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Friedensstifter: Vereinte Nationen
vonBrian Urquhart, ein britischer Veteran unter den Beamten der Vereinten Nationen und der "Vater" der mit dem Friedensnobelpreis gewürdigten UN-Friedenstruppen, notiert in seinen Memoiren über die Geiselnahme in der US-Botschaft zu Teheran am 3. November 1979:
"Im Iran hatten wir es mit einem neuen Phänomen zu tun, mit einer modernen Theokratie, in der kein Individuum Verantwortung übernahm und in der internationale Praxis und normale Verhaltensregeln wenig oder überhaupt nichts bedeuteten." Zum 22. September 1980, dem Tag des Angriffs Iraks auf Iran, notierte er, die irakische Aktion sei eine klare und massive Verletzung der Souveränität eines anderen Staates gewesen, die, wenn auch nur im Prinzip, hätte sofort als solche angeprangert werden müssen. "Wie die Dinge lagen, war es unmöglich, um die Schlußfolgerung herumzukommen, daß die Mitglieder des Sicherheitsrates unter starkem irakischen Druck untätig dasaßen in der Hoffnung, der irakische Sieg werde schnell und total sein... Selten hatte der Sicherheitsrat weniger Respekt verdient."
Er trat nicht zusammen, faßte keinen Beschluß, und als er schließlich eine Resolution herausgab, verlangte er einen Waffenstillstand, nicht jedoch den Rückzug der irakischen Invasionstruppen, und erreichte damit, daß Iran den Sicherheitsrat danach nicht mehr ernstnahm. Der Krieg zwischen diesen beiden Mitgliedern sowohl der Vereinten Nationen als auch der Bewegung der Blockfreien dauerte acht Jahre und wurde erst beendet, als die zuvor verfeindeten Weltmächte USA und UdSSR sein Ende gemeinsam erreichten.
Schon die in der deutschen Sprache (und nur in ihr, Deutsch ist keine UN-Amtssprache) verbreitete Bezeichnung "Weltsicherheitsrat" fördert den Irrtum, dieses Gremium sei zumindest die Vorstufe für eine Weltregierung und damit ein Exekutivorgan für "Weltinnenpolitik". Nicht einmal ein "Weltpolizist" ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es ist falsch, den Vereinten Nationen einen eigenen politischen Willen zu unterstellen. Obwohl ihre Charta mit den Worten beginnt "Wir, die Völker der Vereinten Nationen ...", sind diese nie etwas anderes gewesen als eine Versammlung von Delegierten ihrer Mitgliedsregierungen, die dort Aufträge aus ihren jeweiligen Regierungszentralen ausführen. Demokratisch ist an ihnen nicht, daß ihnen nur demokratisch gewählte Repräsentanten der Völker angehören, sondern allenfalls der Umstand, daß in ihrer Generalversammlung jede Mitgliedsregierung, die Weltmacht ebenso wie der kleinste souveräne Inselstaat im Pazifik, einen Sitz, eine Stimme hat.
Die souveräne Gleichheit aller ihrer Mitglieder gehört zu den Grundsätzen dieser Organisation. "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteter oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt" (Artikel 2.54 der UN-Charta).
Njit und No
Alle Mitglieder der Vereinten Nationen haben, "um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten", dem Sicherheitsrat "die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" übertragen und ausdrücklich anerkannt, "daß der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt". Als Ausgleich und Gegengewicht zum Prinzip des gleichen Stimmrechts in der Generalversammlung gibt es im Sicherheitsrat das Vetorecht seiner fünf ständigen Mitglieder (10 alle zwei Jahre gewählte nichtstündige Mitglieder kommen dazu). Entsprechend ihrem politischen und finanziellen Gewicht sind dies die USA, UdSSR, VR China, Frankreich und Großbritannien. Gelegentlich wird die Verfügung über Nuklearwaffen als eigentliches Kriterium für Souveränität angesehen. Indien, das 1974 einen atomaren Sprengsatz zündete, lehnte jedoch aus Protest gegen eine solche "nukleare Welt-Hegemonie" einen derart begründeten Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat ab.
Diese Organisationsstruktur macht die Vereinten Nationen zu einem Spiegel der realen Machtverhältnisse. Sie hält Instrumente der Konfliktregelung bereit, die nur funktionieren, wenn außer der Mehrheit der UN-Mitglieder und besonders der Mitglieder des Sicherheitsrats kein ständiges Mitglied durch Veto einen Beschluß verhindert. Jahrzehntelang blockierte die Sowjetunion durch ihr "Njet" Aktionen des Sicherheitsrats. Seit den siebziger Jahren war das "No" der USA und ihrer westlichen Verbündeten häufiger, vor allem bei Problemen des arabisch-israelischen Konfliktes, aber auch gegenüber dem Apartheidsstaat Südafrika. Die UdSSR blockierte im Fall Afghanistan, die USA blockierten Resolutionen gegen ihre völkerrechtswidrigen Invasionen z.B. in Grenada (1983) oder Panama (1989).
Ende des Kalten Krieges
Im Sommer 1987 begannen die USA und die UdSSR in den Vereinten Nationen eine Zusammenarbeit, die ein Jahr später unter Mitwirkung des UN-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar zum Waffenstillstand zwischen Irak und Iran führte. Nur nach dem Ende des Ost-West-Konflikts konnte der UN-Sicherheitsrat wegen der neuen außenpolitischen Kooperation zwischen USA und UdSSR sowie wegen des Machtinteresses Chinas, seine moralische Isolation nach dem blutigen Juni 1989 zu durchbrechen, die Funktionen wahrnehmen, die die Gründer 1945 vorgesehen, dann im Kalten Krieg aber undurchführbar gemacht hatten: Sanktionen gegen einen Aggressor zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Nach dem bisher historisch einmaligen Völkerrechtsbruch Iraks am 2. August 1990, der in der Besetzung, Planänderung und Einverleibung des UN-Mitgliedsstaates Kuweit besteht, ermöglichte die Zusammenarbeit aller fünf Vetomächte des Sicherheitsrats, die von der überwiegenden Mehrheit nicht nur der UNO selbst, sondern auch zahlreicher internationaler Organisationen - von den Blockfreien bis hin zur Organisation für Afrikanische Einheit - unterstützt worden ist, die Verabschiedung von zwölf Resolutionen des Sicherheitsrats, die ein wirtschaftliches und finanzielles Embargo mit der Forderung nach sofortigem, bedingungslosem und vollständigem Rückzug aus Kuweit verbanden und schließlich sogar am 29. November als "Geste des Entgegenkommens" dem Irak eine "letztmalige Gelegenheit" gaben, diesen Beschlüssen nachzukommen, andernfalls nach dem 15. Januar "alle erforderlichen Mittel" eingesetzt werden könnten, womit auch militärische Mittel gemeint waren.
Die UN-Charta erlaubt militärische Maßnahmen der Vereinten Nationen selbst. Die USA und ihre 27 weiteren Verbündeten, die Streitkräfte in die Golfregion entsandten, unterstellten ihre Truppen jedoch nicht dem Sicherheitsrat und dem dafür vorgesehenen Generalstabsausschuß (bestehend aus den Generalstabschefs der fünf Veto-Mächte), sondern sie bezogen sich auf den Artikel 51, der es dem UN-Mitglied Kuweit ermöglicht, das Recht der kollektiven Selbstverteidigung wahrzunehmen.
Präsident Bush Visionen
Mit der Autorisierung des Kriegsfalls am 29. November per 15. Januar und der Tatsache, daß der Irak unter Führung Saddam Husseins gegen alle (westliche) Vernunft nicht eingelenkt hat, haben die Mitglieder der Vereinten Nationen es zugelassen, daß jetzt ein Krieg im Rahmen ihrer Beschlüsse geführt wird. Damit wurde - das wird vielen jetzt erst klar - ausgeschlossen, daß der Sicherheitsrat sofort nach Ausbruch des Krieges tätig werden konnte, um zum sofortigen Waffenstillstand aufzurufen, wie es bisher (fast immer, vgl. den Fall Irak/Iran 1980) blich war. Die Verzweiflung über das Scheitern aller Diplomatie war am Vorabend des 17. Januar vom Gesicht des UN-Generalsekretärs Pérez abzulesen.
Präsident George Bush, der zunächst die Einmütigkeit im Verfahren der zwölf Sicherheitsrats-Resolutionen als Beginn einer "Neuen Weltordnung" gepriesen hatte, hat auch nach Beginn dieser entscheidenden Kriegsphase dieselbe Vision, deren Voraussetzungen jedoch grundlegend geändert sein werden: "Vor uns liegt die Chance, für uns und für zukünftige Generationen eine neue Weltordnung zu formen, eine Welt, in der die Herrschaft des Gesetzes und nicht die Herrschaft des Dschungels das Verhalten von Nationen leitet ... eine Ordnung, in der glaubwürdige Vereinte Nationen ihre friedensbewahrende Rolle einsetzen können, um das Versprechen und die Vision der Gründer der UNO zu erfüllen."
Die Chance, daß ein erfolgreiches nichtkriegerisches Embargo erstmals die Vereinten Nationen in einer der größeren südlichen Krisen (des Nahen Ostens) verhandlungsfähig gemacht hätte, besteht nicht mehr. Die durchschlagende Wirkung technologischer, militärischer und kommunikationspolitischer Überlegenheit wird mit tiefer Demütigung der Verlierer in der gesamten islamischen Welt einhergehen. Es ist leider zu vermuten, daß ein militärischer Sieg der Alliierten die anvisierte "Neue Weltordnung" eher militarisiert und gravierende neue politische Probleme schafft, die vernünftigen Regeln widerstehen. Die Idealvorstellungen des US-Präsidenten Woodrow Wilson 1918 über eine "Neue Ordnung" kamen im Völkerbund (dem Vorgänger der UNO) nicht zum Zuge. Es folgte der Zweite Weltkrieg. Danach scheiterten die Vereinten Nationen 40 Jahre lang im Kalten Krieg. Ob eine friedliche Neue Weltordnung aus dem Golf-Krieg hervorgehen kann, ist an seinem vierten Tag, an dem dies geschrieben wird, mehr als zweifelhaft.