Konsolidieren oder Untergehen

Friedenszeitschriften

von Michael Schulze von Glaßer
Schwerpunkt
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Medien wie diese Zeitschrift, die Sie gerade in Händen halten, sind für die „Friedensbewegung“ enorm wichtig. Allerdings ändert sich die Mediennutzung der Menschen seit Jahrzehnten immer stärker – was auch an der „Friedensbewegung“ nicht vorbeigeht bzw. vorbeigehen darf, denn dann wird sie noch weiter an Bedeutung verlieren. Ein Plädoyer für mehr Friedensinhalte in Online-Medien und eine Konsolidierung von Friedenszeitschriften.

Es gibt die „Wissenschaft & Frieden“, den „Ausdruck“ der Informationsstelle Militarisierung, die „ZivilCourage“ der „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK), das „IPPNW forum“ der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW), den „Rundbrief“ des Bund für Soziale Verteidigung, die „Graswurzelrevolution“, das „Friedensjournal“ des Bundesausschuss Friedensratschlag, den „Rundbrief KDV“ von Connection e.V., die Zeitschrift, die Sie hier gerade in Händen halten, und noch viele Friedenszeitschriften mehr, die ich in dieser Auflistung vergessen habe.

Die eigene Medienarbeit von größeren Friedensorganisationen, aber auch kleinen, lokalen Friedensgruppen, hat große Bedeutung. Dies liegt an ihren zwei Zielgruppen: Die eigenen Mitglieder und Aktivist*innen sollen informiert werden (sowohl über inhaltliche als auch organisationsinterne Themen) und die breite Öffentlichkeit soll erreicht, informiert und für die eigenen politischen Positionen gewonnen werden. Die Gewichtung zwischen interner und öffentlicher Bedeutung ist dabei je nach Organisation und genutztem Medium sehr unterschiedlich. Während die „ZivilCourage“ eine Mitgliederzeitschrift ist, liegt die „Graswurzelrevolution“ schon heute an Bahnhofskiosken aus. Und während etwa Auftritte in sozialen Netzwerken im Internet vornehmlich zur Außendarstellung genutzt werden, gehen Verbandszeitschriften vor allem an die Mitgliedschaft, weshalb dort auch eher Interna zu finden sind. Menschen – sowohl eigene Mitglieder als auch Außenstehende – zu erreichen, wird angesichts der sich ändernden Mediennutzung aber immer schwieriger: Printmedien werden immer weniger gelesen und im Internet sind Friedensgruppen schlecht aufgestellt. Laut der „Jugend, Information, Medien“(JIM)-Studie von 2023 lesen nur noch 13 Prozent heutiger Jugendlicher täglich oder mehrmals in der Woche Zeitschriften (2004 waren es noch 33 Prozent). Und diese Welle schiebt sich immer weiter – gesamtgesellschaftlich verliert „Print“ an Bedeutung und die SocialMedia-Nutzung nimmt zu.

Plädoyer für die sozialen Medien
Print hat für Friedensgruppen aber noch immer eine wichtige Bedeutung. Im Gegensatz etwa zur „Klimabewegung“ sind in der „Friedensbewegung“ vornehmlich ältere Menschen aktiv – und die sind auch noch über Printmedien erreichbar. Neuere soziale Netzwerke wie TikTok, SnapChat oder Threads werden hingegen kaum bis gar nicht genutzt. Dies ist allerdings nicht nur auf der Seite der Konsument*innen der Fall, sondern auch auf der der Absender*innen: Aufgrund mangelnden eigenen Interesses und auch „know hows“ sind heute nur die wenigsten Friedensgruppen in sozialen Netzwerken vertreten (zumal es auch Unterschiede bei den Netzwerken gibt – „Facebook“ etwa hat kaum noch Bedeutung). Und wenn, dann sind sie dort nur sehr klein und haben kaum „Follower*innen“. Gerade um Außenstehende mit eigenen politischen Forderungen zu erreichen – und vielleicht sogar als Mitglieder zu gewinnen – braucht es mehr Aktivitäten der „Friedensbewegung“ in sozialen Netzwerken. Wie genau das funktionieren kann – wie SocialMedia-Plattformen funktionieren – wäre ein Thema für weitere Artikel oder noch besser Workshops.

Plädoyer für Fusionen
Bei Friedenszeitschriften ist die „Friedensbewegung“ – wie schon anfangs gezeigt – deutlich besser aufgestellt. Um den Folgen der sich ändernden Mediennutzung gerecht zu werden, kann sich aber auch hier nicht einfach ausgeruht werden. So man einzelne Zeitschriften nicht gänzlich einstellen will, muss eine Konsolidierung stattfinden. Ein Gedankenspiel: Würden das Friedenforum (Auflage etwa 2.500 Exemplare), das IPPNW forum (etwa 6.000) und die DFG-VK Mitgliederzeitschrift ZivilCourage (etwa 4.000) zusammengehen, hätte man mit einer Auflage von zusammen etwa 12.500 bis 15.000 Exemplaren tatsächlich ein für öffentliche Friedensdebatten gewichtiges Medium. Selbst ein öffentlicher Vertrieb im Zeitschriftenhandel wäre möglich.

Aktuell arbeitet bei den drei genannten Zeitschriften je eine Person bezahlt – zudem gibt es ehrenamtliche Redaktionen oder zumindest eine ehrenamtliche Zuarbeit aus der Mitgliedschaft. Würde man sich zusammentun, hätte man mit gleich drei bezahlten Kräften plus den ehrenamtlich Engagierten eine schlagkräftige Redaktion, wodurch die Qualität der Veröffentlichungen gesteigert werden könnte. Auch Nachwuchsproblemen könnte durch eine vergrößerte Redaktion begegnet werden. Zudem würden die drei beteiligten Organisationen mit einem Zusammengehen bei ihren Zeitschriften effektiv Geld einsparen: Die Zeitschrift könnte umfassender sein und mehr Seiten pro Ausgabe haben. Die Druckkosten würden aufgrund der hohen Auflage pro Exemplar sinken. Und eine gemeinsame Organisationsstruktur ist einfacher, als wenn jede herausgebende Organisation eine eigene unterhält. Die freigewordenen Gelder könnten in Honorare für Artikel und Fotos, in die SocialMedia- oder auch in die politische Arbeit fließen. Durch die gestiegene Relevanz könnte man auch eher bekannte Interviewpartner*innen gewinnen sowie aufwändig recherchierte Texte und investigative Recherchen durchführen. Inhaltlich passt zwischen die drei Zeitschriften heute oft kein Blatt. Und für die Mitglieder der IPPNW und der DFG-VK könnte es jeweils Einleger mit den internen Informationen aus den Verbänden geben.

Es gäbe aber natürlich noch viele ungeklärte Fragen: Wie viele Ausgaben im Jahr soll es geben (die Taktungen der drei Zeitschriften im Gedankenspiel sind unterschiedlich)? Wie soll eine Ausgabe erstellt werden? Wer macht das Layout? Wo geschieht der Druck? Wo und wie der Vertrieb? Wer macht die Abo-Verwaltung? Und das sind nur einige von vielen Fragen – der Prozess eines Zusammengehens würde wohl mehrere Jahre dauern.

Doch erst einmal müsste dafür überhaupt die Bereitschaft bestehen. Das größte Hindernis, auf das ich in Debatten um dieses Gedankenspiel bislang gestoßen bin ist die mangelnde Bereitschaft, überhaupt etwas am ja schon seit Jahrzehnten Bestehenden zu ändern: Für manche scheint die jeweilige Zeitschrift eine „Heilige Kuh“ und die Zeit stehengeblieben zu sein. Doch bröckelt das Gras und die Kuh droht samt Weide unterzugehen, wenn sie sich nicht bewegt und gemeinsam mit Anderen neue saftige Weiden erkundet.

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