USA und China

Gefährliches Spiel mit dem Feuer

von Karl Grobe
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Ein Wort ist aus dem politischen Sprachgebrauch verschwunden, bevor es wirklich Konkretes bezeichnen konnte: Chimerica. Der Historiker Niall Ferguson hatte vor 14 Jahren die Beziehungen zwischen China und den USA so bezeichnet. Zu der Zeit schien sich eine besondere Art der Zusammenarbeit anzubahnen, eine Art Symbiose. Inzwischen ist daraus ein Trugbild geworden – eine Schimäre. Statt Kooperation entwickelt sich Konfrontation, statt Koexistenz neuer Kalter Krieg. Die USA erkennen erstaunt China als ebenbürtigen Gegner oder künftigen Hauptgegner.

US-Präsident Trump hat China zum Auftakt seiner Wiederwahl-Kampagne vorgeworfen: „Es gibt kein Land, das uns stärker übers Ohr gehauen hat als China. Wir verlieren Milliarden, Hunderte Milliarden Dollar“. Die USA importieren in der Tat viermal mehr aus China, als sie dorthin exportieren. Folglich fließt Geld aus Amerika nach Ostasien ab. Die Staatsschulden der USA sind rund sechsmal größer als die Chinas, und China ist größter staatlicher Gläubiger der USA, unter anderem ist ein beträchtlicher Anteil der amerikanischen Staatsanleihen in chinesischen Banken gebunkert.

In den letzten beiden Jahrzehnten haben zahlreiche Firmen arbeitskraftintensive Produktionen im eigenen Land aufgegeben und besonders gern ins Billiglohnland China verlagert. Das erhöht einerseits die Gewinnmargen, andererseits nahm dadurch die Arbeitslosigkeit in den Mutterländern zu, und andere Firmen mussten Zwischenprodukte und Komponenten nun importieren, statt sie aus der weiteren Nachbarschaft zu beziehen. Ein Ende der so entstandenen Lieferketten befindet sich in China.

Handelskrieg
Die ökonomische Konkurrenz ist längst nicht mehr bloß Wettbewerb. Sie ist zum Handelskrieg eskaliert, gekennzeichnet durch Schutzzölle (die zuerst die USA verhängten), Sanktionen gegen Firmen (auch aus Drittländern), die mit chinesischen Partnern handelten, und aus dem Handelskrieg entstand politische Konfrontation. Konsulate wurden geschlossen (zuerst das chinesische in Houston, dann das amerikanische in Wuhan), und Trump drohte, weiter eskalierend, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen an. Strafzölle gegen den Software-Riesen Huawei, ein angedrohter Ausschluss chinesischer Unternehmen von US-Börsen, es kommt da Einiges zusammen.

Militärisches Drohgebaren
Und der Konflikt beschränkt sich nicht auf die Wirtschaftsbeziehungen. Er hat auch eine gefährliche militärische Seite. Im Südchinesischen Meer schaukeln sich die Gegensätze zwischen den beiden Supermächten auf. Während chinesischer Militärmanöver im Nordosten des Landes überflog im August ein amerikanisches U-2-Spionageflugzeug in großer Höhe eine Flugverbotszone und spähte offenbar Schießübungen der chinesischen Streitkräfte aus. China protestierte nicht nur. Es feuerte zwei Mittelstreckenraketen ins Südchinesische Meer ab, ausdrücklich als Warnung an die USA. Die US-Regierung verhängte im Gegenzug Strafmaßnahmen gegen Firmen, die an Bauprojekten auf Inseln in diesem Seegebiet beteiligt sind. Sie wurden damit vom amerikanischen Markt ausgesperrt. Insgesamt gerieten 24 chinesische Firmen auf die schwarze Liste. In der Region hatten sich – in internationalen Gewässern – mehrfach amerikanische  Kriegsschiffe demonstrativ gezeigt, was China als Provokation betrachtet.

Die chinesischen Insel-Bauprojekte sind nun allerdings politisch brisant. Es handelt sich um Hubschrauber- und Flugzeuglandeplätze, Hafenanlagen und künstlich aufgeschüttete Inseln, zum Beispiel im Spratly-Archipel, weit entfernt vom chinesischen Festland. China beansprucht Inseln in diesem ausgedehnten Randmeer des Pazifiks seit langem; die weiteste Grenze seiner Ansprüche, die „nine dash line“, taucht zum ersten Mal 1947 auf einer Karte der Republik China auf. Die Volksrepublik China bezog sich zuerst 2009 auf diese Demarkationsline: Im Zusammenhang mit einem Disput mit Vietnam nahm sie die „Neun-Striche-Linie“ in ihre den UN vorgelegten Dokumente auf (siehe Friedensforum 4/2017). Im Juli 2016 befand der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass diese Linie keinerlei Gebietsansprüche Chinas begründe. Doch China hat sich auf mehreren Inseln des Archipels festgesetzt, wie auch Vietnam, die Philippinen und Taiwan. Und das strategische Interesse der USA hatte Außenministerin Hillary Clinton schon 2013 klargemacht. Damals war der vorschnell mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Barack Obama US-Präsident. Seine Asienpolitik („pivot on Asia“) gehört zu den Faktoren, die aus den traditionell bestehenden Interessengegensätzen einen politischen Konflikt entstehen und eskalieren ließen. China schuf mittlerweile für die besetzten Inseln eine eigene Verwaltungsregion, etwa einem Landkreis vergleichbar.

Chinas Aufstieg zur Großmacht
Der Aufstieg Chinas zur Großmacht zeigt sich gerade  in solchen Entwicklungen besonders deutlich. Staatliche Einigung, Unabhängigkeit und eine starke Administration waren die Voraussetzungen dafür.

Seit 1849 hatten die damaligen Weltmächte Großbritannien, Russland, die USA, Deutschland und später auch Japan sich in die Politik Pekings eingemischt, Kriege angezettelt, sich chinesisches Gebiet angeeignet, Aufstände mit Waffengewalt niedergeschlagen (Taiping-Aufstand und Boxer-Aufstand sind die bekanntesten Beispiele) und China zur Halbkolonie deklassiert. Genau hundert Jahre danach hatte „der Westen China verloren“, wie zur Zeit der Kommunistenverfolgung (McCarthy-Ära) die US-Konservativen klagten. In republikanischen Kreisen wird der „Verlust“ nach wie vor den Demokraten angekreidet, nicht nur in Wahlkampfzeiten. Die sich Nationalchina nennende Republik besteht noch auf Taiwan fort und hat eine einflussreiche Lobby in Washington.

1949 war China ein erschreckend armes Land. Die Kommunistische Partei unter Mao Zedong setzte zuerst eine Agrarreform durch, nicht ohne Gewaltanwendung, jedoch mit überwältigender Zustimmung der bäuerlichen Mehrheit. Ausländische Unternehmen wurden verstaatlicht, chinesische Privatbetriebe vom Staat aufgekauft. Genossenschaften wurden gegründet, und die Sowjetunion gab Kredite zum Aufbau neuer Unternehmen. Wirtschaftlich ging es voran, doch weltpolitisch war China isoliert – UN-Mitglied war ja die nun auf Taiwan beschränkte Republik China, nicht die Volksrepublik –, so dass es auch weltwirtschaftlich auf nur zwei Faktoren angewiesen war: den Ostblock und die eigene Dynamik. Die zentral gelenkte Planwirtschaft brachte einen raschen Aufschwung, aber von Mao initiierte politische Kampagnen (zuletzt die sogenannte Kulturrevolution 1966 - 1976) und klimabedingte Hungersnöte (1962, verschärft durch den „Großen Sprung nach vorn“, eine weitere Kampagne) brachten Rückschläge. Trotzdem gelang ein ansehnlicher Wirtschaftsaufbau, und besonders erfolgreich wurde das Elend der Landbevölkerung bekämpft. Ausländische Beobachter*innen sprachen vom Aufstieg aus dem Elend in die Armut.

Die UN-Mitgliedschaft der Volksrepublik (1971) und die darauf folgende weltweite diplomatische Anerkennung der Volksrepublik brachten weitere Möglichkeiten. Doch erst die Beendigung der parteiinternen Machtkämpfe (um 1978) und der Sieg der Reform-Fraktion um Deng Xiaoping machten den Aufstieg zur Großmacht möglich. Zwischen 1978 und  2018 hat China nach Angaben der Weltbank 800 Millionen Menschen aus der Armut geholt und zu „bescheidenem Wohlstand“ (xiaokang) verholfen. China steuert inzwischen 12% zum UN-Budget bei. Sein Anteil am Weltwirtschaftsprodukt ist von 2% auf 22% gestiegen. Das Schnellbahnnetz ist jetzt das weltweit größte, und seit 2014 ist China die weltgrößte Handelsmacht.

Abschied vom Kommunismus
Seit dem Beginn der Reformen (1978) und verstärkt nach dem Massenprotest (Tian’anmen-Proteste) von 1989 hat sich die allein regierende KP Chinas von ihrer kommunistischen Ideologie verabschiedet. Was Deng Xiaoping 1982 mit dem Satz „Es schadet nicht, wenn einige zuerst reich werden“ begründet hat, ist die weltweit schärfste Kluft zwischen Superreichen und der 90%-Mehrheit der Bevölkerung. Doch der Lebensstandard der Mehrheit ist ebenfalls stark verbessert, und darauf beruht der unausgesprochene historische Sozialkompromiss: Solange das Volk in bescheidenem Wohlstand lebt und diesen noch verbessern kann, solange kann die Machtelite ohne demokratische Experimente regieren.

Diese Machtelite umfasst die Spitzenfunktionäre der 90 Millionen Parteimitglieder, die zugleich die entscheidenden Staats- und Militär-Posten innehaben – genauer: eine Minderheit der Spitzenfunktionäre – und die neureichenWirtschaftsführer. Von denen sind sehr viele Nachkommen von Spitzenfunktionären der Partei, so der auf unbegrenzte Zeit amtierende Präsident, Parteichef und Militär-Oberkommanierende Xi Jinping. Doch es gibt auch Aufsteiger*innen außerhalb der KP.

Weltpolitische Mitführungsrolle
Die aktuelle Machtelite, soweit sie politisch aktiv ist, kann Chinas Gewicht in der Gegenwart gut einschätzen. Sie fordert eine dem entsprechende weltpolitische Mitführungsrolle; mit den Worten von Präsident Xi: den Platz in der Welt, der China zusteht und ihm 150 Jahre lang vorenthalten worden ist. Daher rüstet China auf (sein Militäretat beträgt zwei Prozent des Sozialprodukts – oder ein Drittel des US-Militäretats), formuliert seine Ansprüche im Südchinesischen Meer und nutzt seine inzwischen erreichte Fähigkeiten in der Elektronik, der Software-Technik usw. auch politisch.

Da sehen sich die USA bedroht. Ihre Führungsrolle ist in Gefahr. Der Regierung Trump fällt keine andere Antwort ein als die Gewaltandrohung. Denn den regierenden Kreisen ist ein Planet Erde, der nicht nach dem Willen des Weißen Hauses, der Wall Street und des Pentagon agiert, nicht vorstellbar, so wenig wie sich die chinesischen Führenden auf die Rolle des allezeit dienstbereiten Kulis reduzieren lassen wollen. Es sind noch Gespräche, Kompromisse, Einigungen möglich. Und sie sind nötig, um einen vernichtenden Krieg zu vermeiden.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.