interesses. Zwei von uns nahmen teil am Stuttgarter Hearing zu den Kriegsverbrechen am Golf (Dezember91) und am International War Crimes Tribunal in New York (Februar 92).
Spätestens beim Internationalen FriedenspädagogInnen-Kongress in Paris an Pfingsten 1992, als wir mit russischen Kollegen sprachen, die nur dank ihrer Sponsoren kommen konnten, wurde klar, daß unsere alten Kontakte in der bisherigen Form nicht zu halten waren: das sowjetische Friedenskomitee hatte sich aufgelöst; neue, nationale Strukturen waren entstanden. Und war der Eiserne Vorhang für die sowjetischen FriedensaktivistInnen im allgemeinen immer durchlässig, so erweist sich der neue Vorhang der Reisekosten für eine mögliche Delegation unserer russischen KollegInnen als ziemlich unüberwindbar.
Inzwischen haben wir nun ein großes Thema, das die militärischen und ökologischen Probleme zurücktreten läßt: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Neofaschismus, sie bedrohen den inneren Frieden unserer Gesellschaft. Wir demonstrieren, sammeln Unterschriften, behandeln dies Thema im Unterricht. Und der regelmäßige Deutschunterricht mit zeitweise rund 150 Flüchtlingen im großen Esszelt eines Darmstädter Lagers tut uns und ihnen gut, wärmt uns in der wachsenden Kälte des aufkommenden Krisendeutschland. Für FriedenspädagogInnen gibt es überall zu tun: in der Schule, am Schreibtisch, auf der Straße - und bei den Flüchtlingen.