Sprachkritische Anmerkungen

„Gefallen“ oder „im Gefecht getötet“?

von Gerhard Müller

Kein Zweifel, „gefallen“ im Sinne von 'im Gefecht, im Krieg getötet' bzw. 'bei militärischen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen' ist ein heikler Ausdruck, ein kritisches Wort, das vielen – so auch mir – unangemessen vorkommt; es verhüllt, es gibt die Realität nicht richtig wieder.

Alle kennen es. Da stehen überall Kriegerdenkmale, und es gab „Gefallenenehrungen“, da wird, etwa auch in Kirchen, der „Gefallenen“ der Weltkriege gedacht, wenn es nicht gar heißt: „Sie starben den Heldentod.“ Immer wieder und immer noch wird „fallen“/“gefallen“ in normaler Rede verwendet. So konnte man am 4.9.2014 im „heute-journal“ hören: „Die NATO gedenkt der Gefallenen in Afghanistan.“ Man denke auch an die – berüchtigte und in mehrfacher Hinsicht anfechtbare – Aussage des Bundespräsidenten Gauck (am 12.6.2012 in der Führungsakademie der Bundeswehr): „Dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.“ (1)

Vor kurzem hat Mechthild Tschierschky vom Friedenshaus Eisenhüttenstadt dieses „gefallen“ kritisch aufgegriffen und als „Unwort“, ja als „Unwort des Jahrhunderts“ bezeichnet. (2) Ihr ist darin zuzustimmen, wenn sie sagt: „Es ist an der Zeit, es [= jenes „gefallen“] öffentlich zu prüfen und im Sinne des Lebens neu zu bewerten. Wie manches andere Wort auch.“ Dies gilt für die Friedensbewegung und darüber hinaus.

Was ist ein „Unwort“? Nach der seit Jahren eingeführten Definition der Jury der Initiative „Unwort des Jahres“ gelten als „Unwörter“ „ sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch“. (3) Gemeint sind Ausdrücke wie „Humankapital“, „Überfremdung“ oder „Kollateralschaden“.

Mechthild Tschierschky irrt aber und verkürzt den sprachlichen Sachverhalt, wenn sie nach der Bedeutung von „fallen/gefallen“ fragt und sagt: „Wer gefallen ist, steht wieder auf. Er klopft sich den Sand von der Hose […].“ Dies geht an der Sprach- und Wortgeschichte vorbei. Denn das Verb „fallen“ kommt, allgemein gesehen, in ganz unterschiedlicher Weise vor und ist der Bedeutung nach sehr entfaltet! Ein kompaktes und maßgebliches Wörterbuch aus dem Jahr 1910 (Sanders/Wülfing, Handwörterbuch der deutschen Sprache, 8. Aufl.) kennt allein diese Verwendungsweisen – ich fasse zusammen:

a) stürzen, sich abwärts bewegen, b) übertragen („sein Ansehen ist gefallen“), c) Bezeichnung der verminderten Höhe („der Weg fällt“), d) heftige, rasche Bewegung („sich aufs Knie werfen“; Raubtiere fallen über ihre Beute her), e) Bewegung überhaupt („das Licht fällt aufs Gemälde“), f) z.B. „das fällt mir schwer/leicht“), g) „das Urteil fällt so oder so aus“, h) z.B. „sich das Gesicht entzweifallen“ u. a.

Und unter a) wird als Beispiel gegeben: „[...] bei Menschen vom Tod in der Schlacht, im Zweikampf usw.“ Was die Gegenwartssprache betrifft, so sehe man nur in das Deutsche Universalwörterbuch aus dem Dudenverlag. Die Deutung von „fallen“ als 'hinfallen und wieder aufstehen' ist da sicherlich vermerkt, aber nur als eine von vielen (mehr als ein Dutzend)!

Und dieses „fallen/gefallen“ kommt seit Jahrhunderten im Deutschen vor, es reicht – nach den Befunden der Germanistik und Sprachwissenschaft – bis ins 13. Jahrhundert zurück; zudem spielt die Sprache der Bibelübersetzungen eine wichtige Rolle (vgl. u.a. „Wie sind die Helden gefallen!“, 2. Samuel 1,19). (4) Da Mechthild Tschierschky auch die Frage stellt: „Wer hat diese Bezeichnung gefunden für den grausamen Tod im Kriege“, sei ein Blick auf die Geschichte dieses Wortes gerichtet, wobei gerade „unverdächtige“ Autoren bzw. Wortverwendungsbeispiele beachtet werden.

Kurt Tucholsky, in ‚Offizier und Mann‘ (1919): „Ich glaube nicht, dass die Zahl der gefallenen Offiziere ein Argument gegen die Behauptung ist, dass ihr Geist nichts taugte.“ Käthe Kollwitz schreibt in ihrem offenen Brief an Richard Dehmel (1918), ‚Es ist genug gestorben‘ (1918): „Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen!“ – Schließlich der große Pazifist Carl v. Ossietzky in seiner Rede vor Gericht 1932: „Was nützen Denkmäler des Unbekannten Soldaten den Gefallenen?“

Zusammenfassend und alles in allem interpretiert: „Fallen“ für 'im Krieg/im Gefecht/in der Schlacht sterben' hat im Deutschen eine jahrhundertelange Tradition. Wenn man hier ein „Unwort des Jahrhunderts“ erkennen wollte, dann müsste man eher von einem ‚Unwort der vergangenen Jahrhunderte‘ sprechen. 

Aus heutiger Perspektive freilich, besonders nach den großen Kriegen des 20.Jahrhunderts mit den unzähligen Opfern („Opfer“ – vielleicht auch ein Euphemismus) und den vielen Kriegen seitdem, ist jenes „fallen“ gewiss belastet, verbraucht, als verhüllendes und beschönigendes Wort unbrauchbar. Wer es unkritisch gebraucht, drückt sich unangemessen und den Kriegstoten gegenüber unehrlich aus. Glücklicherweise wird es heutzutage etwa in der Presse schon vielfach vermieden, wobei stattdessen z.B. „im Gefecht getötet“ geschrieben wird.

 

Anmerkungen
1 Zitiert nach dem Badischen Tagblatt vom 17.9.2014, S.2.

2 In Ossietzky 18/2014, S. 633f.

3  Siehe www.unwortdesjahres.net (abgerufen 21.9.2014).

4 Vgl. J. Chr. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Band 2, 1796, und J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch. Band 3, 1862. Historisch liegt zugrunde: „sich zu Tode fallen“.

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