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Friedenskarawande in Jugoslawien
vonImmer wieder winken uns Menschen vom Straßenrand zu oder erwarten uns in Dörfern und Städten. Nirgendwo erleben wir Feindseligkeit. Selbst dort, wo wir an den irrsinnig langen Warteschlangen vor den Tankstellen von Polizei nach vorne gelotst werden, finden die Wartenden das in Ordnung und sprechen uns freundlich an. Oftmals Frauen mit Tränen in den Augen, oftmals auch junge Leute, die nicht verstehen, was so plötzlich mit ihrem Land passiert ist. Auf uns wird häufig mehr Hoffnung geworfen, als wir tragen können. Wir wollen gegen den Krieg ermutigen, aber natürlich können wir wenig gegen den Krieg tun.
Die Rede ist von der Friedenskarawane, die vom 25. 9. 91 bis zum 30. 9. 91 durch Jugoslawien gezogen ist. Etwa 400 Personen aus fast allen KSZE-Staaten. Am größten ist die italienische Gruppe, traditionelle besondere Beziehungen im Adriaraum spielen dafür sicher eine Rolle. Aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik sind zwischen 30 und 40 Deutsche gekommen. Die Initiative hierzu hatten vor allem das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die ökumenische Gruppe Ohne Rüstung leben, die Frauen für den Frieden in Berlin und das Netzwerk Friedenskooperative ergriffen. Die Helsinki Citizens Assembly - HCA - hatte zu der Karawane aufgerufen. Die HCA ist ein Zusammenschluß von Bürgern und Bürgerbewegungen aus den KSZE-Ländern.
Die Route der Karawane begann in Triest, führte über Rijeka, Lubljana, Zagreb, dann durch Ungarn nach Subotica in Serbien, Novi Sad, Belgrad, Titovo Uzice, Sarajevo nach Dubrovnik, das wir wenige Stunden vor neuen schweren Gefechten mit der letzten Fähre nach Ancona in Italien verließen. Es war von vornherein vereinbart, daß die eigentlichen Kampfgebiete umfahren werden sollten - daher der Umweg über Ungarn -, denn das Arbeitsmittel der Friedensbewegung ist das Wort, wie soll dies gegen ferne Raketen und Mörser eingesetzt werden?
Wo und wie immer möglich, wollten wir auf drei Ebenen wirken: Wir wollten mit den Menschen auf den Straßen sprechen, um unsere Sichtweisen auszutauschen. Mit den Anti-Kriegs- und Friedensgruppen, die sich erst jüngst überall in den Republiken gebildet haben, wollten wir über die Möglichkeit der Arbeit gegen den Krieg und die Kooperation über die Grenzen hinweg diskutieren. Schließlich wollten wir von den Politikern in den Republiken ihre Einschätzungen und Legitimationen mit unseren Perspektiven für Frieden konfrontieren.
Bei den Gesprächen auf den drei Ebenen, die von uns tatsächlich in Slowenien, Kroatien, der Vojvodina, Serbien und Bosnien - nach Kosovo und Mazedonien schickten wir Delegationen der Karawane - geführt werden konnten, haben wir selbst viel gelernt. Wir haben jedoch auch versucht, auf die Gefahren durch die überall, und zwar auch in Teilen der dortigen Friedensbewegung, aufkeimende Feindbilder aufmerksam zu machen. Fast spiegelbildlich fanden wir oftmals die Argumentationen bei Serben und Kroaten, die sich wechselseitig verteufelten, ohne den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen. Wie schwer wird es dann unter den Vorzeichen solcher Freund-Feind-Bilder zu einer die Nationalitäten bergreifenden Zusammenarbeit gegen den Krieg kommen! Das war es aber gerade, was nach unserer Einsicht die einzige Chance bieten konnte, den gewaltorientiert nationalistischen Politikern und Militärs den Boden zu entziehen und Elemente von Vernunft zur Lösung der Konflikte einzubringen.
Die Politiker, mit denen wir sprachen, waren meist sehr hochrangig - Parlamentspräsidenten, Regierungschefs, Ausschußvorsitzende, Vizepräsidenten. Kaum jemand von ihnen war bereit, sich auf ernsthafte Erörterungen, also auf gemeinsames Nachdenken über die Lösungsmöglichkeiten der Konflikte einzulassen. Fast alle wollten nur ihre Sicht- und Handlungsweise uns gegenüber legitimieren. Wir haben mit unseren Meinungen nicht hinter dem Berg gehalten. Das führte nicht selten zu heftigen Kontroversen.
Für die Teilnehmer war die Karawane eine große physische und psychische Anstrengung. Nicht selten bis zu 20 Stunden hintereinander auf den Beinen oder in den Bussen. Trotzdem war der Umgang miteinander fast durchweg heiter und freundschaftlich, selbst in Streßsituationen.
Unser Slogan lautete: Kooperation statt Krieg. Wir wollten zur Zusammenarbeit über die Nationalitätengrenzen hinweg ermutigen: gemeinsamer Widerstand gegen die Verteufelung und gegen den Krieg. Ich denke, dies ist ein gutes Stück weit gelungen. Das allein ist jedoch nicht ausreichend. Wie schnell mag solche Ermutigung von außen angesichts der Bürgerkriegsrealität im Lande verfliegen. Erforderlich, ja notwendig ist nun die Fortführung der Unterstützung von außen, damit die vielen neu entstandenen Anti-Kriegsgruppen in den Republiken ihre Arbeitsstrukturen und ihre Kommunikationsmöglichkeiten auszubauen vermögen. In der nationalistisch-emotional aufgeheizten Situation des Landes ist zu befürchten, daß Arbeit für Frieden und gegen die Kriegsmobilisierung repressiv und gar terroristisch bedroht sein wird. Schon gibt es dafür Beispiele. Wir können zur Sicherheit der Menschen, die dort für den Frieden arbeiten, beitragen, indem wir in der Bundesrepublik für ihr Schicksal und ihre Situation so viel Öffentlichkeit wie nur möglich schaffen. Zu hoffen ist, daß diese Aufgabe auch die Medien begreifen.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat zu Spenden aufgerufen. Viele haben sofort reagiert. Wir haben bereits Gelder an wichtige Friedensgruppen und -zentren in verschiedenen Teilen Jugoslawiens übergeben, haben Kontakte geknüpft und Adressen gesammelt. Wir werden die Unterstützungsarbeit ausbauen. Geld dafür kann auf das Sonderkonto Jugoslawien - Für Frieden und Völkerverständigung! Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Volksbank Odenwald eG, 6124 Beerfelden, BLZ 508 635 13, Konto Nr. 8024 618, überwiesen werden. Wer seine Adresse deutlich schreibt, erhält eine Spendenbescheinigung für die Steuer.
Die so notwendige Versöhnungsarbeit kann auch hier in der Bundesrepublik geleistet werden. Wir rufen dazu auf, mit hier lebenden Jugoslawen Kontakt aufzunehmen und gemeinsame Gespräche zu organisieren. Die Stimmen der im Ausland lebenden Jugoslawen könnten so den Kampf gegen den Krieg unterstützen.