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Feindbilder
Funktionen und Abbau von Feindbildern
vonFeindbilder sind ausgeprägte negative Vorurteile, die aber einen wahren Kern haben können. (1) Im Feind werden hauptsächlich negative Merkmale gesehen, er ist böse, ungerecht und (moralisch) minderwertig; ihm wird einseitig die Schuld zugeschrieben für Konflikte und Krieg. Eigenes problematisches Handeln wird „vergessen“ oder uminterpretiert, vergleichbare Handlungen werden unterschiedlich bewertet (Doppelmoral oder doppelter Standard): Die eigene Rüstung ist gut, weil sie der Verteidigung dient; die des Feindes ist aggressiv und dient dessen Expansionsgelüsten. Die eigene Seite verwirklicht Menschenrechte, die andere verletzt sie. (2) Der Feind ist böse und bedroht unsere höchsten Werte, ihm wird im Extrem die Menschlichkeit abgesprochen (z.B. Ratte, neuer Hitler). Menschliche Opfer auf der eigenen Seite sind wertvoll, Opfer der anderen Seite sind kaum erwähnenswert (Kollateralschaden). Für die eigene Seite ist all das schlecht, was dem Feind nutzt, und umgekehrt. Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht wahrgenommen. So haben die Sanktionen während der Ukrainekrise nicht nur Russland, sondern auch Deutschland und der EU erheblich geschadet.
Bei der Entstehung von Feindbildern wirken individuelle, soziale und politische Faktoren, die eng miteinander verwoben sind. Zur Reduktion komplexer Sachverhalte werden Kategorien konstruiert, z.B. Ost vs. West oder Demokratien vs. Autokratien; damit werden fließende Übergänge kaschiert.
Menschen streben nach sozialer Zugehörigkeit. Von Gruppen, die sie schätzen, übernehmen sie Handlungs-, Denk-, Motiv- und Wertemuster; dies geschieht durch Modell-Lernen, Verstärkung und Bestrafung. Psychologisch erleichternd ist die Konstruktion einer Fremdgruppe, die eine Abgrenzung ermöglicht.
Entscheidend bei der Feindbildkonstruktion sind politisch-gesellschaftliche Faktoren, die von Politiker*innen, Journalist*innen und anderen Meinungsbildner*innen verbreitet werden: Dadurch wird Realität sozial konstruiert. Allgemeine Möglichkeiten der Desinformation sind u.a. gezielte Falschaussagen oder Verschweigen von Informationen, verkürztes Darstellen von Ereignissen ohne relevante Hintergrundinformationen, Delegitimieren oder Bestrafen von unerwünschten Informationen und ihren Quellen. (3)
Gezielte (Des-)Information wird in autoritären Regimen durch Zensur erreicht; in Krisensituationen ist sie auch in Ländern mit "freier" Presse zu beobachten. (4)
Funktionen von Feindbildern
Etablierte Feindbilder leisten vielfältige Beiträge auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, sie sind ein wichtiger und “nützlicher” Faktor in Politik und psychischer Hygiene.
Feindbilder implizieren Fehlinformationen, mit denen die öffentliche Meinung manipuliert werden kann. Durch gezielte Provokation von Angst, Furcht oder Empörung - z. B. „systematische Vertreibung“ vor dem Kosovokrieg oder „Babymord“ vor dem 2. Golfkrieg – wird Kriegsbereitschaft erhöht.
Der Verweis auf die Bedrohung durch einen Feind lenkt die Öffentlichkeit von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft ab, z. B. Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption. Zudem wird durch die Bekämpfung des “Bösen” das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft oder Ethnie aufgewertet und damit auch der individuelle Selbstwert (z.B. Westliche Wertegemeinschaft; American Exceptionalism). (5)
Feindbilder erhöhen die Bedeutung des Militärs. Letztlich tragen Feindbilder wesentlich dazu bei, Kriege vorzubereiten und zu rechtfertigen.
Konflikte unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepresst. So werden eine angemessene Wahrnehmung und Bearbeitung von Problemen – mit ihren komplexen historischen, kulturellen und Interessens-Dimensionen – behindert.
Ukraine-Konflikt und –Krieg werden von westlichen Medien und Politiker*innen häufig einseitig den „prorussischen Rebellen“, „Russland“ oder Präsident Putin zugeschrieben („Putins Krieg“); und Russland hat den Krieg begonnen und ist dafür verantwortlich. Es gibt aber relevante westliche Anteile, u.a. Druck auf die ukrainische Regierung, sich zwischen EU und Russland zu entscheiden; Beteiligung des Westens am Umsturz; Boykott von Minsk 2 und den Annäherungen in Istanbul; Nichteingehen auf die Kooperationsvorschläge von Putin, u.a. im Deutschen Bundestag. (6) Zudem werden die verschiedenen Konfliktebenen nicht differenziert beleuchtet: Ukrainischer Bürgerkrieg, Russlands Krieg gegen die Ukraine und US-Geopolitik.
Abbau von Feindbildern
Der Abbau von Feindbildern ist erheblich weniger erforscht als der Aufbau. Es können aber einige Strategien skizziert werden; etliche sind langfristig angelegt und hängen vom politischen Willen der Entscheidungsträger, aber auch von gesellschaftlichen Bewegungen ab.
# Erziehung zu Toleranz, Empathie und Perspektivenübernahme.
# Kontaktaufnahme zwischen verfeindeten Gruppen; Partnerschaften zwischen Städten, Berufsgruppen, Universitäten etc.
# Gemeinsame Aufgabe: Ein Problem finden, das alle Konfliktparteien betrifft, aber nur gemeinsam gelöst werden kann, z.B. Verhindern eines Krieges, Bekämpfen von Armut, Hunger und Umweltzerstörung.
# Modelle: Repräsentanten gesellschaftlicher Organisationen, Wissenschaftler*innen, Prominente können durch öffentliche Stellungnahmen für gewaltfreie Konfliktaustragungen eintreten.
# Friedensjournalismus bzw. konfliktsensitiver Journalismus: Politisch relevante Ereignisse in Medien so darstellen, dass sie zur Deeskalation beitragen, u.a. umfassend – zumindest nicht einseitig – informieren, Interessen und Leiden aller Konfliktparteien darstellen, Hintergründe, Geschichte und Transformationsmöglichkeiten des Konflikts aufzeigen.
# Die Kosten von Feindbildern und damit zusammenhängend von Rüstung und Kriegen für Entscheidungsträger und Bevölkerung salient machen. Dazu gibt es Schätzungen über einige Kosten des 3. Golfkrieges. (7)
Anmerkungen
1 Der Artikel ist eine kompakte und aktualisierte Version des Kapitels Feindbilder in C. Cohrs, N. Knab & G. Sommer (Hrsg.), Handbuch Friedenspsychologie. Das Buch Archive - Handbuch Friedenspsychologie (handbuch-friedenspsychologie.de)
2 Sommer, G., Stellmacher, J. (2009). Menschenrechte und Menschenrechtsbildung. VS-Verlag, Wiesbaden
3 Bar-Tal, D., & Halperin, E. (2011). Socio-psychological barriers to conflict resolution. In D. Bar-Tal (Ed.), Intergroup conflicts and their resolution: A social psychological perspective (217-240). Psychology Press.
4 Chomsky, N. (2003). Media Control – Wie Medien uns manipulieren. Hamburg: Europa Verlag
5 Carpentier, N. (2011). The ideological model of war: Discursive mediations of the self and the enemy. In N. Billias & L. Praeg (Eds.), Creating destruction - Constructing images of violence and genocide (S.13-38).
6 Krone-Schmalz, G. (2015). Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens. München: Beck. ARD Monitor (8.6.2018) Feindbild Russland: Wie der Westen die Konfrontation verschärft. https://www.youtube.com/watch?v=-iJNtff6HTU. J.J. Mearsheimer https://www.rubikon.news/artikel/die-mehrdimensionale-katastrophe.
Personen mit abweichender Meinung werden diskreditiert. Nach seiner Kritik an Forderungen zu immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine wurde SPD-Fraktionschef Mützenich vom ukrainischen Vizeaußenminister Melnik als zynischster und widerlichster deutscher Politiker bezeichnet (Junge Welt, 23.1.2023). Eine Sammlung von Verbalinjurien zum Manifest für Frieden von Schwarzer und Wagenknecht hat Grözinger zusammengestellt, u.a. „moralische Verkommenheit“, „Sprecher des Kremls“, „gewissenlos“, „verlogen“ (https://makroskop.eu/07-2023/der-mannliche-hass-auf-weibliche-friedensbe...). Entsprechend das einflussreiche Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Nein, Wagenknecht … geht es nicht um Frieden. Es geht ihr um die Zerstörung der Demokratie.“ (https://www.rnd.de/politik/warum-sahra-wagenknecht-eine-gefahr-fuer-die-...) Zum Umgang mit der Antikriegsbewegung in Russland s. R. Wanie, FriedensForum 2/2023, 21-23
7 Die US-Ökonomen Stiglitz (ehemaliger Chefökonom der Weltbank) und Bilmes beziffern die Gesamtkosten des Kriegs in den ersten fünf Jahren allein für die USA auf 3 Billionen US$ (Frankfurter Rundschau 29.2.2008). Im Krieg starben etwa 4.400 US-Militärs, 10.000 irakische Militärs und Polizeipersonal sowie 200.000 bis 1.000.000 Zivilisten (IPPNW, 2015). Dabei bleiben die indirekten Opfer des Krieges - unzureichender Zugang zu Nahrung und Wasser, defizitäres Gesundheitswesen - unberücksichtigt. 500.000 US-Militärs entwickelten psychische Störungen, insbesondere Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Abhängigkeiten. Mehr als 60.000 Angehörige des US-Militärs erlitten Verletzungen, viele davon schwerste Polytraumata (u.a. Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen, Verbrennungen, Amputationen; Kantner, 2007). Diese Aufzählung berücksichtigt nicht, dass jedes einzelne Kriegsopfer bei den Angehörigen zu unsäglichem Leid führt.