Fünf Jahre Bund für Soziale Verteidigung

von Christine Schweitzer
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Jubiläen werden normalerweise erst dann interessant, wenn sie wenig­stens eine zweistellige Ziffer aufzuweisen haben. Daß der Bund für So­ziale Verteidigung (BSV), vor gerade fünf Jahren gegründet, trotzdem den Jahrestag zum Anlass zu einer kleinen Feier im Rahmen seiner Mitglie­derversammlung im März 1994 nahm, kann höchstens damit ent­schul­digt werden, daß dies keine gewöhnlichen fünf Jahre gewesen sind. Bei der Gründung des BSV und der ihr vorangehenden großen Mindener Kon­ferenz über Soziale Verteidigung 1988 war die Auflösung des War­schauer Vertrages und die Vereinigung von DDR und BRD noch Utopie.

Dann kam die Maueröffnung, die Initiie­rung der Kampagne zur Abschaf­fung der Bundeswehr, der Golfkrieg und die Pazifismusdebatte, die Restrukturie­rung von NATO und der Krieg im ehe­maligen Jugoslawien. In der Diskussion auf der Versammlung des BSV wurde versucht, diese rasanten Entwicklungen zu reflektieren und den Anstoß zu einer neuen Standortbestim­mung zu geben. Einige Tendenzen lie­ßen sich aus der Diskussion herauslesen, die vielleicht auch über den BSV hinaus eine gewisse Gültigkeit beanspruchen können:

1.    Pazifismus und Gewaltfreiheit sind heute kaum mehr denkbar, ohne Ge­walt auf allen gesellschaftlichen Ebe­nen zu berücksichtigen und zu bear­beiten: Gewalt in der Schule, rechts­extremistische Gewalt usw.. Obwohl der BSV angetreten war, um Soziale Verteidigung aufzubauen und Militär und Rüstung abzuschaffen, drehen sich heute beinahe die Mehrzahl sei­ner Projekte um die erstgenannten Bereiche. So gibt es ein Projekt zur gewaltfreien Konfliktaustragung in der Schule, das eine pädagogische Mitarbeiterin derzeit betreut; dem­nächst soll in Brandenburg ein größer angelegtes Projekt mit zehn Mitar­beiterInnen beginnen, die in Schule, Kindertagesstätten und Jugendzen­tren arbeiten sollen, gewaltfreie Trai­nings gegen rechtsextreme Gewalt und zur Nachbarschaftshilfe werden durchgeführt usw.

2.    Die Diskussion um Abschaffung der Bundeswehr wurde weitgehend von den Bestrebungen abgelöst, eine Ausweitung des Bundeswehrmandats auf "out of area", auf weltweite Ein­sätze, zu verhindern.

3.    Der Wegfall des Ost-West-Konfliktes hat dem Konzept der Sozialen Vertei­digung beinahe den Garaus gemacht. In einem gutbesuchten Forum auf der Mitgliederversammlung waren nur wenige Anwesende - darunter auch AktivistInnen aus den Niederlanden und Kroatien - der Ansicht, daß der­zeit eine militärische Bedrohung der BRD (durch Angriff oder Putsch) auszu­machen sei. Diese beiden Szenarien sind die klassischen Szena­rien der Sozialen Verteidigung, die damit an Anziehungskraft innerhalb der Be­wegung doch sehr verloren hat.

4.    Allerdings gab es auch Anzeichen für neue  Bedrohungsszenarien: Macht­ergreifung durch rechtsextreme Kräfte oder eine Bedrohung durch ein von dem Faschisten Schirinowski be­herrschtes Russland wurden wesent­lich häufiger als vor zwei Jahren be­nannt.

      Und innerhalb des BSV sind viele be­reit, den Begriff der Sozialen Vertei­digung auf die anderen genannten Konfliktbereiche auszuweiten. Das oft beschworene Ende der Sozialen Verteidigung ist mit der Nicht-Wahr­nehmung militärischer Bedrohungen nicht gekommen, wenngleich sich schon auch im BSV die Stimmen mehren, die für eine Umbenennung der Organisation eintreten.

5.    Die sog. "Pazifismusdebatte", die im Golfkrieg begann und angesichts der tragischen Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien zu vielen Kontroversen auch innerhalb pazifistischer Kreise geführt hat, war - zum Glück - auf der BSV-Versammlung weniger zu erleben, wenngleich sie einige der Mitgliedsorganisationen des BSV schon führen.

6.    Das Konzept des "Zivilen Friedens­dienstes" scheint immer mehr An­klang zu finden. Er wird von vielen als ein nützliches Instrument angese­hen, gewaltmindernd in Konflikte im Inland einzugreifen und durch frie­denserhaltende Maßnahmen in Kon­flikte in Drittländer einzugreifen.

Für das kommende Jahr hat sich der BSV etliche neue Projekte vorgenom­men, neben dem Projekt in Brandenburg den Auf- und Ausbau seines Friedens­forschungsinstituts, die Arbeit am "Zivi­len Friedensdienst" und natürlich die Fortsetzung der "Jugoslawien"-Ar­beit.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.