Geheimdienste unter Kontrolle?

von Erich Schmidt-Eenboom

Mit unschöner Regelmäßigkeit wird seit Jahrzehnten öffentlich, dass die Nach¬richtendienste der Bundesrepublik - voran der Bundesnachrichtendienst (BND) - gegen Recht und Gesetz verstoßen haben. Der Reflex, mit dem Medien und (Oppositions-) Politiker darauf reagieren, ist stets derselbe:
Der Ruf nach einer Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten.

Kaum waren die drei im Kosovo verhafteten BND-Mitarbeiter wieder in Berlin, nutzten die Vertreter der LINKEN und von Bündnis ,90/DIE GRÜNEN im Parlamentarischen Kontrollgremium am 30. November 2008 die Gunst der Stunde, um erneut eine frühere und umfassendere Information zu verlangen, Dass sie den BND kurz zu¬vor vom Verdacht der Beteiligung am Bombenanschlag auf das Gebäude der EU-Verwaltung in Pristina freigesprochen hatten, verweist auf den zweiten Kontrollanspruch: Es geht nicht nur um die Befolgung juristischer Grenzen, sondern auch um die Überwachung der Apparate und ihrer Effizienz. Wobei die beiden Fragen häufig ineinander übergehen, weil handwerklicher Pfusch der Dienste illegale Aktivitäten erst ans Licht brachte.
Zur parlamentarischen Kontrolle der Arbeit des Geheimdienstes wurde im Februar 1956 ein dreiköpfiges Vertrauensmännergremium eingerichtet, das bis 1964 auf sechs Abgeordnete aufgestockt wurde. Dieses Vertrauensmännergremium war nicht von ungefähr sprachlich nahe am V-Mann, dem Vertrauensmann der Geheimdienste. Durch die selektive Weitergabe vermeintlich exklusiven Machtwissens wurden Spitzenpolitiker eingebunden und für die Zwecke der Nachrichtendienste eingenommen. Eine gesetzliche Basis für die Überprüfung der Geheimdienstarbeit durch eine parlamentarische Kontrollkommission (PKK) wurde vom Bundestag erst am 9. März 1978 verabschiedet.   
Am deutlichsten artikulieren ihr Unbehagen über die Unzulänglichkeiten der Kontrolle die Veteranen verlorener Schlachten. Weil das Sündenregister der unterlassenen Information der PKK endlos sei, hat Bundesminister a.D. Gerhard Jahn im Januar 1990 seinen Sitz in der PKK, einem „Gremium mit Alibi-Funktion" demonstrativ niedergelegt. Nach der Affäre um den illegalen Export von NVA-Wehrmaterial nach Israel durch den BND forderten die PKK-Mitglieder mehr Kontrollgewalt. In einem Kommissionsentwurf bestanden sie auf umfassender Information, Akteneinsicht, Mitberatung des Haushaltsplans der Geheimdienste und seines Vollzugs, dem Recht, auf Beschluss einer Zweidrittelmehrheit der PKK aktuelle Vorgänge öffentlich zu machen, und dem Verzicht auf Sanktionen, wenn sich Geheimdienst¬ler unmittelbar an die Abgeordneten des Kontrollgremiums wenden.
Im November 1991 errang die PKK einen Teilerfolg. Im gemeinsamen Gesetzesentwurf-von CDU/CSU, FDP und SPD wurde festgeschrieben, dass PKK-Mitglieder über alle Vorgänge von besonderer Bedeutung informiert werden, die Wirtschaftspläne der Geheimdienste mitberaten können und - mit Zweidrittelmehrheit beschlossen - eine öffentliche Wertung eines Geheimvorganges vornehmen dürfen. Doch auch nach der Novellierung des PKK-Gesetzes vom 27. Mai 1992 mit den graduell besseren Nachforschungsmöglichkeiten blieb die parlamentarische Kontrolle weitgehend wirkungslos. So gab der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann - bis 2007 über zehn Jahre in der PKK - im November 2007 zu Protokoll: ,,Wir bekamen zwar nicht unbedingt die Unwahrheit serviert, aber die Wahrheit wurde durch großflächiges Weglassen verzerrt". Als Beispiel dafür, dass die Abgeordneten häufig nur die halbe Wahrheit erfahren, führte der CSU-Abgeordnete die Plutoniumaffäre an: ,,Wir hatten davon höchstens Spurenelemente serviert bekommen". Dabei war es ausgerechnet Zeitlmann, der seinerzeit als PKK-Vorsitzender feststellte: .Die Vorwürfe gegen BND und Regierung sind gegenstandslos".
Im Juni 1999 wurde die PKK in Parlamentarisches Kontrollgremium (PKGr) umgetauft, um die Namensgleichheit mit der kurdischen Extremistenorganisation zu beseitigen. In der laufenden 16. Wahlperiode umfasst das Gremium neun Abgeordnete (3 Union, 3 SPD, je 1 FDP, Grüne und Linke). Gesetzlich verbrieft tagt das PKGr mindestens einmal im Quartal, de facto weit häufiger. Im Rhythmus von zwei Jahren gibt es einen pauschalen Überblick über die Arbeit für den Bundestag. Für den Zeitraum vom Juni 1996 bis zum Juni 1998 listet er 22 ordentliche Sitzungen sowie vier interne Beratungen. Der Bericht ver-zeichnet elf Beratungsgegenstände von besonderer Bedeutung: Politischer Extremismus, Spionage, Entführung von Bundesbürgern, Proliferation und Waffenhandel, Verfahren gegen Mitarbeiter des BND, Erfahrungsaustausch mit ausländischen Parlamentariern, Kontrolle über die Durchführung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, Öffnung der Dienste und Personalvertretung beim BND, Novellierung des PKK-Gesetzes und nicht zuletzt der Plutoniumskandal. Die jüngste Übersicht über den Zeitraum von Oktober 2005 bis Dezember 2007 weist 41 Sitzungen - davon sechs Sondersitzungen - sowie zwei interne Beratungen aus. Die Beratungsgegenstände von besonderer Bedeutung umfassten 24 Punkte. Dabei dominieren die den Bundesnachrichtendienst berührenden Fragen von der Observationsaffäre über den Um¬zug nach Berlin, Proliferation, Bücher über den Dienst bis hin zu den militärpolitischen Brennpunkten in Afghanistan, Kongo, Libanon und im Irak. Dieser Vergleich zeigt, dass der Kontrollbedarf vor dem Hintergrund der Anschläge von 9/11 und angesichts des wachsenden militärischen Engagements der Bundeswehr im Ausland nicht nur quantitativ,· sondern auch qualitativ enorm gewachsen ist.
Als Reibungspunkt erweist sich regelmäßig die Regelung, dass das PKGr in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung unterrichtet werden muss. Bei der Auslegung dieser Vorschrift klaffen die Auffassungen weit auseinander. So entschied BND-Präsident Ernst Uhrlau im Herbst 2007, dass die Parlamentarier nicht über den Ankauf von Bankunterlagen aus Liechtenstein für4,2 Millionen Euro unter¬richtet werden dürften. Notwendig wäre anstelle dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ein verbindlicher Kriterienkatalog, wie ihn auch der CSU-Abgeordnete Uhl fordert. Zu den Angelegenheiten von besonderer Bedeutung müssten dabei zählen die Eröffnung oder Schließung von Residenturen ebenso wie nachrichtendienstliche Verträge, wie sie beispielsweise der BND mit ausländischen Partnerdiensten schließt. Über das Ziel hinaus schießt wohl die Forderung des FDP-Abgeordneten Max Stadler, auch über laufende Operationen unterrichtet zu werden. Natürlich kann das als allzu durchlässig gegenüber den Medien geltende Gremium nicht 'darüber in Kenntnis gesetzt werden, was die Quellen „Sindbad" oder „Baron" gerade von ihrem letzten Iran-Einsatz mitgebracht haben. Aber eine effektive Geheimdienstkontrolle erfordert die Offenlegung der Aufklärungsprioritäten, den Umfang des Ansatzes technischer oder agentenmäßiger Aufklärung für bestimmte Zielregionen, den Überblick über die budgetmäßige Schwerpunktsetzung, sowie die detaillierte Ertragslage in den Kernaufklärungsbereichen. Ein erster Schritt dahin wäre die Überlassung des dienstinternen BND-Jahresberichts.
Kanzleramtsminister Thomas de Maiziire hat im März 2008 zugesagt, noch vor der Bundestagswahl 2009 eine erneute Reform auf den Weg zu bringen. Dazu liegt eine Vielzahl von Vorschlägen auf dem Tisch, sowohl was Veränderungen innerhalb des PKGr betrifft, als auch Ideen für Ergänzungen zu diesem Organ.
Die drei kleinen Oppositionsparteien votieren für das Recht, ihre Fraktionsvorsitzenden unterrichten zu dürfen. Über¬dies favorisieren sie die Einführung von wissenschaftlichen Mitarbeitern für die Abgeordneten im PKGr, DIE LINKE möchte ihnen sogar Kontrollaufgaben bei den Diensten übertragen. Der amtierende PK¬Gr-Vorsitzende Thomas Oppermann (SPD) lehnt dies mit dem Verweis auf die angeblich notwendige Begrenzung der Anzahl der Geheimnisträger ab. Den weitreichendsten Vorschlag lieferte im April 2008 der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck. Er verlangte nicht nur einen Rat aus Sachverständigen für das PKGr, sondern will „als Optimum an kontinuierlicher Beobachtung" einem PKGr-Abgesandten auch Zugang zu der wöchentlichen Runde der Geheimdienstchefs im Kanzleramt ge-währen.
Die Einrichtung eines Geheimdienstbeauftragten aus der Mitte des Parlaments neben dem PKGr, wie ihn SPD-Fraktion schon nach dem Plutonium-Untersuchungsausschuss vorgeschlagen hatte, bzw. in der Variante des CSU-Abgeordneten Uhl ein ständiger Ermittlungsbeauftragter, ist der zweite gewichtige Vor¬schlag, der zur Debatte steht. Als gewählter Beauftragter des Bundestags soll er auch als Anlaufstelle der Beschäftigten in den Diensten fungieren, über einen Stab verfügen und an Weisungen der Kontrollgremien gebunden sein. Diese Idee ist 28 Jahre alt. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Axel Wernitz, hatte bereits im März 1980 die Schaffung eines Ombudsmanns für die Geheimdienste vor-geschlagen. Weil es eine breite Front der PKGr-Ab-geordneten für eine Reform gibt, zeichnet sich eine partielle Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten ab. Wer jedoch hofft, dass es deshalb weniger Geheimdienstaffären gibt, wird sich bald getäuscht sehen.
Als schärfste Waffe des Parlaments zur Kontrolle von Nachrichtendiensten gelten Untersuchungsausschüsse. Auf keinem Gebiet setzte der Bundestag in der Geschichte der Bundesrepublik mehr Untersuchungsausschüsse ein, als auf dem geheimdienstlichen. Die im Untersuchungsauftrag anvisierte Wahrheitsfindung blieb in der Regel im Gestrüpp widerstreitender Interessen hängen. Als Paradebeispiel mag der Versuch der Aufklärung des Schmuggels von 363,4 Gramm waffenfähigem Plutonium-239 über den Flughafen München im August 1994dienen. In einem Mammutverfahren ging der Untersuchungsausschuss von seiner Einsetzung am 11. Mai 1995 bis zur Vorlage der Abschlussberichte am 23. Juni 1998 der Affäre auf der Grund. In 80 Sitzungen - 44 öffentlichen und 36 geheimen - wurden dabei 78 Zeugen und Sachverständige gehört. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP entlasteten in ihrem Abschlussvotum den Dienst: Weder die BND-Zentrale noch die Residentur in Madrid hätten den Plutoniumschmuggel eingefädelt, die Amtshilfe des BND für das LKA habe das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei nicht verletzt, und der Bundesnachrichtendienst habe das Bundeskanzleramt sach- und zeitgerecht informiert. Ganz andere Töne schlug die op¬positionelle SPD an. Sie hielt es für erwiesen, dass sich der BND in diesem „hochbrisanten Fall tatprovozierend wie eine Polizei eigener Art im Inland" verhalten habe und machte dafür politisch den Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer verantwortlich. Bündnis 90/DIE GRÜNEN befanden sogar, die Untersuchung habe gezeigt,' ,,zu welchen Fehlleistungen geldgierige V-Leute und Mitarbeiter von Geheimdiensten wie dem BND in der Lage seien".
Dem themenreichsten laufenden Untersuchungsausschuss, der von den Menschenrechtsverletzungen bei der so genannten internationalen Bekämpfung des Terrorismus über die CIA-Folterflüge und die Involvierung der Bundesrepublik in die amerikanische Kriegführung im Irak bis zur Journalistenbespitzelung viele Regierungsaffären im Visier hat, droht ein ähnliches Schicksal. Das liegt überwiegend daran, dass Parlamentarier der Regierungsparteien weniger ihrem Gewissen verpflichtet sind und mehr gewissen Verpflichtungen unterliegen. Mit ungewöhnlicher Schamlosigkeit hat dies der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Vertrauensgremiums Carsten Schneider im Dezember 2007 zum Ausdruck gebracht: "Die Abgeordneten der Regierungskoalition stehen dabei vor einer schwierigen Doppelaufgabe: Einerseits haben sie in den Kontrollgremien des Parlaments die Aufgabe, , ihre' Regierung zustutzen; andererseits müssen sie als Vertreter des Parlaments eine effektive Kontrolle ihrer Aufsicht über die Nachrichtendienste gewährleisten".
In der jetzigen Legislatur haben die „Stützen" der Regierung in der PKGr eine Zweidrittelmehrheit, die die Gewaltenteilung damit tendenziell aushöhlt.
Der zweite Grund für die mangelnde Durchschlagskraft des Untersuchungsausschusses liegt in der Blockadehaltung der Bundesregierung. Sie behindert die Aufklärungsarbeit des Parlaments nach Kräften. Als sie die Akten zum Komplex Irak im Juli 2008 bei der Geheimschutzstelle des Bundestags ablieferte, beklagten die FDP-Abgeordneten Max Stadler und Hellmut Königshaus, dass in den Dokumenten alle Angaben zu relevanten BND-Aktivitäten geschwärzt worden waren und sprachen von „Schwarzen Messen" im Kanzleramt.

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