Gegenöffentlichkeit im Cyberspace?

von Dirk Rosin

Wer zu DDR-Zeiten über die gleichgeschalteten Medien in Ostdeutschland gespottet hat, kann sich im Jahr 13 nach der Einheit nur wundern: Der Bazillus der Gleichschaltung hat sich heute gesamtdeutsch ausgebreitet, egal ob Neoliberalismus und Sozialabbau oder deutsche Kriegseinsätze im Ausland - der Medien-Mainstream kennt kaum noch abweichende Meinungen. Egal ob Printmedien, Hörfunk oder Fernsehen, egal ob unter privater Verfügungsgewalt oder "öffentlich-rechtlich": Grundsätzliche Kritik an der Politik der neoliberalen Parteien SPD, Grüne, CDU/CSU und FDP kann man mit der Lupe suchen. Der deutsche Journalismus hat das kritische Denken weitgehend eliminiert. Schlechte Zeiten also, um die Positionen der Friedensbewegung einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen?

Im Prinzip ja, bleibt noch das Internet, um Gegenöffentlichkeit unzensiert herzustellen. Wenn auch die Technologie des noch relativ jungen Mediums ursprünglich militärisch genutzt wurde, hat es in den letzten Jahren doch Akzeptanz bei sozialen Bewegungen gewonnen. Die Vorteile des Mediums: Im Gegensatz zu Zeitung, Hörfunk und Fernsehen lassen sich die "Produktionsmittel" für einen Webauftritt (Hardware und Software) relativ leicht und kostengünstig beschaffen, das Knowhow für eine Internet-Präsenz kann man sich notfalls im Selbststudium aneignen. Die Informationen, die im World Wide Web eingestellt werden, sind rund um die Uhr und weltweit abrufbar. Das Wort "Redaktionsschluss" existiert im Internet nicht, der Weg vom Schreiben einer Nachricht bis zur Veröffentlichung ist denkbar kurz. Letzteres gewinnt wachsende Bedeutung, wenn es zum Beispiel um die kurzfristige Mobilisierung zu Friedensaktionen geht: Die Menschenkette zwischen Münster und Osnabrück während des Irak-Krieges etwa hätte in so kurzer Zeit und so erfolgreich ohne das Medium Internet wahrscheinlich kaum realisiert werden können.

Soweit zu den Vorteilen des Cyberspace, nun zu den Einwänden. Internet und E-Mail-Verkehr sind problemlos abhörbar, wollen wir es den staatlichen "Schnüfflern" so leicht machen? - so lautet eine Frage. Ja, abhören bzw. aufzeichnen lassen sich alle Online-Aktivitäten, doch sollte man sich klarmachen, dass es heute keine Kommunikationsform mehr gibt, die technisch nicht abhörbar ist. Egal ob Telefon, Brief oder auch das Gespräch unter vier Augen - es können mehr als vier Ohren zuhören. Nicht abhörbar sind wir nur, wenn wir nicht kommunizieren. Dann zum Einwand, dass wir mit der Nutzung des Internet alle Menschen ausschließen, die über keinen Internet-Anschluss verfügen. Es stimmt, wer über keinen Internet-fähigen Computer verfügt, ist auch von dieser Form der Gegenöffentlichkeit ausgeschlossen. Doch erstens: die Zahlen der Internet-Nutzer steigen ständig. Zweitens: wenn eine Friedensinitiative die Möglichkeit hat, in der Lokalzeitung einen Artikel über ihre Aktionen unterzubringen - sollte man darauf verzichten, weil nicht alle Einwohner der Stadt die Zeitung abonniert haben? Schließlich zu einem gewichtigen Einwand, der die Struktur des Internet betrifft: Eines der wichtigsten Merkmale des Cyberspace ist eben, dass er sehr unstrukturiert, chaotisch aufgebaut ist. Für das Internet gibt es kein Inhaltsverzeichnis und keine Programmzeitschrift - können also Interessenten Informationen der Gegenöffentlichkeit im Netz überhaupt finden? Für friedensbewegte Cyberfreaks sollte gelten, dass man das Finden unserer Informationen nicht allein den Suchmaschinen überlassen sollte. Eine Möglichkeit, geballt Informationen zu einem großen Themenbereich übersichtlich im Web darzustellen, ist die Idee des Internet-Portals: Dieses große "Tor" im Cyberspace öffnet viele andere virtuelle "Türen", weil es kurz gefasste Informationen und vor allem viele Links zu anderen Websites eines Themenbereichs zur Verfügung stellt. Diese Idee des Internet-Portals stand auch bei der vom Bund für Soziale Verteidigung und der DFG-VK getragenen Website www.peacelink.de Pate. Es soll keine weitere isoliert arbeitende Internet-Präsenz einer Friedensorganisation sein, sondern sowohl für friedensbewegte Insider als auch für Einsteiger die Möglichkeit bieten, sich über friedenspolitische Themen und auch über die Positionen und Aktionen von Friedensorganisationen zu informieren. Neben der Eigenrecherche des verantwortlichen Redakteurs von www.peacelink.de lebt dieses friedensbewegte Internet-Portal dabei natürlich auch von den Informationen und Beiträgen von Friedensinitiativen und Friedensorganisationen - das darf als Einladung verstanden werden.

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Dirk Rosin ist Redakteur des Internetdienstes "Peacelink.de".