Friedensfilmpreis 2000

von Ulla Gorges
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Die 50. Internationalen Filmfestspiele Berlin sind vorbei: Die goldenen und silbernen Bären sind verteilt, der rote Teppich ist eingerollt. Die Kri­tiker kritteln an der Filmauswahl, mäkeln über Jury-Entscheidungen und resümieren, der Wettbewerb verkomme zum Marktsegment für Hol­lywood. Aber andere als die Wettbewerbsfilme hatten sie kaum im Blick, und natürlich die Stars: Kommt DiCaprio, kommt er nicht? Selten ein Beitrag über innovative und aufregende Filme in anderen Sparten der Berlinale, wie Forum des jungen Films oder Panorama, nur eine knappe Aufzählung der anderen Preise und PreisträgerInnen.

Also war auch nichts zu lesen über den großartigen Film "Long Night's Journey into Day - South Africa's Search for Truth and Reconciliation" - das sei hier nun nachgeholt. Die Jury des Friedens­filmpreises hat dieses Meisterwerk ein­stimmig ausgezeichnet, eine Entschei­dung, der mehr als 500 Gäste am 20. Februar bei der Preisverleihung im Haus der Kulturen der Welt mit großem Ap­plaus zustimmten.

Die US-amerikanischen Filmemache­rinnen Frances Reid und Deborah Hoffmann haben über zwei Jahre lang die Arbeit der Kommission für Wahrheit und Versöhnung (TCR) in Südafrika begleitet. Aus 100 Stunden Material entstand ein 94minütiger Film, ein "vielschichtiges Porträt, das an die exi­stentiellen Fragen des Menschen rührt, die im Zuschauer tiefe Erschütterung und Irritation hervorrufen, aber auch Hoffnung wecken. Nicht zuletzt die Brillanz der filmischen Mittel, die Montage, die Musik, die Kameraarbeit verdichten diesen herausragenden Do­kumentarfilm zu einem großen, bewe­genden Erlebnis." (aus der Begründung der Jury).

Vier Fälle der TCR rufen die Verbre­chen und das Wesen des Apartheid-Sy­stems in Erinnerung mit all dem Hass, der Gewalt, der Heimtücke. Die Ge­schichte dieses über 40 Jahre währenden rassistischen Systems wird von den Be­troffenen erzählt. Den Schmerz der An­gehörigen von Opfern, schwarzen und weißen, die hier endlich Aufklärung über die Todesumstände ihrer Ehemän­ner, Kinder, Väter erhalten, als Zu­schauerin mitzuerleben, ist erschütternd. Die öffentlichen Prozesse sind für die Angehörigen eine ungeheure Anstren­gung, sie reißen Wunden neu auf. Aber sie sind auch Traumaarbeit, ein Schritt zur Heilung. Ergreifend und verstörend ist es, den Tätern zuzuhören, wenn sie sich die Last ihrer Schuld von der Seele reden. Opfer und Täter sitzen sich ge­genüber, sehen sich in die Augen, und hier und da gelingt es, in dem anderen sich selbst zu sehen. "In diesem Prozess geht es nicht darum, jedermann an den Pranger zu stellen", sagt Erzbischof Tutu. "Es geht nicht darum, jeden anzu­klagen. Es geht letzten Endes um die Wahrheit, so dass wir hoffen können zu heilen, und dass wir für die Zukunft vielleicht wissen können, was wir ver­meiden müssen."

Die Prozesse dienen der Feststellung von individueller Schuld und der Veröf­fentlichung von individuellem Leid. Darüber hinaus , und deshalb sind sie öffentlich und werden im Fernsehen übertragen, machen sie die Auseinan­dersetzung mit der Vergangenheit und die Notwendigkeit von Versöhnung zu einem nationalen Projekt, zur Voraus­setzung für die gemeinsame Zukunft ei­ner südafrikanischen Nation.

Was ist der Friedensfilmpreis?

Der Friedensfilmpreis wurde im UNO "Jahr des Friedens" 1986 von (West)-Berliner Friedensgruppen gestiftet und wird seitdem jährlich als Bestandteil der Internationalen Filmfestspiele Berlin, der "Berlinale", verliehen.

Mit dem Friedensfilmpreis werden Filme ausgezeichnet, welche die äs­thetischen Mittel des Films mit hu­manem Denken und sozialem Enga­gement verbinden. Die Arbeit der Jury begleiten und unterstützen seit der Gründung des Friedensfilmprei­ses Persönlichkeiten aus Kunst, Kir­che, Wissenschaft und Politik. Aus­gelobt von einer Gruppe Filmschaf­fender und Filmenthusiasten, wird der Friedensfilmpreis 2000 im 15. Jahr verliehen. Er wird getragen von der Friedensinitiative Zehlendorf.

Der Friedensfilmpreis ist mit einem Preisgeld von DM 10.000 und einer Plastik des Künstlers Ottmar Alt do­tiert. Das Preisgeld stellt die grün-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. Die Schirmherrschaft für den Friedens­filmpreis liegt bei den Internationa­len Ärzten zur Verhütung des Atom­krieges, Ärzte in Sozialer Verant­wortung e.V. (IPPNW).

Der Film berichtet nicht euphorisch, er bilanziert nüchtern: 22.000 Opfer wur­den bislang gehört, 7.000 Täter bean­tragten Amnestie. Diese wird auf Ein­zelfallbasis gewährt, volle Enthüllung und ein politisches Tatmotiv sind Vor­aussetzungen. Manche Antragsteller winden sich vor Richtern und Zeugen, versuchen erfolglos einen Handel mit der Kommission, auch dies zeigt der Film. Und: 80% der Antragsteller sind Schwarze.

Die Gründung der TCR war ein politi­scher Kompromiss, es ist ein Projekt ebenso großartig wie pragmatisch. Der Zuschauerin wird viel Nachdenken ab­verlangt: Angesichts der Dimension der Verbrechen, des fortwirkenden Leides, der lebendigen Ressentiments - lässt sich so Gerechtigkeit herstellen? Amne­stie für rassistische Mörder im Aus­tausch für die Wahrheit? Aus dem dia­lektischen Hin und Her wird am Ende Zustimmung und Bewunderung für die Arbeit der TCR und alle mitwirkenden Menschen. Denn bei allen negativen Meldungen z.B. über das Davonkom­men der politisch Verantwortlichen - welche Alternative hätte es zu diesem Projekt gegeben?

Die Kommission für Wahrheit und Ver­söhnung als Mittel zur Verbrechensauf­arbeitung und als Voraussetzung für Zukunftsgestaltung ist ohne Beispiel, ein Pilotprojekt. Etwas derartiges gibt es nicht für Ex-Jugoslawien, wo Segrega­tion als einziger Lösungsweg aus Kon­flikten und Kriegen gewählt wurde und wird. Etwas derartiges gab es auch nicht in Deutschland, wo das unsägliche Ge­feilsche um Entschädigung für Zwangs­arbeit noch nach 55 Jahren das hier ein­geübte Abwehrverhalten bloßlegt: "Mir war, als müsse jeder uns Fragen stellen, uns an den Gesichtern ablesen, wer wir waren, demütig unseren Bericht anhö­ren. Aber niemand sah uns in die Au­gen, niemand nahm die Herausforde­rung an: Sie waren taub, blind und stumm, eingeschlossen in ihre Ruinen, wie in eine Festung gewollter Unwis­senheit, noch immer stark, noch immer fähig zu hassen und zu verachten, noch immer gefangen und verstrickt in ein Gewirr von Überheblichkeit und Schuld."(Primo Levi, 1946).

Der Film "Long Night's Journey into Day" stellt ein Hoffnung gebendes Mo­dell für Konfliktbearbeitung und -lösung vor, entwickelt in einem Land, für des­sen Befreiung vom Apartheid-Regime sich die internationale Solidaritätsbewe­gung so lange engagiert hat. Er regt an, den Weg dieses Landes weiter zu be­gleiten, mit Aufmerksamkeit und Sym­pathie für das aufregende Projekt: Schaffung der Regenbogengesellschaft. Deshalb ist diesem Film ein breites Pu­blikum zu wünschen. Der Friedensfilm­preis soll helfen, dieses zu erreichen.

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Ulla Gorges ist Mitarbeiterin der IPPNW, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. Die IPPNW ist seit 1991 Schirmherrin des Friedensfilmpreises.