Eine Kultur der Gewaltfreiheit entwickeln: Die Alternative für Europa

Friedensdekade

von Cornelia Wilß-Hasenkamp
Initiativen
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Der Beginn der Kolonisierung Südamerikas, der sich 1992 zum 500. Male jährt, wird in Europa als "500 Jahre Begegnung zweier Welten" ge­feiert. Doch die Gewaltstrukturen, die die Herrschaft des weißen christ­lichen Europas über die Welt seit 500 Jahren sichern, sind nicht über­wunden. Weder machen die europäischen Staaten Anstalten, sich für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung gegenüber den Ländern des Südens einzusetzen, noch ist Gewalt und Krieg in der alten Welt über­wunden. Der Krieg im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien läßt daran keinen Zweifel. Während die Grenzbäume zwischen den europäi­schen Staaten fallen und der freizügige Binnenmarkt profitable Ge­schäfte verspricht, stellt Europa gegen Zuwanderer und Flüchtlinge aus dem Osten und Süden neue unüberwindbare Mauern auf. Für sie ist kein Platz im Haus Europa.

Vor diesem Hintergrund plädieren Or­ganisationen aus der Friedens-, Nord-Süd- und Flüchtlingsarbeit dafür, in der 13. ökumenischen Dekade für Frieden in Gerechtigkeit Perspektiven einer Al­ternative für Europa zu diskutieren. Die Auffor­derung, eine "Kultur der Ge­waltfreiheit zu ent­wickeln", knüpft nahtlos an das Motto des vergangenen Jahres "Gewaltfrei widerste­hen" an. Ausgehend von der Ver­antwortung des vereinten Deutschlands für die Zukunft Europas in der Einen Welt gilt es, zur Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie bei­zutragen. "Vor dem Hintergrund unserer Geschichte treten wir deshalb für eine Politik ein, die auf Gewalt verzichtet, deren Prinzip Part­nerschaft heißt und nicht Bevormun­dung", heißt es in dem Aufruf des Trä­gerkreises.

Angesichts der ökonomischen Stärke der Bundesrepublik fordern die Initiato­ren, daß Deutschland politisch, wirtschaft­lich und ökologisch einen deutlichen Beitrag zur Überwindung von Elend und Hunger in der Einen Welt leistet. Die Grundpfeiler des kon­ziliaren Prozesses - Gerechtigkeit, Frie­den und Bewahrung der Schöpfung - können nur umgesetzt werden, wenn sich die Industriegesell­schaften radikal ändern und zu Kom­promissen und zum Teilen der weltwei­ten Ressourcen bereit sind. Das gilt nicht nur für das verei­nigte Deutschland, in dem sich heute viele Menschen aus dem Osten als "Fremde" fühlen, sondern auch gegen­über den osteuropäischen Partnern. Pläne für einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Ge­biets lehnen die aufrufenden Organisa­tionen ab. Sie warnen davor, "durch mi­litärische In­terventionen unter dem Vorwand 'Sicherheit der Interessen der Bundes­republik' wirtschaftliche und po­litische Ungerechtigkeiten festzuschrei­ben". Auf der Tagesordnung der frie­denspolitischen Debatte steht weiterhin der Widerstand gegen Rüstungsexporte und die Aufnahme von einem Verbot der todbringenden Exporte ins Grundge­setz sowie die Entwicklung klarer Kon­versionsregelungen in der Bundesrepu­blik und in Europa.

Ein wichtiges Thema, das bereits in den vergangenen Jahren eine Rolle während der ökumenischen Dekade im Novem­ber spielte, ist in diesem Jahr der Wider­stand gegen die Flüchtlingspolitk. Dabei wird es darauf ankommen, über die For­derung nach einer der Humanität und Gerechtigkeit verpflichteten deutschen Asylpolitik und -praxis hinaus, Wider­standsformen gegen die Ausgrenzungs­politik auf europäischer Ebene zu ent­wickeln.

Analysen und Aktionsvorschläge für die hier angezeigten Themen bietet die in diesem Jahr am 1. September 1992 er­scheinende Friedenszeitung. Aufruf und Materialien sollen zu der gemeinsamen Aufgabe vieler Menschen in und außer­halb der Kirchen, der Ge­meinden, in Gruppen und Organisatio­nen beitragen, in der bevorstehenden Dekade für Frie­den, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu werben und zu arbeiten. Nehmen wir gemeinsam die Herausfor­derung an, eine Kultur der Gewaltfrei­heit als Alternative für Eu­ropa zu ent­wickeln.

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Cornelia Wilß-Hasenkamp Koordiantorin der Initiative "Schwerpunkt Gerchtigkeit".