G8: Gewaltbereite Politik

von Rudolf Walther 1

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet seit Jahren Demonstrationen, und zwar aus zwei Gründen. Demonstrationen werden in den Medien oft nur verzerrt dokumentiert. Dem will das Komitee entgegenwirken. Der zweite Grund ist grundsätzlicher Natur. Die im Art. 8 GG gewährte Versammlungsfreiheit (aus dem sich das Demonstrationsrecht ableitet) ist nicht einfach ein Freiheitsrecht unter anderen. Als Kollektivrecht der Bürger bildet die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ein radikaldemokratisches Gegengewicht zur das Grundgesetz sonst prägenden repräsentativ-demokratischen Logik.

Aus diesen beiden Gründen rückte das Komitee mit 29 Demonstrationsbeobachtern in Heiligendamm an. Die verteilten sich auf das ganze weitläufige Demonstrationsgelände. Elke Steven und Wolf-Dieter Narr verarbeiteten die Augenzeugenberichte zu einem informativen Buch. Die Bewertung der Beobachtungen und Berichte folgt den klaren Maßstäben, die Grundrechte und Demokratie vorgeben.

Für die gesamte Presse begannen Gewalt und Eskalation mit der großen Demonstration (80.000 Teilnehmer) am 2. Juni in Rostock. Elke Steven und Narr weisen das als ein interessiertes Vorurteil aus, denn die Eskalation der Gewalt und die propagandistische Aufblähung von drohenden Gewaltausbrüchen begannen schon zwei Jahre vor dem Gipfeltreffen mit der Einrichtung der Sonderbehörde "Kavala" mit Sonderkompetenzen und unter grundsetzwidriger Zusammenarbeit von polizeilichen, geheimdienstlichen und militärischen Institutionen. Im Endstadium beschäftigte die Sonderbehörde mehrere Hundert Mitarbeiter zur Koordination des "Kampfes" zu Lande, zu Wasser und in der Luft, mit dem unter der Parole "Sicherheit" festgeklopft werden sollte, dass es zu einem "Gipfel ohne Volk" (und mit 16.000 Polizisten) kam.

Mit polizeigesetzlich gedehnten Pauschalklauseln wurde im Namen von "Sicherheit und Ordnung" ein präventiver Ausnahmezustand hergestellt, den eine willfährige Situationsjurisprudenz gerichtlich absegnete. Demonstrationen wurden verboten oder eingeschränkt auf der Basis von polizeilich und geheimdienstlich hochgejazzten Gefahrenprognosen bis hin zu einem angeblich bevorstehenden massiven Angriff von "islamistischen Terroristen" mit Kriegswaffen.

Das grundgesetzlich verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit - so wurde z.B. ein gewöhnlicher Zahnschutz als "passive Bewaffnung" eingestuft und sichergestellt, der Besitzer erkennungsdienstlich behandelt und in die Gewalttäterdatei aufgenommen - wurde dauernd und massiv verletzt. Es hagelte 1474 Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten, was bislang zu ganzen 44 Verurteilungen zu Geldstrafen und drei Haftstrafen reichte. Gegen Polizisten, die zum Teil außer Rand und Band gerieten, weil die Einsatzleitungen konfus agierten, gab es nur 28 Verfahren, die bis auf wenige im Sand verliefen.

Während die Presse fast unisono der polizeilichen Propaganda, sie betriebe "De-Eskalation" folgte, zeigen Steven und Narr mit eindrücklichen Beispielen, dass die Polizeiführung (im Schulterschluss mit der Politik) nur ein Ziel verfolgte: "Politik der Stärke". Damit wirkten viele Polizeieinsätze nicht de-eskalierend, sondern setzten im Gegenteil mit provozierender Brutalität oder offensichtlicher Schikane die Eskalationsspirale erst in Gang. Ohne Zweifel gab es aggressive Demonstranten, die mit Steinen und anderen Gegenständen Polizisten angriffen. Aber diese Randerscheinungen verstärkten sich notorisch dann, wenn die Polizei Täter und vermeintliche Täter willkürlich herausgriff. Mit solchen punktuellen Überfällen chaotisierte die Polizei die Konfliktsituationen. Das Fazit von Steven und Narr ist für die Polizei niederschmetternd: "An keiner Stelle, zu keinem Zeitpunkt, von keiner Gruppe und keinem Einzelnen" ist "die terroristisch aufgeblasene Gefahrenprognose" der Polizei "auch nur andeutungsweise bestätigt worden".

Wo die Polizei mit ruhiger und massiver Präsenz und nicht unberechenbar-wild oder hühnerhaft-einfältig auftrat, blieb sie Herr der Lage - (fast) ohne Gewalt. Das Buch bietet ein starkes Lehrstück in Sachen Polizei, Sicherheitswahn, Demokratie und Bürgerrechte.

Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.), Gewaltbereite Politik und der G8-Gipfel. Demonstrationsbeobachtungen vom 2.-8. Juni 2007 rund um Heiligendamm, 192 S., Köln 2007, 10,-; Bestellbar beim Komitee f. G.u.D., Aquinostr. 7-11. 50670 Köln oder unter http://www.grundrechtekomittee.de, info [at] grundrechtekomitee [dot] de

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Hintergrund
Rudolf Walther lebt und arbeitet als freier Autor in Frankfurt für deutsche und schweizerische Zeitungen.