Gegen den deutschen Triumphalismus

von Werner Rätz

Die deutsche Vereinigung rollt; Großdeutschland schickt sich an, DIE Vormacht einer neuen europäischen Weltmacht zu werden; die Nato wird um die DDR gestärkt. Als seien damit nicht genügend Horrorvisionen der Linken in diesem Land dabei, Wirklichkeit zu werden, setzen die augen­blicklichen Gewinner dieser Entwicklung noch eins drauf: Der Sozialis­mus soll gleich mit erledigt werden.

Dies vor allem war es wohl, was Do­rothee Sölle dazu gebracht hatte, einen Einleitungsbeitrag auf dem Ar­beitstreffen "Anschluß der DDR - An­schlußfragen der Linken" am 28. und 29. 7. in Köln zu halten. Sie sehe im Ende des real existiert habenden So­zialismus keineswegs eine einzige Seite. Das sei kein linearer Prozeß ka­pitalistischer öbernahme. Das so zu sehen, verlange einigen Zynismus, um die demokratischen Defizite des ge­scheiterten Modells zu übergehen. Aber die erste Freude, daß beendet sei, was historisch überfällig war, sei sehr bald häufigen "depressiven Mo­menten" gewichen. Es gehe den Herr­schenden darum, mit dem Ende der DDR nicht nur das Ende des Sozia­lismus überhaupt auf die Tagesord­nung zu setzen, sondern sogar den ge­sellschaftlichen Traum vom Sozialis­mus als einer besseren Gesellschaft zu zerstören. Deshalb, um die Privatisie­rung der Träume zu verhindern, brau­che die Linke eine eigene, hörbare Stimme.

Zu diesem Ergebnis kam auch Gregor Gysi: Zwar habe es in Deutschland immer noch Linke gegeben, aber keine eigene linke Organisation. Linke Men­schen hätten bisher bestenfalls eine geduldete Gastrolle in anderen Orga­nisationen spielen dürfen und dabei oft ihre politische Identität - oder Teile davon - verstecken oder verbiegen müssen. Es sei das Recht der Linken, eine Organisation zu haben, in der Menschen nicht in der Ecke stehen, wenn sie sich als Linke bekennen.

Der "Aufruf zu einem Wahlbündnis PDS/Linke Liste" greift beide öberle­gungen auf: "Wir (werden) konfron­tiert sein mit einem Vernichtungsfeld­zug gegen die sozialistische Idee in IHRER GESAMTHEIT. Dagegen werden ALLE zu kämpfen haben, die an den Zielen und Idealen einer de­mokratischen, herrschafts- und aus­beutungsfreien Gesellschaft festhalten wollen." Das Bemühen um die hier formulierte Breite der gesamten Lin­ken war deutlich spürbar.

Es kam nicht nur zum Ausdruck in der Unterschiedlichkeit der InitiatorInnen der Konferenz, obwohl die beeindruc­kend war: Joachim Bischoff, Hamburg, Redaktion Zeitschrift Sozialismus; Manfred Coppik, Offenbach, Die Grünen; Frank Deppe, Marburg; Axel Eggebrecht, Hamburg, Publizist; Helga Genrich, Königswinter; Hein­rich Hannover, Bremen, Rechtsanwalt; Bernd Henn, Salzgitter, Gewerk­schaftssekretär; Ulla Jelpke, Hamburg, Ehm. Bürgerschaftsabgeordnete GAL; Ingrid Kurz, Hamburg; Andrea Le­derer, Hamburg, Redaktion Arbeiter­kampf KB; Christiane Reymann, Hamburg, Journalistin Sozialistisches Forum; Prof. Herbert Schui, Ham­burg; Michael Stamm, Hamburg, GAL; Inge Stolten, Hamburg, Autorin; Prof. Erich Wulff, Hannover.

Die Schwierigkeiten des Projekts sind den Beteiligten klar: "Einer nach wie vor relativ starken, aber noch mitten in der (nötigen) Bewältigung ihrer eige­nen Geschichte steckenden PDS steht eine zahlenmäßig kleine West-Linke gegenüber, mit häufig völlig verschie­denen Ansätzen in den letzten 10-20 Jahren. Daraus erwachsen (zum Teil erhebliche) Unterschiede der politi­schen Kultur und Differenzen in wich­tigen politischen Fragen. Dies zu än­dern wird nicht einfach sein. Das Ge­triebensein durch den Anschlußprozeß entzieht uns zudem die Möglichkeiten der ruhigen und kalkulierbaren Aus­einandersetzung, die eigentlich für Entwicklungen solcher Tragweite nötig wären. Unter anderem deshalb haben wir uns gegen eine Parteigründung und für das Konzept eines Wahlbünd­nisses unabhängiger oder anderweitig organisierter Kräfte entschieden. Für das Gelingen eines solchen Weges, zumal wenn wir mehr erreichen wollen als die bloße Addition unserer Positio­nen, kann es keinerlei Garantie geben. Er kann nur versucht werden.

Allerdings enthält er auch Chancen. Die Linke Liste/PDS kann inner­halb des oben gesteckten Rahmens offen­bleiben in ihrer politischen Viel­falt, in ihren Organisationsformen, in ihrer Möglichkeit, verschiedenste linke Gruppen, Personen und Ansätze zur Zusammenarbeit zu führen und zugleich deren Eigenständigkeit und Individualität zu wahren. Das ist schon deshalb wichtig, weil es sich bei diesem Projekt nicht um die Vertretung der Linken handelt, sondern nur um einen personellen Ausschnitt. Die ange­strebte Offenheit muß gerade auch den autonomen und feministischen Handlungs- und Denkansätzen gegen­über wirken. Die Heterogenität der Beteiligten, die Vorläufigkeit jeder Politik angesichts der ständigen Um­wälzungen, die Notwendigkeit, daß sich die PDS und andere Linke aus Ost und West noch verändern, aber auch das Wagnis, das wir mit unserem Schritt eingehen, werden uns deutlich von anderen Formationen unterschei­den."

Natürlich gab es auf der Konferenz auch andere Stimmen. Natürlich gab es Vorwürfe mangelnder Radikalität, Aufgeregtheiten, wer wen wann ge­mein behandelt habe und Rechthabe­reien bis dahin, daß jemand fragte, ob die KonferenzteilnehmerInnen nicht lieber eine Partei hätten, die "die Ar­beiterklasse zum Sieg führt"? Wenn das mal so einfach wäre!

Der Gesamttenor blieb um konstrukti­ven Umgang miteinander bemüht - und durchaus selbstkritisch. Ziemlich unumstritten konnte jemand feststel­len, die Aufarbeitung der Vergangen­heit und die eigene Erneuerung sei nicht nur Sache der PDS. Zwar ist sie und alle, die sich positiv auf die DDR bezogen hatten, von deren Scheitern besonders betroffen. Aber keine linke Strömung kann so tun, als habe es ih­rer Analyse und Politik nicht auch An­sätze gegeben, die mit dem realen So­zialismus zusammen ihre Untauglich­keit erwiesen hätten. Auch die Uralt­kritiker der SED hatten Gemeinsam­keiten mit ihr, die es jetzt zu verarbei­ten gilt. Linke können die PDS/Linke Liste nicht als eine "Waschanlage" be­nutzen, wo man als politisch "neuer Mensch" rauskommt. Auch das soll dieses Projekt von früheren unter­scheiden.

Selbstverständlich wurde auf der Konferenz nicht nur Grundsätzliches diskutiert, sondern auch höchst Profa­nes. Die Klage beispielsweise, die Linke Liste/PDS werde den Grünen (oder der SPD) Stimmen wegnehmen. Wieso eigentlich, wenn doch die Grü­nen bisher nicht müde wurden zu be­tonen, sie seien keine linke Partei, sollten die Linken auf ihre eigene Stimme verzichten? Und wozu sollte sie allzuviel Rücksicht auf die SPD nehmen, die in der gesamten Diskus­sion um die beiden Staatsverträge nur jeweils an einer Frage wirklich ge­kämpft hat: für die Enteignung der PDS und für ein Wahlrecht, das für die PDS die meisten Nachteile hat? Das bedeutet nicht, daß die Linke Li­ste/PDS sich in Gegnerschaft zu den Grünen versteht oder Zusammenar­beit mit der SPD ablehnt, aber nicht nur sie selbst ist keine "Waschanlage", die etablierten Parteien sind es auch nicht: Die eigene Geschichte wird nicht produktiv, wenn wir aufhören, links zu sein, sondern nur, wenn wir selbst was Neues draus machen kön­nen.

 

Kontakt vorläufig über: Hamburger Satz- und Verlags-Kooperative, Schul­terblatt 58, 2000 Hamburg 36.

Für NRW: Werner Rätz, Rudolf-Hahn-Str. 49, 5300 Bonn 3, Tel. 0228 / 46 40 72.

 

 

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de