Interview mit Jan Gildemeister

Friedensdekade 2002

von Wiltrud Rösch-Metzler
Initiativen
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Aus Anlass der Friedensdekade 2002 dokumentieren wir ein Interview mit Jan Gildemeister, dem Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) in Bonn und Koordinator des aus Kirchenvertretern und christlicher Friedensbewegung zusammengesetzten Gesprächsforums Ökumenische Friedensdekade.

Frage: Die Friedensdekade vom 10.-20. November 2002 steht unter dem Motto "Warum habt ihr Angst?" Warum gerade dieses Motto?

Jan Gildemeister: Die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA haben bei vielen Menschen die Angst ausgelöst, dass so etwas Schreckliches auch hier passieren könnte. Für den Krieg in Afghanistan oder auch die Diskussion um die innere Sicherheit in Deutschland nutzen viele Politiker diese Ängste bzw. schüren sie. Nüchternheit und Vernunft bleiben dabei auf der Strecke sowie die Gewissheit, dass wir als Christinnen und Christen auf Gott vertrauen können und nicht nach übertriebener Sicherheit suchen müssen.

Was ängstigt Menschen zur Zeit?

Ängste sind subjektiv und es wechselt, vor was oder wem wir uns ängstigen: Vor einem Überfall oder einer Vergewaltigung, vor Arbeitslosigkeit oder einer erfolglosen Suche nach einem Ausbildungsplatz, durch eine Prüfung zu fallen, plötzlich krank zu werden oder einen nahen Angehörigen zu verlieren. Ängste können wichtige Alarmglocken auslösen, beispielsweise die Angst vor atomarer Verstrahlung, dem Ozonloch oder einer Klimakatastrophe. Zunehmend steuern Medien - vor allem das Fernsehen -, vor was wir uns ängstigen: Mal sind es muslimische Schläfer, mal junge Gewalttäter in Schulen. Diese Ängste haben rationale Hintergründe, verschleiern aber vielfach den Blick auf die Wirklichkeit und verbauen Lösungswege aus Krisen.

Setzt die Friedensbewegung nicht auch auf die Ängste der Menschen?

In den 80er Jahren hat die Friedensbewegung die Gefahr eines Atomkrieges bewusst gemacht und damit Ängste geschürt. Die Angst vor dem Staat, der immer mehr die Freiheitsrechte und Privatsphäre der Menschen einengt, und andere Ängste, spielen in manchen Debatten auch heute noch eine Rolle. Der Friedensbewegung geht es aber darum, mit guten Argumenten und praktischer Friedensarbeit die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen.

Was sind wichtige Themen und Vorhaben der Friedensbewegung derzeit?

Der Protest gegen den Krieg in Afghanistan und die Militäreinsätze der USA und ihrer Verbündeten im Sudan, auf den Philippinen und vielleicht auch in Kürze im Irak sind seit dem letzten Jahr an die erste Stelle gerückt. Militärische Gewalt dominiert in erschreckendem Ausmaß die Außenpolitik auch der Bundesrepublik Deutschland. Dabei gerät leider aus dem Blick, dass es dabei unzählige zivile Opfer gibt, Konflikte nicht gelöst, sondern vielfach verschärft werden und hinter vielen Militäreinsätzen handfeste wirtschaftliche Interessen der reichen Industriestaaten stecken. Daneben bedrückt uns der Krieg im Nahen Osten, die unglaubliche Gewalt des israelischen Militärs und die Selbstmordattentate von Palästinensern. Neben Protest und Aufklärung werden Friedensfachkräfte ausgebildet und in Krisengebiete entsandt, um dort mit zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen Konflikte zu entschärfen, Gewaltausbrüche zu vermeiden oder zur Versöhnung von Kriegsparteien beizutragen. Entsprechende Projekte müssen politisch und finanziell massiv unterstützt werden, anstatt immer mehr Geld ins Militär zu stecken. Neben Freiwilligendiensten im Ausland und internationalen Workcamps engagiert sich beispielsweise die AGDF verstärkt für den Dialog zwischen den Religionen mit dem Ziel, gewaltfreie Ansätze der Konfliktbearbeitung zu stärken. Schließlich werden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren qualifiziert, Gewalt in Schulen oder Jugendarbeit vorzubeugen.

Was können Kirchengemeinden und Gruppen gegen Angst unternehmen?

Zum einen tut Aufklärung not: In Veranstaltungen könnten Hintergründe beispielsweise für Fremdenfeindlichkeit und Militäreinsätze beleuchtet werden. Manchmal ist es auch sinnvoll, zu fragen, welche Ängste haben die, die mir in unserer Gesellschaft fremd sind, vor "uns Deutschen". Welche Ängste haben die Palästinenser vor den Israelis und umgekehrt? Wie können diese Ängste so bearbeitet werden, dass Fremdheit abgebaut, Verständnis füreinander möglich wird und Konflikte gewaltfrei in ein Modell gemeinsamer Sicherheit überführt werden? Zum zweiten sollte deutlich werden, dass Angst und die Suche nach Sicherheit vielfach ein schlechter Lehrmeister fürs Denken und Handeln sind. Hier hilft die Besinnung auf den christlichen Glauben, wofür es im Themenheft zur Friedensdekade eine Menge Anregungen gibt.

Vielen Dank, Herr Gildemeister

Die Fragen stellte Wiltrud Rösch-Metzler.

Weitere Infos: www.friedensdekade.de

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Wiltrud Rösch-Metzler ist Journalistin und pax christi Bundesvorsitzende.